Mutwillig zerstört: ein Wahlplakat der SPD liegt am Boden. Foto: seb Quelle: Unbekannt

Von Elke Hauptmann

Stuttgart - Entfernte, beschädigte und verschandelte Wahlkampfplakate: Die Parteien beklagen unisono, dass die Zerstörungswut in Stuttgart enorm ist.

Der Landtagswahlkampf gehört mittlerweile zum Stuttgarter Straßenbild. Flächendeckend haben die Parteien in einer ersten Welle ihre Botschaften und Kandidaten plakatiert. Mehr ist besser, scheint dabei die Devise zu sein. Allein die CDU will rund 3000 Plakate mit den Konterfeis ihrer Kandidaten und mit Wahlslogans aufhängen, an 127 Stellen sind Großplakate vorgesehen. Die Grünen werden sich hingegen nur an 37 Standorten mit solchen Riesenplakaten präsentieren, dafür haben sie 4000 kleine Plakate von der Stadt genehmigt bekommen. Die SPD will 3000 kleine und 88 große Plakate im Stadtbild platzieren. Die FDP hat bislang 2000 Kandidatenporträts gedruckt, dürfte aber noch einmal so viele nachlegen. Die AfD will bis zu 3000 kleine und 26 große Plakate aufstellen. Die Linken und die Piratenpartei gehen in der Landeshauptstadt mit jeweils 2000 Bildern ins Rennen. Selbst die kleinen Parteien beteiligen sich an der Pappbilder-Straßenschlacht: die NPD mit 1000 Plakaten, die Tierschutzpartei mit 300, „Die Partei“ mit 200 und die ÖDP mit 150.

Viel zu sehen ist davon allerdings nicht mehr. Alle Parteien beklagen bereits einen deutlichen Schwund. Wahlplakate seien vielerorts nicht nur abgerissen, sondern gänzlich verschwunden, heißt es bei den Grünen. CDU-Kreisverbandssprecher Thomas Hugendubel berichtet von einer „massiven, flächendeckenden Zerstörungswelle“. Auch die SPD stellt laut ihrem Sprecher Andreas Reißig eine „gewisse Radikalisierung“ fest. Ein solches Ausmaß der Zerstörung, attestiert die Linkspartei, habe es bei anderen Wahlkämpfen noch nicht gegeben. Besonders aufgebracht sind die Wahlhelfer der Alternative für Deutschland (AfD): In der Landeshauptstadt sollen 80 Prozent der Großplakate beschmiert, zerstört oder gänzlich entfernt, von den kleinen Plakaten schon gut ein Drittel abgerissen worden sein. „Wir werden aus der Wahrnehmung verdrängt“, ärgert sich der Vorsitzende des Kreisverbandes, Karl-Friedrich Hotz. Einzig die FDP gibt sich gelassen: Nicht bei jedem verschwundenen Plakat wittere man gleich böse Absicht, sagt deren Sprecher Jan Havlik.

Ein Politiker mit aufgemaltem Bärtchen oder Teufelshörnern, ein Motiv mit aufgesprühten Parolen, ein zertretenes oder abgerissenes Wahlplakat - so etwas kommt im Wahlkampf immer wieder vor. Auch bei der Landtagswahl vor fünf Jahren ärgerten sich die Parteien über den Vandalismus. Damals - in der Hochphase des Protestes gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 - war vor allem die CDU betroffen. Fast jedes zweite Wahlplakat wurde laut einer Untersuchung der Universität Hohenheim zerstört, bei der FDP war es fast jedes vierte. Bei der SPD lag die Verlustrate bei 18 Prozent, die der Linken bei elf Prozent.

Warum Wahlplakate verschandelt werden, darüber könne nur spekuliert werden, räumt Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider von der Uni Hohenheim ein. „Vermutlich geht ein Teil der Zerstörung auf unpolitisches, nächtliches Randalieren zurück. Ein anderer Teil richtet sich wahrscheinlich gegen Wahlplakate im Allgemeinen. Und ein weiterer Teil dürfte politisch motiviert sein. Was eine andere politische Meinung darstellt, wird zerstört.“ Allerdings würden heutzutage nur selten gezielt bestimmte Wahlaussagen herausgepickt, sagt Brettschneider. „Das war in den 70er- und 80er-Jahren noch häufiger der Fall. Da wurden einzelne Plakate mit Sprüchen oder Malereien verändert, die dann eine gegenteilige Position zum Ausdruck brachten.“

Für ihn ist das Abreißen, Zertreten und Beschmieren von Wahlplakaten keinesfalls eine Form von demokratischem Protest, sondern vor allem Ausdruck mangelnder politischer Kultur und einer Verrohung der Sitten. „Da fehlt auch ein Unrechtsempfinden.“ Wer ein Wahlplakat zerstört, begeht nach Polizeiangaben eine Sachbeschädigung. Doch nicht alle Betroffenen erstatten Anzeige. „Ich habe keine Hoffnung, dass der Täter ermittelt wird“, räumt AfD-Kreischef Hotz ein. Ein Teil der verschwundenen oder beschädigten Plakate wird kurzerhand ersetzt.