Wenn Unfälle passiert sind, zücken Gaffer oft ihre Handys. Nicht selten behindern sie dabei die Rettungskräfte. Foto: Symbol Foto: dpa/CZ

Von Andrea Eisenmann

Stuttgart - Im vergangenen Jahr krachte es auf deutschen Straßen rund 2,5 Millionen Mal, vermeldet das Statistische Bundesamt. Das ist nichts Neues. Relativ „neu“ ist allerdings das Phänomen, dass Vorbeifahrende vom Gas gehen, aussteigen und die Rettungsarbeiten filmen. Oder Passanten, die mit gezückten Handys die Arbeit der Helfer behindern, weil sie nach dem optimalen Blickwinkel suchen. Wie vielerorts steigt auch in Stuttgart der Unmut der Einsatzkräfte.

Ein Lastwagenfahrer wird bei einem Unfall auf der Autobahn so schwer eingeklemmt, dass den Rettungskräften nur die Möglichkeit bleibt, den Mann von hinten durch die Kabine zu befreien. Dafür muss allerdings erst ein Teil der Fracht abgeladen werden, um einen Zugang zu dem Verletzten zu bekommen. Während die Rettungskräfte ihre Arbeit machen, hören sie plötzlich von draußen den Ruf, sie sollten beim Entladen gefälligst aufpassen, es seien Kinder in der Nähe. „Da stand tatsächlich ein Vater, der sein Auto abgestellt hatte, um mit seinen Kindern den Hilfseinsatz aus nächster Nähe zu verfolgen“, sagt Udo Bangerter vom Deutschen Roten Kreuz kopfschüttelnd.

Der Vorfall wurde dem Sprecher des Stuttgarter Kreisverbandes erst vor wenigen Tagen von einem Kollegen erzählt — und er passt ins Bild. Immer öfter werden Einsatzkräfte an Unfallstellen von Schaulustigen bei ihrer Arbeit behindert. Persönlichkeitsrechte von Opfern werden missachtet. Möglichst nah gilt es, mit dem Handy an den Blechschäden und den verletzten Personen dran zu sein. Manches Foto landet wenige Minuten später auf Facebook, mancher Film ist nach kurzer Zeit in den sozialen Netzwerken zu sehen. „Für die Rettungskräfte bedeuten störende Schaulustige unnötige Ablenkung und Stress“, sagt Bangerter. Und es sei ein respektloses Verhalten gegenüber den Betroffenen. Ob auf dem Land oder in der Stadt - das Phänomen ist seiner Ansicht nach überall gleichmäßig verbreitet. „Es beginnt damit, dass sich die Mitarbeiter oft erst einen Weg durch Menschenmassen bahnen müssen, anstatt dass sie sich gleich nach der Ankunft ganz auf die Patienten konzentrieren können.“

Auch bei der Feuerwehr Stuttgart sind ähnliche Vorkommnisse bekannt. „Wir versuchen bereits durch die Aufstellung unserer Fahrzeuge, den Blick auf das Geschehen zu minimieren“, so Florian Gödde, der stellvertretende Pressesprecher. Ein Sichtschutz trage ebenfalls dazu bei, die Opfer vor neugierigen Blicken zu schützen. „Wir brauchen bei unserer Arbeit den Rücken frei - und dabei hilft uns die Polizei, die die Leute anspricht und wegschickt.“ Dennoch gibt es immer wieder Fälle wie unlängst im Stadtteil Degerloch, als ein Mann ein von der Feuerwehr angebrachtes Flatterband mit dem Hinweis zur Seite schob, er müsse jetzt zum Wochenmarkt. „Das bindet natürlich die Einsatzkräfte.“

Von Seiten der Politik will man gegensteuern und massives Gaffen, das Rettungseinsätze behindert, stärker sanktionieren. Am vergangenen Freitag beschloss der Bundesrat, einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen. Wer Kräfte von Feuerwehr, Katastrophenschutz oder Rettungsdiensten behindert, dem drohen demnach bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder eine saftige Geldstrafe. Einen Riegel vorschieben will die Länderkammer außerdem Fotos von Getöteten, die sich ebenfalls im Internet verbreiten.

Ob die geforderten schärferen Strafen helfen, rücksichtslose Schaulustige auszubremsen, bleibt abzuwarten. Denn dafür wäre auch mehr Personal notwendig - nicht zuletzt, um die Personalien der Störer aufzunehmen.

Ein gewisses Verständnis für die menschliche Neugier bringt Stuttgarts Polizeisprecher Stefan Keilbach den Umstehenden an einem Unfallort entgegen. Werden jedoch der Einsatz durch rücksichtsloses Verhalten behindert und Menschenrechte missachtet, sei dies ein Problem. Sollte das Gesetz in den kommenden Wochen vom Bundestag verabschiedet werden, geht der Polizeisprecher vorwiegend von „Einzelfällen“ aus, die man in der Landeshauptstadt strafrechtlich verfolgen wird. Priorität habe nach wie vor das Geschehen am Unfallort und die Hilfe für die Opfer.