Greenpeace-Aktivisten demonstrieren für ein Fahrverbot von Diesel-Fahrzeugen. Ab 2018 könnte ihr Wunsch Realität werden.Archiv Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Sebastian Steegmüller

Stuttgart - In den vergangenen Wochen und Monaten wurde viel über Fahrverbote diskutiert, ab 2018 sollen sie während eines Feinstaubalarms in Stuttgart gelten. Gestern stellte Verkehrsminister Winfried Hermann und Regierungspräsident Wolfgang Reimer die geplante Maßnahme vor. Heute wird sie ab 11 Uhr gemeinsam mit der Stadt im Rathaus den Bürgern präsentiert.

Dank einer Vielzahl von Maßnahmen ist die Schadstoffbelastung der Luft in der Landeshauptstadt in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Es reicht jedoch nicht: Auf einer Strecke von fünf Kilometern werden die Feinstaub-Grenzwerte nicht eingehalten. Zudem werden die Stickoxid-Vorgaben auf einer Länge von 70 Kilometern überschritten. Um endlich unter den EU-Richtlinien zu bleiben und Strafzahlungen zu vermeiden, will das Regierungspräsidium unter anderem an weiteren Steigungstrecken Tempo 40 einführen. Außerdem soll während eines Feinstaubalarms außerhalb von geschlossenen Ortschaften die Geschwindigkeit auf vier spurigen Straßen auf 60 und auf zwei spurigen Straßen auf 50 Kilometer pro Stunde reduziert werden.

Der Kern der dritten Fortschreibung des Luftreinhalteplans stellt jedoch das Fahrverbot vor. Um es umzusetzen, hofft das Land nach wie vor auf die blaue Plakette. Mit ihr könne man an Tagen mit Feinstaubalarm ab dem kommenden Jahr ein Fahrverbot auf allen Straßenzügen innerhalb des Talkessels und in Feuerbach sowie auf einigen Streckenabschnitten in Zuffenhausen erwirken. Betroffen wären vor allem Diesel-Fahrzeuge, die nicht der Euro-6-Norm entsprechen, sowie einige ältere Benziner. Der Vorteil der Plakette wäre, die leichtere Kontrolle der Maßnahme und die vorhandene gesetzliche Grundlage. Sollte der Bund die Einführung weiterhin ablehnen, will das Land auf „einzelnen bestimmten Straßenabschnitten im Stadtgebiet“ ein Fahrverbot für alle Diesel, bis einschließlich der Euro-5-Norm, erwirken. Der Lieferverkehr wäre davon ausgeschlossen. Dazu zählen unter anderem auch „Fahrten von Handwerkern und Baufahrzeugen, die zum Transport von Werkzeugen oder Material eingesetzt werden und unbedingt vor Ort sein müssen.“ Auch diese Art des Fahrverbots steht wohl auf juristisch dünnem Eis. Doch auch hier hält das Regierungspräsidium einen Plan B bereit. Sollte die zweite Variante aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht ergreifbar sein, wird zur Erfüllung des gerichtlichen Vergleichs rund um das Neckartor der Verkehr begrenzt. Wie berichtet, sind Stadt und Land ab 2018 verpflichtet, dort an Alarmtagen den Verkehr um 20 Prozent zu reduzieren. Erreicht werden soll das Ziel dann mit Fahrverboten auf der Cannstatter Straße (B 14), der Neckarstraße sowie im Stuttgarter Osten auf der Tal-, Wagenburgstraße und der Landhausstraße. Entsprechende Schilder müsse die oberste Straßenverkehrsbehörde noch schaffen.

Martin Körner, der SPD-Fraktionsvorsitzende im Rathaus, ist von dem Maßnahmenpaket enttäuscht. „Die dünnen Worte des Verkehrsministers zur konkreten Ausgestaltung des geplanten Fahrverbots sind ein weiterer Beleg dafür, dass der Vorschlag unausgegoren ist.“ Er empfiehlt, ihn aufzugeben. Sinnvoll sei ein Fahrverbot nur in der fest etablierten Umweltzone, mit einer erkennbaren und damit kontrollierbaren Plakette. „Diese Lösung gibt es leider noch nicht, wird es aber nach der Bundestagswahl geben. Jetzt auf Biegen und Brechen ein nicht praktikables, geschweige denn kontrollierbares Fahrverbot auszusprechen, ist der falsche Weg“, so Körner, der nicht an die Rechtmäßigkeit des geplanten Verbots glaubt. „Es wird von namhaften Experten infrage gestellt und ist zugleich eine Zumutung für die Stadt Stuttgart, die vor Ort ausbaden muss, was Bund und Land gemeinsam verbockt haben.“

Kritik hagelt es auch von der Industrie und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart. „Der Entwurf lässt weiterhin viele Fragen für die Unternehmen in der Region offen“, sagt Hauptgeschäftsführer Andreas Richter. Er werde kaum ausreichen, um Planungssicherheit für die Betriebe herzustellen, die mit unterschiedlichen und teilweise sehr spezifischen Fahrten zum Wirtschaftsverkehr beitragen. „Wir unterstützen die Bemühungen zur Luftreinhaltung - auch die Wirtschaft muss sich dieser Herausforderung stellen“, so Richter. „Die Unternehmen müssten dafür jedoch zeitnah erfahren, welche Konsequenzen sich für ihre Betriebsabläufe und Beschäftigten ergeben.“ So bleibe die Sorge einer Ungleichbehandlung, die einzelne Branchen bedroht, bestehen. Man wisse nicht, was sich hinter einzelnen Begriffen, zum Beispiel „Baufahrzeuge“ in den Ausnahmeregelungen verberge. Dies sei aus IHK-Sicht erläuterungsbedürftig. „Wir wünschen uns hier vor allem Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen.“ Auch das Handwerk sieht wesentlichen Nachbesserungsbedarf und kritisiert die Ausnahmeregelungen als „mangelhaft“.

Der Deutschen Umwelthilfe (DUH) geht der Entwurf dagegen nicht weit genug. Er bleibe weit hinter den gesetzlichen Anforderungen zur Luftreinhaltung zurück. Der DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch spricht sich zudem für ein Fahrverbot für Euro-6-Diesel aus. Zugleich ist er zuversichtlich, dass es im Rahmen des laufenden Gerichtsverfahrens kommen wird. „Wir werden im Rahmen der laufenden Klage vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart deutlich machen, dass die aktuellen Maßnahmen ungeeignet sind, um zum 1. Januar 2018 die Einhaltung der Luftqualitätswerte für das Dieselabgasgift Stickstoffdioxid sicherzustellen.“

Lob erhält der Verkehrsminister von der DUH dagegen für die Forderung an die Industrie, dass diese die Kosten für die Nachrüstung beziehungsweise Nachbesserung der betroffenen Diesel selbst tragen muss. Resch betonte jedoch, dass eine „Pseudo-Nachrüstung schmutziger Diesel, die auf der Straße die Grenzwerte um ein Vielfaches überschreiten, nicht akzeptabel“ sei.

Das Programm

Die Veranstaltung findet heute im Großen Sitzungssaal des Stuttgarter Rathauses statt. Einlass ist um 10.30 Uhr. Unter dem Motto „Gemeinsam für saubere Luft - Stuttgart packt‘s an!“ spricht Oberbürgermeister Fritz Kuhn ab 11.05 Uhr. Ab 11.25 Uhr stellen Verkehrsminister Winfried Herrmann und Regierungspräsident Wolfgang Reimer den neuen Luftreinhalteplan vor. Bis 14 Uhr folgen Publikumsdiskussion und vertiefende Gespräche mit Fachexperten an Themeninseln.