Die Großpuppe aus den Wagenhallen ist fünf Meter groß und 40 Kilogramm schwer. Links: Musiker Stefan Charisius. Foto: Eisenmann Quelle: Unbekannt

Von Andrea Eisenmann

Stuttgart - Elvis war zuerst da. Elvis, der die Hüften schwingen konnte wie kein zweiter. Der König des Rock‘n‘Roll. Nur eines kann dieser Elvis - im Gegensatz zum Original - nicht: Singen. Dafür hat er andere Vorzüge: Er ist unübersehbar. Genauer gesagt: mehr als doppelt so groß wie das Gesangstalent aus Memphis. Elvis war die erste Großfigur, die der Stuttgarter Puppenbauer Tobias Husemann kreierte. Entstanden ist sie Mitte der 1990er-Jahre während eines Israels-Aufenthalts. Drei Spieler wurden benötigt, um der Stabpuppe die für Elvis typischen Körperbewegungen zu entlocken.

Der Prototyp machte offenbar Lust auf mehr. Wieder zurück in der schwäbischen Heimat wollte der ausgebildete Tischler eine ähnlich große Figur schaffen. Statt jedoch alles genau vorzugeben, sollte diese die Fantasie der Betrachter ansprechen. Jeder könnte seine eigenen Gefühle in die Gestalt projizieren, dachte Husemann. Und noch ein anderer Gedanke machte das Projekt aus: Die Puppe wird von ihrer eigenen Musik, ihrer eigenen Klangwelt, begleitet, für die der Musiker Stefan Charisius, ein Schulfreund Husemanns, verantwortlich zeichnet.

Es blieb nicht bei der Idee: An diesem Freitagmorgen schreitet ein weißer Riese vor dem gelb-braunen Backsteingebäude der Wagenhallen auf und ab. Der Körper bewegt sich trotz der Größe von fünf Metern sanft und graziös zu den Klängen, mit denen Charisius auf seiner Kora - einer 21-saitigen Stegharfe aus Westafrika - den mehrminütigen Spaziergang untermalt. Dundu - eine Kurzform für „Du und Du“ streckt seine geöffnete Hand den Umstehenden entgegen, als wolle er jeden einzelnen persönlich begrüßen und abholen. An diesem Tag geht es schließlich um seine Geschichte, um sein Jubiläum: Zehn Jahre ist es her, dass in den Wagenhallen im Stuttgarter Norden der Startschuss für die Erfolgsgeschichte fiel. Husemann hatte nach vielen Monaten seine Arbeit an der Stabpuppe beendet und etwas Eigenes geschaffen. Ein Netz aus fädenartigen Strängen durchzieht Kopf und Körper, Metallstäbe sind mit den einzelnen Gelenken verbunden. Am Rücken der Puppe sind Einrad und Sattel befestigt, fünf Puppenspieler sind notwendig, um die rund 40 Kilogramm schwere Großfigur zu steuern.

Es ist ein Zusammenspiel, das bis auf die feinste Nuance harmonieren muss und dennoch bei jedem Auftritt der Kunst des Improvisierens unterliegt. „Eine neue Spieltechnik musste dafür entwickelt werden“, berichtet Fabian Seewald, der seit sieben Jahren zum „Dundu-Team“ gehört und häufig als dessen Sprecher fungiert. Nur wenn sich jeder auf seine Mitspieler einlässt, entstünden faszinierende Augenblicke. Laufen, klatschen, tanzen, Hände schütteln, hüpfen oder Treppen steigen? Alles eine Frage der Übung.

Gleich mehrere Auftritte verhelfen dem weißen Riesen zu medialer Aufmerksamkeit und zu Engagements weltweit: 2009 tritt Dundu mit drei Puppen bei der Eröffnungsfeier der Leichtathletik-WM in Berlin auf. Zudem ist die Puppe in London an Bord des „Traumschiffs“, als dort 2012 anlässlich der Olympischen Spiele ein Empfang abgehalten wird. In der Show von Helene Fischer steht Dundu auf der Bühne - und geht mit dem Schlagerstar anschließend gleich noch auf Tournee. Die Liste der bereisten Länder ist lang: China, die Türkei, Frankreich, Russland, die Vereinigten Arabischen Emirate und die USA. „Gänsehaut“, umschreibt Seewald einen Auftritt der überlebensgroßen Puppe auf dem Tahrir-Platz in Ägypten im Jahr 2013, mit dem die Künstler ein Zeichen für Frieden und Zusammenarbeit geben wollen. Schnell hat sich eine Menschenmenge um die Puppe geschart. „Da haben wir gemerkt, was für eine Macht die Figur hat.“

Mit den Jahren hat sich Dundu „vervielfältigt“: Mehrere Stabpuppen gibt es mittlerweile und das in drei unterschiedlichen Größen. Mit „Bimbi“ stellte Husemann, der an der Kunstakademie in Stuttgart studiert hat, seinem Star ein weibliches Gegenstück an die Seite. Die Nachfrage von Veranstaltern und Firmen ist groß, die Ideen sind vielfältig. Eigene Theaterproduktionen werden regelmäßig initiiert. Immer wieder ist das Team bei karitativen Veranstaltungen mit von der Partie, tritt in Schulen oder in Flüchtlingsheimen auf. Aber auch in der Werkstatt wird weiter getüftelt: Derzeit liegt ein Auftrag aus China für eine Großpuppe vor.

Das ständige Ein- und Auspacken sind die Puppenspieler in den Wagenhallen gewöhnt. Dennoch werden sie zum Jahresende mit einem anderen Gefühl die Koffer schließen. Dann heißt es, sich aus dem Kreativ-Zentrum, in dem 70 Ateliers und ein Veranstaltungsbetrieb untergebracht sind, zu verabschieden und in Container umzuziehen. Zumindest vorläufig. 27 Millionen Euro will die Verwaltung in die Sanierung der alten Bahnanlage investieren. „Wir hoffen, in spätestens eineinhalb Jahren dort wieder einziehen zu können.“

Zehn Jahre Dundu? Über das Gesicht von Fabian Seewald huscht ein Lächeln. „Eines hat sich auf jeden Fall verbessert. Waren wir einst mit übergroßen Schuhkartons unterwegs, reisen wir jetzt mit Flightcases um die Welt.“