Präzis nuanciert, scharf fokussiert: Hans-Christoph Rademann interpretiert Bach-Kantaten mit der Gaechinger Cantorey. Foto: Holger Schneider Quelle: Unbekannt

Von Martin Mezger

Stuttgart - Der gottesfürchtige protestantische Erwerbsethiker lässt sich gern die Nichtigkeit der von ihm gescheffelten Reichtümer vorsingen. Nur: Damit der „betörten Welt“ in Johann Sebastian Bachs eindringlicher Klangrede (hier aus der Kantate BWV 94) ihr „Reichtum, Gut und Geld“ als „Betrug und falscher Schein“ um die musikalisch entzückten Ohren geschlagen werden kann, braucht es eben doch wieder - Reichtum. Das war zu Zeiten des Leipziger Thomaskantors, der sich schon mal recht ruppig über karge Mittel beklagte, nicht anders als heute, wo Hans-Christoph Rademanns glücklich zum Originalklang konvertierte Bachakademie den Aufbruch zu neuen Horizonten nur mittels wohlhabender Sponsoren meistern kann. Der Nachbau der Silbermann-Truhenorgel etwa, ganzer Stolz der Bachakademiker, verdankt sich dem Mäzenatentum des Unternehmer-Ehepaars Wirtz.

„Den Mammon klüglich anwenden“

Seine Konzertpremiere feierte das kostbare Instrument gestern Mittag in der Stiftskirche mit drei Bach-Kantaten, alle getreu dem diesjährigen Musikfest-Motto vom Reichtum handelnd und damit von der gottgefälligen Läuterung des „eitlen“ zum „klüglich anzuwendenden“ Mammon. Für letzteren stand das Konzert selbst, denn reich sind Bachs kompositorisch predigende Mittel sowieso, und das künstlerische Vermögen der Interpreten ist es nicht minder. Die Gaechinger Cantorey - unterm barockisierenden Namen firmieren fürderhin Chor wie Originalklang-Orchester - erwies sich instrumentalerseits als handverlesenes Ensemble, das etliche nicht nur dem Namen nach bestens klingende Größen in seinen Reihen zählt. Ein Barockorchester solcher Güte ist eben kein unter der Knute des Taktstocks zusammengeschweißter „Klangkörper“, sondern eine harmonische Interaktion kundiger Individualisten. Als Dirigent muss Rademann nicht permanent fordern und formen, sondern setzt die interpretatorischen Impulse, und prompt folgen prägnante Basslinien, wunderbare Holzbläser-Soli, differenziert aufgefächerte Streichersätze: ein Bach-Klang der präzisen Nuancen und der scharfen Fokussierung. So gleich in der kantig punktierten Titelarie der Kantate „Tue Rechnung! Donnerwort“ (BWV 168), welche in buchhalterischer Metaphorik den säumigen Seelen Gottes Abrechnung vor die Sündernase hält. Bass-Solist Andreas Wolf gab dem „Donnerwort“ Markanz und den rollenden Triolen-Koloraturen grollende Autorität.

In der Kantate „Was frag ich nach der Welt“ (BWV 94) verkehrt Bach in typisch barocker Dialektik die weltverleugnende Botschaft ins klingende Gegenteil: Schmeichelnde Flötengirlanden tändeln um weltlichen Tand, tänzerische Rhythmen ums „Blendwerk“. Wie der Flötist Georges Barthel zusammen mit dem exzellenten Altisten Terry Wey und seinem glutvoll-runden Timbre in den Figurationen der „Betörte Welt“-Arie die klangbildlichen Münzen des Mammon kullern ließ, wurde an flinkfingriger Bravour und lichter Schönheit des Tons allenfalls getoppt von seinem hochvirtuosen Flötensolo in der Tenorarie der Kantate „Herr Jesu Christ, du höchstes Gut“ (BWV 113). Sebastian Kohlhepp sang die Tenorparts mit expressiver Kraft, der manchmal eine Dosis Geschmeidigkeit fehlte. Dorothee Mields konnte ihren astral-klaren Sopran nur in kürzeren Passagen leuchten lassen, auch der Chor hat in diesen drei Kantaten fast nur akkordisch-schlichte Auftritte: Zu vernehmen war gleichwohl eine Fülle an luminosem Wohlklang, nicht auf schlanke Kleinstbesetzung getrimmt, sondern beste deutsche Chortradition mit authentischem Musizieren verbindend. Beim Schlusskonzert am Sonntag mit Händels „L’Allegro“-Oratorium wird man ausgiebigere Cantorey-Töne hören. Gleiches gilt für das „Starinstrument“ des Konzerts, die Silbermann-Orgel: Gespielt von von Michaela Hasselt zeigte sie bereits in der Continuo-Rolle Charakter, gab feinen Ton wie kräftigen Laut, naturgemäß nicht im wummernden Hammond-Sound, sondern in souveräner Noblesse. Am Sonntag darf sie in einem Händel’schen Orgelkonzert glänzen.

Heute beim Musikfest

10 Uhr, Fruchtkasten: Die Orgel - Exponat barocker Klangvorstellungen.

12 Uhr, Musikpavillon am Schlossplatz: Stuttgart singt. Vokalensemble Ebersbach, Leitung: Wolfgang Proksch.

13 Uhr, Stiftskirche: Johann Sebastian Bach: Werke für Violine solo (Sonate g-Moll BWV 1001, Partita E-Dur BWV 1006, Partita d-Moll BWV 1004). Thomas Zehetmair, Violine.

15 Uhr, Hospitalhof: Musikfest-Café. Henning Bey im Gespräch mit Thomas Zehetmair.

19 Uhr, Theaterhaus: Golden Twenties. Tora Augestad, Gesang, und ihre Band Music for a while.

22 Uhr, Wagenhallen am Nordbahnhof: Born to be mild. Musik von Johann Sebastian Bach, Philip Glass, Duke Ellington, Cole Porter, Metallica, Udo Lindenberg u.a. Hille und Marthe Perl, Viola da Gamba. Lee Santana, E-Gitarre.