Von Verena Großkreutz

Stuttgart - Was ist Musik schon wert, zu der man nicht tanzen kann? Und wo kommt sie her? „Das Volk schafft die Musik - wir Komponisten arrangieren sie nur“, sagte der russische Komponist Michail Glinka. Das Bonmot ihres Landsmannes hat sich das Terem Quartet auf die Fahne seiner Programme geschrieben. Im Konzert beim Musikfest am Samstagabend machten die vier Herren aus Sankt Petersburg klar, dass auch der große Johann Sebastian Bach ein Mann des Volkes war: Mit dem Thema der berühmten d-Moll-Orgeltoccata zeigte Andrey Smirnov zwar auch, dass sein chromatisches Bajan-Knopfakkordeon klanglich einer Kirchenorgel das Wasser reichen kann, aber bald wurde das Stück in seine motivischen Bestandteile zerlegt und formierte sich zum beschwingten Tanz, garniert mit seligem Balaleika-Tremolo.

Das passte gut zum lauen Sommerabend im Stuttgarter Westen, wo das Konzert im Innenhof des Klett-Firmengeländes unter freiem Himmel stattfand: Das erste Konzert der Musikfest-Reihe „Unternehmen Musik“, in der die Veranstaltungsorte ortsansässige Unternehmen sind. Das Publikum bliebt zwar auf den Stühlen sitzen und schwingte eher innerlich mit, aber die Power und der Witz, mit denen sich das Quartett ins Zeug legte, waren mitreißend: Ob man nun ein Bach’sches Giguethema in einen bäurischen Stampftanz verwandelte oder die berühmte Badinerie aus der h-Moll-Orchestersuite zum Thema eines virtuos-fröhlichen Parlierens im italienischen Stil machte. Die vier Männer, die in diesem Jahr ihr 30-Jähriges feiern, bringen alles das mit, was Vollblutmusiker ausmacht: Virtuosität durch eine klassische Ausbildung, Improvisierlaune, Fantasie und Witz, die Beherrschung unterschiedlichster Stile - vom Jazz bis zum Tango. So fällt es ihnen nicht schwer, George Gershwins „Summertime“-Thema in eine schwer melancholische russische Winter-Atmosphäre à la Doktor Schiwago zu versetzen, anhand berühmter Melodien Nino Rotas flugs eine rasante Reise durch Fellini-Filme hören zu lassen oder kurz mal die Luft mit dem Soundtrack des Hollywood-Blockbusters „Mission impossible“ zu erhitzen. Wie gute Komiker gestisch und mimisch exakt arbeiten, ist das Zusammenspiel der Musiker, das sich oft als ein Ping-Pong-Spiel mit einzelnen Motiven und Phrasen zeigt, sehr präzise abgestimmt. Die Arrangements sprühen vor Esprit, das Quartett in weißem Outfit hat sichtbar Spaß dabei: Akkordeonist Smirnov genauso wie Vladimir Kudriavtcev am Kontrabass sowie Andrey Konstantinov und Alexey Barshev an den Domras, den Vorfahren der Balaleika-Instrumente. Ein vergnüglicher und leichter Abend.

Heute beim Musikfest in Stuttgart

10 Uhr, Staatsgalerie: Das restaurierte Klangbild. Bachakademie-Leiter Hans-Christoph Rademann und ein Restaurator der Staatsgalerie diskutieren über die Wiederherstellung von historischen Klang- und Bildwirkungen.

13 Uhr, Stiftskirche: Vom Umgang mit Reichtum. Vortrag von Johannes Kärcher. Orgelwerke von Johann Sebastian Bach mit Kay Johannsen.

15 Uhr, Hospitalhof: Henning Bey im Gespräch mit Andreas Staier.

19 Uhr, Neues Schloss, Weißer Saal: Musik von Johann Sebastian Bach, Jean-Henri d’Anglebert, Nicolas de Grigny und François Couperin. Andreas Staier, Cembalo.