Von Angela Reinhardt

Stuttgart - „Supercalifragilisticexpialigetisch“ steht in riesigen Lettern über dem Spiegel des Probensaals - nicht etwa als Motto, sondern weil das Ensemble den Titel dieses berühmtesten Songs aus „Mary Poppins“ mehrfach laut singend buchstabieren muss. Wer das mal eben selbst probieren möchte, wird hoffnungslos scheitern, aber im Apollo-Theater im SI-Centrum herrscht einen Monat vor der Premiere beste Laune.

Ab 23. Oktober soll das berühmteste Kindermädchen der Welt mittels Regenschirm in Möhringen landen. Derzeit werden täglich die großen Tanznummern und humorigen Dialoge geprobt; anders als bei Oper oder Ballett ist neben dem Klavierkorrepetitor auch noch ein Schlagzeuger dabei, damit der Rhythmus schön groovt. Die Probensprache ist Englisch, einstudiert wird die Produktion von Regisseur James Powell und Choreograf Geoffrey Garratt. Sie vertreten seit Jahren die Original-Crew: Richard Eyre, einen der bekanntesten Schauspiel- und Opernregisseure Englands, sowie Matthew Bourne, einst mit seinem männlichen „Swan Lake“ ein Enfant terrible des Balletts und heute der populärste moderne Choreograf der britischen Insel. Diese beiden hatten vor zwölf Jahren die Uraufführung in London inszeniert, auch der Rest des Teams wie etwa Ausstatter Bob Crowley gehören zur Elite ihres Fachs. Produziert wurde die Bühnenversion des berühmten Films von Musicallegende Cameron Mackintosh, der sich dafür mit der Musicalabteilung des Disney-Konzerns zusammentat: Es konnte gar nichts anderes als ein Erfolg werden. Neben den bekannten Filmsongs gibt es auch ein paar neue, selbst an der Handlung wurde ein wenig herumgeschraubt.

Schirm mit Papageienkopf

Nicht geändert hat sich der entzückend schrullige Charakter der Titelfigur: Hauptdarstellerin Elisabeth Hübert trägt stets den bekannten Schirm mit dem Papageienkopf bei sich und verbreitet ihre damenhafte Strenge mit einer ordentlichen Prise Ironie und erstaunlichen Zaubertricks. Nach der deutschsprachigen Erstaufführung in Wien und zehn anderen internationalen Einstudierungen findet Geoffrey Garratt die weite Bühne im SI-Centrum großartig: „Das fühlt sich wie eine feste Heimat an.“

Entgegen der Meinung, dass eine Musicalproduktion immer der exakte Klon vom Broadway oder aus dem West End sein muss, gibt es hier durchaus Abweichungen: „Wir stimmen das auf die jeweilige Kompanie ab“, so Garratt. Er animiert David Boyd, den schon bei den Proben äußerst liebenswerten Darsteller von Schornsteinfeger Bert, doch bitte einmal seine exaltierte Version des Vaudeville-Tanzes im Park vorzuführen, um das Ensemble zu inspirieren: „Es muss aussehen, als ob Bert die Bewegungen gerade für euch erfindet!“

Die Choreografie von Matthew Bourne und Stephen Mear sei „so magisch wie möglich“, erzählt Garrett, außerdem ziemlich verrückt - so reihen sich auch die Statuen im Park mit ein, der Kaminkehrer tanzt einmal rund ums Proszenium und steppt dabei kopfüber hoch in der Luft. Mittendrin in der Probe tummeln sich zwei sehr junge Vollprofis: Der zehnjährige Jannis war im heimischen Weissach in der Theatergruppe seiner Schule und ist nun hier als frecher Michael Banks besetzt, die zwölfjährige Jenny Grace aus Altbach spielt seine vorlaute Schwester. Vielleicht weil ihre erwachsenen Kollegen so respektvoll und cool mit ihnen umgehen, macht den beiden das Proben riesig Spaß: „Wir werden ja von Rotzlöffeln zu Engelchen“, erklärt Jenny Grace mit einem reizend verschmitzten Grinsen ihre Rollen.

Wiedersehen mit Maik Lohse

Der Altersumfang des ungewöhnlich großen Ensembles spiegelt das Zielpublikum wieder: von den zwei selbstbewussten Gören (um deren Erziehung es ja bekanntermaßen geht) bis zu distinguierten Londoner Senioren sind hier sämtliche Altersklassen vertreten, die meisten Figuren haben einen gewissen britischen Spleen. Sogar einen Sachsen hat es in den Londoner Park verschlagen, er pampt am Anfang der Szene den lässigen Bert von der Seite an und entpuppt sich als Maik Lohse, vor 20 Jahren einmal die Erstbesetzung des Chris in „Miss Saigon“. Sollte sich die übermütige Probenstimmung auf die Bühne übertragen, wird es ein lustiger Abend. Und wer beim superlangen Superlativ am Anfang gestolpert ist: Im Film sang die deutsche Synchronstimme von Julie Andrews 1964 noch „Superkalifragilistischexpiallegorisch“, jetzt hat das Wort für die Bühnenversion drei Lettern verloren, weil sonst die Noten beim Buchstabieren nicht mehr aufgegangen wären. Aus dem Kopf kriegt man den Song trotzdem nicht mehr, selbst wenn man ihn zum letzten Mal als Kind gehört hat.

Premiere am 23. Oktober, danach Vorstellungen Dienstag bis Sonntag.