Es ist was faul im Staate Württemberg: Johannes Schüchner als Hamlet (Mitte) mit Tobias Strobel und Nina Mohr. Foto: Patrick Pfeiffer Quelle: Unbekannt

Von Martin Mezger

Esslingen - Ein Witz? Von wegen, wenn auch bisweilen witzig. Wer unter dem Titel „Hamlet - Prinz von Württemberg“ einen schwäbischen Shakespeare-Klamauk oder eine Parodie des Klassikers aller Klassen vermutet, liegt völlig falsch. Zwar hat Jörg Ehni als Autor der Bearbeitung Teile des Originals tatsächlich in schwäbische Blankverse übertragen, aber einen Jux wollte er sich wahrlich nicht machen. Und Regisseur Klaus Hemmerle liegt der Gedanke an eine Parodie des „größten aller Theaterstücke“ sowieso fern. Ehni wie Hemmerle nehmen den aus Shakespeares imaginärem Dänemark ins Hiesige nahegebrachten Hamlet so ernst, wie die Tragödie ist. Und so geht es in der diesjährigen Freilichtinszenierung der Esslinger Landesbühne (WLB), die morgen auf der Maille Premiere hat, ganz wie bei Shakespeare um „Strukturen der Macht“ und deren korrumpierende, verheerende, zerstörende Wirkungen, sagt Ehni.

Mundart macht Macht

Und deshalb durchkreuzt seine Verwendung des Dialekts alle Klischees von Idylle, braver Biederkeit oder humoriger Vertraulichkeit, die mit dem Schwäbischen verbunden sein mögen. Denn gerade die „Machtmenschen“ sind hier nach Mundart gestrickt. Der Brudermörder Claudius, der sich meuchelnd Thron und Gattin des Opfers verschaffte, oder der intrigante Höfling Polonius samt seiner Sippschaft sprechen nicht nur ein familiäres Honoratiorenschwäbisch, sondern denken gewissermaßen auch so: strukturkonservativ, wie man heute sagen würde, machterhaltend oder machterobernd. „Die könnten heute in Stuttgart in der Regierung sitzen oder in irgendwelchen schwäbischen Konzernzentralen“, sagt Ehni, auch wenn er keine „Eins-zu-eins-Bezüge“ beschwören, den Brudermord selbstverständlich im übertragenen Sinne verstanden wissen will. Doch um noch den letzten Gemütlichkeitsrest von der ungemütlichen Absicht der Dialektverwendung zu wischen, erklärt Ehni ausdrücklich: „Das Grauen sitzt im Schwäbischen.“

Was faul ist im Staate Württemberg, treibt die junge Generation um Hamlet um. Sie spricht Hochdeutsch - keinen modischen Jargon, sondern die Übersetzung August Wilhelm Schlegels in, so Regisseur Hemmerle, verschlankter Version. Für Ehni ist die Dialektverweigerung Ausdruck einer Rebellion gegen die alten, verkrusteten und mörderischen Strukturen. Einer Rebellion freilich, die ihr Gesicht verändert hat, seit Ehni vor 40 Jahren die Idee für eine „Hamlet“-Bearbeitung im Geist der unmittelbaren Nach-68er-Ära hatte. Als Professor an der damaligen Esslinger PH leitete Ehni eine Theatergruppe, der unter anderem der spätere Esslinger „Galgenstrick“ Erich Koslowski angehörte. Zusammen mit seinem Kabarett-Kompagnon Herbert Häfele steht er jetzt nicht nur als Totengräber auf der Bühne, sondern auch, wie Hemmerle sagt, als „Landtagsabgeordneter aus tiefschwarzer Provinz“: Bodenpersonal der Großkopfeten, Verkörperung jener schwäbischen Zustände, welche der auf die Aktualität des zeitlos gegenwärtigen Geschehens bedachte Regisseur aufzeigen will. Aber der Generationenkonflikt, das Aufbegehren der Jungen tickt eben in einer „komplexer gewordenen Welt“ anders als vor 40 Jahren, weiß Hemmerle. Für Hamlet „genügt es nicht mehr, mit erhobener Faust auf die Straße zu gehen“. Doch gerade deshalb sei die Hauptfigur so gegenwärtig. Hamlet könne zwar „nicht einfach losschlagen“, aber er sei keineswegs der Zauderer und handlungsblockierte Melancholiker, zu welchem ihn eine romantisierende Shakespeare-Deutung stempelte. Eine genaue Lektüre des Stücks zeige ihn als nachdenklichen, aber beharrlichen Wahrheitsforscher. Kurzum: Er könnte unser Zeitgenosse sein auf der Suche nach Handlungsmöglichkeiten in einer unerträglich komplizierten Situation.

Die Premiere beginnt morgen um 20 Uhr auf der Esslinger Maille. Weitere Vorstellungen am 24., 25., 28. und 29. Juni sowie am 1., 8., 9., 12. bis 16., 20. bis 23. und 27. bis 29. Juli.

Bei unsicherer Wetterlage informiert eine Hotline unter Tel. 0711/3512-3450 an den Vorstellungstagen von 17.30 Uhr bis 19.30 Uhr, ob die jeweilige Aufführung stattfindet.