Werner Mezger, Professor an der Universität Freiburg, sprach in der Zehntscheuer über „Europa als kulturelle Herausforderung“. Foto: Dietrich Quelle: Unbekannt

Von Peter Dietrich

Was ist Europa? Ein Subkontinent der eurasischen Platte, in dem bald nur noch vier Prozent der Weltbevölkerung leben. Der Freiburger Professor Werner Mezger gab in der Zehntscheuer noch viele weitere Antworten auf die Europa-Frage.

Europas Grenzen im Norden, Süden und Westen sind klar. Aber im Osten nicht. Auch jenseits des Ural lebten Menschen, die europäisch aussehen, sagte Mezger. Tschechen würden sich wehren, bezeichnete man ihr Land als Osteuropa, liege doch Prag geografisch im Herzen von Mitteleuropa. Europa bekam seinen Namen aus der griechischen Mythologie von einer Königstochter. Zuerst war damit das Gebiet rund um das Mittelmeer gemeint, dann kam ab dem 7. Jahrhundert der Islam und die nordafrikanische Küste und Spanien fielen erst einmal weg. Europa verschob sich nach Norden, umfasste auch Großbritannien, aber noch nic ht Skandinavien. Lange hießen die Machtzentralen Rom und Konstantinopel. „1453 fällt Konstantinopel an den Islam und Moskau wird ein zweites Rom.“ Seine heutige Gestalt hat Europa also erst Mitte des 15. Jahrhunderts erhalten.

Der Blick auf alte Karten amüsiert, wenn etwa Jerusalem als Nabel der Welt dargestellt wird, an dem Europa wie ein Kleeblatt hängt. Auch heutige Sichtweisen seien vielfältig: Ist Europa ein geografischer Raum, ein geschichtliches Gebilde, ein politischer Verbund, ein wirtschaftlicher Zusammenschluss, eine Wertegemeinschaft, eine kulturelle Einheit? Die Art der Betrachtung habe Folgen, siehe Türkei: Bei der Verteidigung gehöre das NATO-Mitglied zu Europa, wirtschaftlich noch nicht, bei der Wertegemeinschaft auch nicht. Anders als die USA sei Europa vielsprachig, habe verschiedene Identitäten und die politische Landkarte sei bis heute nicht zur Ruhe gekommen, siehe Balkan.

Mezger sprach auf Einladung des Geschichts- und Kulturvereins und der Gemeinde Köngen im Rahmen der Kulturtage. Er outete sich als Befürworter des Euro, auch wenn dieser zum Spaltpilz Europas geworden sei. Er kritisierte aber die fiktiven Bilder auf den Scheinen als „in Auftrag gegebene Bilder der Identitätslosigkeit“. Warum nicht echte Motive wie den Petersdom, den Eiffelturm und das Brandenburger Tor? Die solidesten Baustile hätten den kleinsten Nominalwert: fünf Euro für die Antike, 500 Euro für vergängliche Glaspaläste. Die Einführung des Euro hätte kultursensibler erfolgen müssen: „Mit Geld wird sehr unterschiedlich umgegangen.“ Das zeige sich bis in die Sprache: Im Deutschen seien „Schuld“ und „Schulden“ sehr nahe, der Engländer unterscheide zwischen der finanziellen „debt“ und der moralischen „guilt“.

Theodor Heuss habe die drei Wiegen Europas auf Golgatha, der Akropolis und dem Kapitol in Rom gesehen. „Die Griechen hätten die Ehrenmitgliedschaft in der EU verdient.“ Die Einstellung zu Europa zeige sich auch in der Umsetzung des Brüsseler Vorschlags, in den Städten Europaplätze zu benennen. Fotos wie vom hässlichen Tübinger Busbahnhof sprachen Bände.

Seine härteste Kritik formulierte Mezger als „Veralzheimerung des kulturellen Gedächtnisses“. Manche seien noch stolz drauf, so wenig über ihre Kultur zu wissen. Den Vorfahren hätten Skulpturen noch etwas gesagt: „Heute schweigen uns die Steine an.“ Auf das enorme gemeinsame kulturelle Kapital müsse sich Europa besinnen. „Das geht nur, wenn man sich um die eigenen Ressourcen kümmert.“