Marlis Haller will behinderten Menschen auf Augenhöhe begegnen. „Hilfe zur Selbsthilfe leisten“ ist ihr großes Ziel. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Elisabeth Maier

Menschen mit Behinderungen möchte Marlis Haller „auf Augenhöhe“ begegnen. Der Diplom-Pädagogin ist es besonders wichtig, „ihnen die Teilhabe auf möglichst vielen gesellschaftlichen Ebenen“ zu ermöglichen. Für die neue Beauftragte für Menschen mit Behinderungen des Landkreises Esslingen führen da Hilfsangebote alleine nicht weiter. Sie wolle „den Sensibilisierungsprozess stärken“, denn viele Menschen täten sich sehr schwer im Umgang mit Behinderten. Da will sie gezielt Vorurteile abbauen.

Mit der Schaffung der neuen Informations-, Beratungs- und Beschwerdestelle (IBB) kommt der Landkreis der gesetzlichen Verpflichtung nach. Die Landesregierung Baden-Württembergs verpflichtete mit dem neuen Gleichstellungsgesetz die Stadt- und Landkreise dazu, Beauftragte für Behinderte zu bestellen. Eine Beratungsstelle für psychisch kranke Menschen leistet bereits seit Jahren erfolgreiche Arbeit. Marlis Haller kümmert sich nun um die Sorgen und Nöte von Menschen mit Behinderungen. Sie wolle „Hilfe zur Selbsthilfe“ leisten, sagt die Pädagogin, die seit 25 Jahren mit behinderten Menschen arbeitet. Nach dem Studium habe sie „das Thema nicht losgelassen“.

Zuletzt war sie bei den Gemeinnützigen Werkstätten und Wohnstätten (GWW) mit Hauptsitz in Sindelfingen beschäftigt. Dort leben und arbeiten Erwachsene mit unterschiedlichen Behinderungen. In der täglichen Arbeit habe sie gelernt, mit Menschen zu kommunzieren, die eben anders seien. „Es geht darum, gemeinsam mit ihnen herauszufinden, was sie wirklich wollen.“ Nur so sei ihre selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben möglich, ist sie überzeugt.

Besondere Fähigkeiten fördern

Wie das funktioniert? „Ich will die Menschen mit ihren besonderen Fähigkeiten wahrnehmen und fördern“, sagt Haller. Als Bespiel nennt sie ein Projekt der GWW mit jungen Erwachsenen, die einen Porsche-Traktor umgebaut haben. Da durfte jeder nach Kräften mitarbeiten. Ehrenamtliche und technisch versierte Mitarbeiter der Einrichtung halfen den Teilnehmern dabei, ihr ambitioniertes Projekt umzusetzen: „Am Ende waren einfach alle sehr stolz.“

Inklusion auf allen gesellschaftlichen Ebenen ist für Marlis Haller in den kommenden Jahren eine der ganz großen Herausforderungen für die Gesellschaft. Da gehe es vor allem darum, Vielfalt zuzulassen. „Davon profitiert die Gesellschaft mehr, als es mancher im Blick hat.“ Haller kämpft seit Jahren dafür, „dass wir Menschen mit einer Behinderung als ebenso normal erleben wie uns selbst.“ Dieses inklusive Denken muss sich aus ihrer Sicht in allen Lebensbereichen durchsetzen. Aber das sei ein langer, schwieriger Prozess, sagt die Fachfrau.

Barrierefreiheit im Alltag

Und obwohl sie findet, „dass der Kreis Esslingen insgesamt gut unterwegs ist, was die Barrierefreiheit angeht“, gilt es aus ihrer Sicht, noch sehr viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Und sie sieht trotz aller guten Ansätze immer wieder Mängel. In den kommenden Wochen will sie mit den Vertretern der Kommunen Kontakt suchen und ausloten, wie die Situation behinderter Menschen verbessert werden kann. Barrieren für behinderte Menschen gibt es aus ihrer Sicht in vielen Bereichen - das fängt mit Internetseiten in schwer verständlicher Sprache an und geht weiter mit zu hohen Gehsteigen oder mit Gebäuden, zu denen Behinderte keinen Zugang haben. „Es ist viel passiert“, findet Haller, aber aus ihrer Sicht gilt es noch manches zu verbessern.

Bei Marlis Hallers Vorstellung im Sozialausschuss des Kreistags brachte VdK-Vertreter Wolfgang Latendorf das Thema öffentlicher Nahverkehr zur Sprache. Aus seiner Sicht sind nicht nur in den S-Bahnen die Höhenunterschiede für körperbehinderte Menschen zu groß. Auch in vielen Bussen sei es für sie problematisch, ein- und auszusteigen. Da will Haller Defizite aufzeigen und nach Lösungen suchen. Großen Wert legt sie da auf den Austausch mit „den vielen aktiven Verbänden und Initiativen im Landkreis, die sich für die Belange behinderter Menschen einsetzen.“ Ihr sei daran gelegen, das Netzwerk im Landkreis Esslingen weiter zu entwickeln.

Kommunikation ist Haller sehr wichtig. Da helfe ihr die Zusatzausbildung als Systemische Familienberaterin. Sie will in erster Linie eine Ansprechpartnerin für alle behinderten Menschen sein, mit ihnen eine gemeinsame Sprache finden. Da gibt es aus ihrer Sicht große Unterschiede, was den Grad der Behinderung angeht. „Es ist zunächst einmal sehr wichtig, zuzuhören und sich auf die Erfahrungswelt des Anderen einzulassen“, ist die Pädagogin überzeugt. Auch mit geistig behinderten Menschen lasse sich gut kommunizieren, „wenn wir uns verständigen können“. Da sieht sich auch die sensible Behindertenbeauftragte in einem täglichen Lernprozess.

Behindertenbeauftragte im Land

Pflicht für die Kommunen: Baden-Württemberg war 2014 das erste Bundesland, das die 44 Stadt- und Landkreise verpflichtete, Behindertenbeauftragte zu bestellen. Sie sollen Menschen mit Behinderungen helfen, ihre Rechte durchzusetzen und für unterschiedliche Anliegen ansprechbar sein.

Landesförderung für Ansprechpartner vor Ort: Die Bestellung von unabhängigen und weisungsungebundenen ehrenamtlichen Beauftragten fördert das Land mit 36 000 Euro pro Kalenderjahr, im Fall der hauptamtlichen Aufgabenwahrnehmung erhöht sich die Pauschale auf 72 000 Euro.

Anlaufstelle für behinderte Menschen im Kreis Esslingen: Marlis Haller, die Beauftragte für behinderte Menschen im Landratsamt Esslingen, will Hilfe zur Selbsthilfe leisten und Netzwerke pflegen. Sie ist zu erreichen unter Tel. 07 11/39 02-20 49, (Telefax 0711739025-2049). Ihre Mailadresse ist haller.marlis@lra-es.de