„Mir ist klar geworden, wie dünn die Grenze ist, die mich vom Tod trennt“, sagt Pfarrer Christoph Reusch. Mit seiner Frau Cornelia war er im Oktober 2015 bei einem Autounfall auf Kreta schwer verunglückt. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Harald Flößer

Mit seiner Gemeinde Weihnachten zu feiern, ist für jeden Pfarrer ein Höhepunkt im Kirchenjahr. Doch dieses Jahr war der Gottesdienst an Heiligabend für Christoph Reusch etwas ganz Besonderes. Denn der evangelische Seelsorger ist vor gut einem Jahr bei einem Autounfall auf Kreta nur knapp dem Tod entkommen. Dass er vor dem Ruhestand seine Gemeinde in Hohengehren noch ein komplettes Jahr begleiten darf, empfindet er als Geschenk Gottes. Und die Zeit, die ihm bis Ende April dafür bleibt, genießt Reusch, wie er sagt, mit großer Dankbarkeit. Ähnliche Gedanken empfindet seine Frau Cornelia. Die Altenseelsorgerin saß mit im Unfallwagen und hatte ebenso schwer unter den Folgen zu leiden.

Es war in den Herbstferien 2015. Reuschs wollten sich eine Auszeit gönnen und in die griechische Insel Kreta entdecken. Auf dem Weg vom Flughafen zum Hotel krachte ihnen ein entgegenkommendes Auto frontal in den Mietwagen. Nur mit Glück überlebten die beiden den von einem 47-jährigen Kreter verschuldeten Unfall.

Lange Leidensgeschichte

Bei ihm klappt wegen mehrerer Rippenbrüche ein Lungenflügel zusammen. Lebensgefahr. Schien- und Wadenbein des rechten Unterschenkels sind jeweils zweimal gebrochen. Cornelia Reusch erleidet einen Wirbelbruch im Lendenbereich. Weil eine innere Blutung zu befürchten ist, entschließen sich die Ärzte zu einer Bauchoperation.

Für beide Seelsorger folgt eine lange Leidensgeschichte. Die Wunden, die körperlichen wie die seelischen, heilen nur langsam. „Die Knochen wollten nicht so richtig zusammenwachsen“, erinnert sich Christoph Reusch. Bis Ende April sind sie krankgeschrieben. Seine Arbeit in der Gemeinde ruht, fast ebenso lange ist seine Frau, die im geriatrischen Zentrum in der Kennenburg arbeitet, außer Gefecht gesetzt. „Nach so einem Unglück lernt man das Leben noch mehr schätzen“, sagt Reusch rückblickend. „Mir ist klar geworden, wie dünn die Grenze ist, die mich vom Tod trennt.“ Unverschuldet von einer auf die andere Sekunde aus allem herausgerissen zu werden, sei eine heilsame Erfahrung. Seither lebe er viel bewusster. Am Anfang sei nach zwei oder drei Stunden Arbeit „die Luft schon wieder raus gewesen“. Doch es sei sehr schön, am eigenen Leib zu erfahren, wie die Kräfte wieder kommen. „Seit September sind wir wieder richtig fit“, berichtet der 65-Jährige.

Ende Oktober, ein Jahr nach dem Unfall, luden die Reuschs zu einem großen Dankeschönfest ein. Um die 40 Frauen und Männer aus der Gemeinde hatten sich rührend um das Pfarrerehepaar gekümmert. Unter anderem wurden sie regelmäßig mit Essen versorgt.

Wie seine Cornelia ist Christoph Reusch zum Glück längst wieder bei Kräften. Weihnachten musste er gleich doppelt feiern, denn die Pfarrstelle in der benachbarten Gemeinde Baltmannsweiler ist noch unbesetzt. Konfirmation, Ostern -alles will er noch einmal bewusst feiern. „Das ist wichtig für mich“, sagt Reusch. „Ich bin so froh, dass ich nicht jäh aus meinen Aufgaben herausgerissen wurde. Das wäre bitter gewesen.“ Reusch hat eine 75-Prozent-Stelle im Gemeindedienst. Daneben macht er die Öffentlichkeitsarbeit für den evangelischen Kirchenbezirk Esslingen.

Neuer Anlauf für Kreta-Urlaub

Während er Ende April in den Ruhestand geht, hat seine Frau noch vier Berufsjahre vor sich. Auf dem Schurwald fühlen sie sich wohl. Deswegen haben sie sich für den Ruhestand eine Doppelhaushälfte in Hohengehren gekauft. Im Juni tritt ein neuer Seelsorger im Dorf seinen Dienst an. Benjamin Braitmaier bekommt als Pfarrer zur Anstellung eine 50-Prozent-Stelle. Froh ist Reusch, dass ab März mit Jonathan Dörrfuß (29) auch die seit langem vakante Pfarrstelle in Baltmannsweiler wieder besetzt wird.

Dem 47-jährigen Griechen, der sie beinahe aus dem Leben gerissen hätte, haben Reuschs längst verziehen. Wenige Tag nach dem Unfall war er mit einer Riesenpizza und zwei Bildbänden von der Insel humpelnd am Krankenbett in der Klinik von Heraklion erschienen. Zu Weihnachten habe er eine nette Karte geschrieben, berichtet Christoph Reusch. Trotz der negativen Erlebnisse haben er und seine Frau Kreta nicht abgeschrieben. „Wahrscheinlich werden wir im Herbst noch einmal hinfliegen.“