Die Skulpturen für Kirchenräume hat der 84-jährige Künstler Gerhard Tagwerker in seinem Atelier in Echterdingen geschaffen. Foto: Rapp-Hirrlinger Quelle: Unbekannt

Von Ulrike Rapp-Hirrlinger

Seine Kunst ist Knochenarbeit. Und doch steht der Bildhauer Gerhard Tagwerker auch mit 84 Jahren noch täglich in seinem Atelier in der Scheune seines selbst restaurierten Fachwerkhäuschens in Echterdingen. „Unkraut verdirbt nicht“, sagt er. Stein bearbeitet er nur noch selten. Da machten Bandscheiben und Schulter nicht mehr mit. Er erzählt auch von einer gerade gut überstandenen Herz-OP. Bronze, Holz („aber dann harte Eiche“) und Keramik bevorzugt er heute.

Vor allem sakrale Kunst hat es Tagwerker angetan - von der Gestaltung einzelner Skulpturen, Altären, Tabernakelstelen, Taufsteinen, Kreuzen oder sogar Messgewändern bis hin zu Gesamtkonzepten für Kirchen. Weit über 100 vorwiegend katholische Kirchenräume hat er in Deutschland gestaltet, etliche weitere im Ausland. Aber auch Denkmale, Brunnen, Grabstätten oder Fassaden von öffentlichen Gebäuden hat Tagwerker geschaffen - mit abstrakten wie figürlichen Darstellungen.

Experte für Gotik

1932 im österreichischen Klagenfurt geboren, wuchs Tagwerker in Böhmen bei den Großeltern auf. Er entging 1945 während der Vertreibung durch die Tschechen nur knapp dem Tod - dank seiner österreichischen Staatsbürgerschaft, die er bis heute hat. In Bamberg absolvierte der junge Mann zunächst eine Ausbildung als Steinbildhauer und Stuckateur. Dann arbeitete als Restaurator in Kirchen und Schlössern, unter anderem in der Residenz in Würzburg. Nebenbei studierte er dort am Jazz-Konservatorium Posaune, Schlagzeug und Bass und begegnete unter anderem Yehudi Menuhin, Louis Armstrong und Benny Goodman. Anfang der 50er-Jahre zog es Tagwerker nach Stuttgart, wo er als Experte für Gotik beim Wiederaufbau von Stifts- und Hospitalkirche gefragt war. Sein Freund Otto Herbert Hajek riet ihm zum Kunststudium, das Tagwerker, damals schon verheiratet und Vater eines Sohnes, mit Jazz-Auftritten finanzierte. Paul Kuhn und Erwin Lehn gehörten zu seinen Freunden.

Seit 1963 arbeitet er als freier Bildhauer. Viele Kirchen in Stuttgart tragen seine Handschrift, aber auch in Filderstadt und in Leinfelden-Echterdingen, wo er seit Jahrzehnten lebt und arbeitet, finden sich viele seiner Werke. Die künstlerische Konzeption von St. Raphael in Echterdingen stammt ebenso von ihm wie das bronzene Stephanus-Relief in der gleichnamigen Kirche, das Gefallenendenkmal oder der Rathausbrunnen. In St. Albertus in Oberesslingen hat er die Altaranlage und den Kreuzweg gestaltet. Dass die 1976 entstandene Altarausstattung in St. Josef in Esslingen-Wäldenbronn der Renovierung 2003 zum Opfer fiel, schmerzt den Künstler.

Die Theologie hat Tagwerker früh interessiert. Impulse für beides kamen von der frommen böhmischen Großmutter. Bevor ein Werk entsteht, befasst er sich mit dem theologischen Kontext und den dargestellten Personen. So etwa mit der zum katholischen Glauben konvertierten Jüdin Edith Stein. Ihr Denkmal mit Kreuz und siebenarmigem Leuchter steht nicht nur in Tagwerkers Atelier, sondern auch im Geistlichen Zentrum der Erzdiözese Freiburg.

Der Glaube ist für den Menschen Tagwerker eine ständige Auseinandersetzung: „Ob ich fromm bin, weiß ich nicht. Ich kämpfe immer noch.“ Auch für den Künstler Tagwerker stellt sich die Frage: „Wie Gott begreifen?“ Er glaube fest an einen transzendenten Einfluss, der auch sein künstlerisches Schaffen lenke. Nur so könne er „dem Unsagbaren Gestalt geben“. Dass er 1980 Papst Johannes Paul II. bei dessen Besuch in München treffen durfte, bewegt Tagwerker noch heute. „Ich fiel aus allen Wolken, als die Einladung kam.“ Den Papst hat er dann sehr volksnah und zugewandt erlebt.

Tagwerker ist ein bescheidender Mensch, der lieber Bildhauer als Künstler genannt werden möchte: „Ist das Kunst, was ich mache? Man wird erst 100 Jahre nach meinem Tod sehen, was wirklich geblieben ist.“ Kirchen, so ist er überzeugt, verlangen eine dienende Kunst. Das beutete auch, dass sich der Künstler nicht in den Mittelpunkt stelle. Er sei ein eher widerwilliger Ausstellungskünstler. Da hält er es lieber mit Walter Gropius: „Kunst gehört an den Bau.“ Davon gebe es heute leider viel zu wenig.

Tagwerker ist überzeugt, dass Kunst Spaß machen muss. Das war ihm auch wichtig, als er von 1972 bis 1997 nebenberuflich als Kunstlehrer am Filderstädter Eduard-Spranger-Gymnasium Kunst unterrichtete und eine Jazz-AG gründete. Mit einigen seiner ehemaligen Schüler verabredet er sich noch immer zum Musik machen. Zur diamantenen Hochzeit des Ehepaars Tagwerker im August wollen sie wieder spielen. Über Besuch in seinem Atelier freut sich der Künstler.

Werke von Gerhard Tagwerker sind bis zum 4. November in der Gruppenausstellung „Bange Stunde“ in der Handwerkskammer Region Stuttgart zu sehen.