„Die heilige Gemeinde Württemberg - Synagoge Esslingen“ ist in hebräischen Buchstaben unten auf der Thorakrone zu lesen. Quelle: Unbekannt

Von Dagmar Weinberg

Der Beginn des jüdischen Jahres gleicht einem wahren Feiertags-Marathon. Denn im Monat Tischri (September-Oktober) stehen gleich vier Festtage im Kalender. Rosch-ha-Schana markiert den Anfang des neuen Jahres. Heuer hat die jüdische Gemeinde am 3. und 4. Oktober das Jahr 5777 begrüßt. Mit dem jüdischen Neujahrsfest beginnen die „Zehn Tage der Umkehr“. Sie sind durch Buße und Versöhnung mit den Mitmenschen gekennzeichnet. Der Höhepunkt und zugleich letzte der zehn Bußtage ist Jom Kippur - der höchste Feiertag der Juden. Wenige Tage später beginnt bereits Sukkot. Das siebentägige Laubhüttenfest wird zurzeit im Hof der Esslinger Synagoge in einer großen Sukka gefeiert. Der Abschluss des Laubhüttenfestes wird in der Diaspora an zwei Tagen begangen: Am 24. Oktober steht der Feiertag Schmini Azeret im Kalender, tags darauf dann Simchat Tora, was übersetzt Freude der Thora heißt.

Ein Jad aus purem Silber

„Das sind fröhliche Tage für uns“, sagt der Esslinger Rabbiner Yehuda Pushkin. In diesem Jahr haben er und die Mitglieder der Gemeinde erst recht Grund zur Freude. Denn an Simchat Tora wird zum ersten Mal mit der neuen Thorarolle getanzt. Gut 40 000 Euro hatte ein breites Bürgerbündnis aus Esslingen und der Region für das jüdische Buch der Bücher gespendet. Seitdem die neue Schriftrolle im Alten Rathaus vollendet und in einem feierlichen Umzug in die Esslinger Synagoge gebracht worden ist, hat der Esslinger Rabbiner die Thora zu den Gottesdiensten an Sabbat und natürlich an den hohen Feiertagen aus dem Schrein heraus gehoben und daraus gelesen. „Weil sie größer ist als meine eigene Thorarolle, die wir bisher benutzt haben, sind auch die Buchstaben größer und die Spalten breiter“, beschreibt er. „Das Pergament ist heller, die Buchstaben kontrastieren also mehr und so ist es viel leichter, daraus zu lesen. Das habe ich vor allem an Jom Kippur gemerkt. Denn da gibt es einiges zu vorzulesen.“ Damit der Rabbiner beim Lesen „nicht die Zeile verliert“, gehört zur Thorarolle ein Jad. „Das ist hebräisch und heißt Hand.“ Wie die Rolle ist auch der neue Thorafinger größer als der, den der Geistliche bisher benutzt hat. „Außerdem ist unser neuer Jad aus echtem Silber.“

Die „alte“ Thorarolle samt Jad benutzt der Esslinger Geistliche aber auch weiterhin - zum Beispiel, „wenn an den Feiertagen Texte von unterschiedlichen Stellen kommen“, erklärt er. „Wenn man dann zwei Thorarollen zur Verfügung hat, muss man nicht so viel hin- und herrollen.“

Viel gelesen wird auch an Simchat Tora. Denn an diesem Tag endet der Zyklus der 54 Thora-Abschnitte, die innerhalb eines Jahres jeweils am Sabbat gelesen werden. So wird am kommenden Dienstag also der letzte Abschnitt des fünften Buches Mose gelesen. „Der Abschnitt spricht vom Segen, den Mose den Kindern Israel erteilt hat“, erklärt Yehuda Pushkin. Da Simchat Tora Sinnbild für die fortwährende Treue zum Pentateuch ist, wird an diesem Tag aber nicht nur der Schluss verlesen, sondern sofort wieder mit dem ersten Abschnitt des ersten Buchs der Thora begonnen. „Dadurch bringen wir zum Ausdruck, dass das Lesen der Thora kein Ende haben soll.“

Sieben Mal durch die Synagoge

In der Esslinger Synagoge wird das Freudenfest schon am kommenden Montagabend beginnen. „Schmini Azeret ist der einzige Tag, an dem wir nachts aus der Thora vorlesen“, erzählt der Rabbiner. Am Morgen von Simchat Tora werden dann alle männlichen Gemeindemitglieder und auch die Kinder zur Thora aufgerufen. Sie kommen zur Bima (das Lesepult, auf das die Rolle gelegt wird) „und sagen Segenssprüche“. Seit dem 16. Jahrhundert ist es üblich, an diesem Tag alle Thorarollen aus dem Schrein zu nehmen und sie unter Gesang und Tanz sieben Mal durch die Synagoge zu tragen. „Nach dem Gottesdienst machen wir dann einen Kiddusch mit dem Segen, Wein und Brot.“ Wie an jedem Feiertag kommt die Gemeinde anschließend zu einen gemeinsamen Essen zusammen.

Das nächste große jüdische Fest steht mit Chanukka dann erst wieder im Dezember an. In diesem Jahr wird Yehuda Pushkin an Heiligabend das erste Licht der Chanukkiah, des achtarmigen Leuchters, entzünden.

Seit dem Hochmittelalter haben Menschen jüdischen Glaubens die Kultur und die Wirtschaft Esslingens mitgeprägt. Die Nationalsozialisten haben die jüdische Gemeinde in Esslingen ausgelöscht. Vor allem Zuwanderer aus den GUS-Staaten prägen die heutige Gemeinde, die mehr als 300 Mitglieder hat. In der EZ-Serie „Jüdisches Leben in Esslingen“ werden verschiedene Aspekte des jüdischen Alltags sowie Menschen vorgestellt, die sich in der Gemeinde engagieren.