Damit das Ingenieurstudium nicht an Mathe scheitert, hilft Professor Kai André Böhm den Studierenden auf die Sprünge.       Foto: Rudel - Rudel

Von Dagmar Weinberg

Die ersten Vorlesungen, Seminarstunden und Übungen liegen längst hinter den rund 1200 jungen Frauen und Männern, die in diesem Semester an der Hochschule Esslingen ins Studium gestartet sind. „Wir hoffen natürlich, dass alle ihr Studium bei uns erfolgreich abschließen“, sagt Professor Thomas Brunner, Prorektor für Lehre und Qualitätsmanagement. Aus Erfahrung weiß er aber, „dass wir auch bei diesen Erstsemestern wieder einen Schwund haben werden“. Exakte  Zahlen oder gar Erhebungen, warum es zum Abbruch des Studiums kommt, gibt es an der Esslinger Hochschule nicht. „Das liegt auch daran, dass sich in vielen Fällen die Studierenden einfach nicht mehr zurückmelden und deshalb exmatrikuliert werden. Wir erfahren somit also nicht die Gründe für den Abbruch des Studiums, sofern sie überhaupt abgebrochen haben.“ Denn es könne auch sein, dass das Studium einfach an einer anderen Hochschule fortgesetzt wird.

Manchmal scheitert es am Geld

Bezogen auf alle Studiengänge geht der Prorektor von einer Abbrecherquote „um die 20 Prozent“ aus. In der Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege seien es etwa zehn Prozent, in anderen Fachbereichen dafür mehr. „Wir müssen Wege finden, um den Schwund zu mindern“, erklärt Thomas Brunner und weiß sich mit Christel Althaus, Professorin an der Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege sowie Leiterin der Zentralen Studienberatung, einig. „In der Studieneingangsphase entscheidet sich viel“, sagt sie. „Deshalb ist es wichtig, die Studierenden in dieser Zeit intensiv zu begleiten.“ So hat das „HEllo“-Projekt der Hochschule dann auch zuvorderst die Anfängerinnen und Anfänger im Blick (siehe Anhang).

Aber auch höhere Semester sind vor einem Abbruch des Studiums nicht gefeit. Und nicht jeder verlässt die Hochschule heimlich, still und leise. Wenn es gut läuft, suchen  potenzielle Studienabbrecher zunächst in der Zentralen Studienberatung Rat. „Bei uns muss niemand ohne Perspektive die Hochschule verlassen“, verdeutlicht Christel Althaus. Aus ihrer täglichen Arbeit weiß Katharina Simon von der Zentralen Studienberatung, „dass der Studienabbruch ganz unterschiedliche Ursachen hat“. Mal ist es eine versemmelte Prüfung und die Angst, das Bachelorstudium nicht in der Regelstudienzeit von sieben Semestern zu schaffen, mal der Wunsch, in einem anderen Fach sein Studium fortzusetzen (auch der Wechsel des Studienfaches gilt als Abbruch).

„Es sind aber auch familiäre oder finanzielle Gründe. Wir haben viele Studierende, die bereits älter sind und oft auch Familie haben. Da ist die finanzielle Belastung schon extrem“ – selbst dann, wenn es noch BAföG gibt. Denn das reiche selbst den jungen und familiär Ungebundenen nicht, um das Studentenleben zu finanzieren. „In keinem anderen europäischen Land ist der Schul- und Berufserfolg so deutlich abhängig von der sozialen Herkunft wie in Deutschland“, verdeutlicht Christel Althaus.

Dass etwa die Hälfte der Studierenden über den zweiten Bildungsweg an die Hochschule kommt, merkt Steffen Greuling, Dekan der Fakultät Maschinenbau, vor allem bei den Matheklausuren. Für die Abiturienten sei Mathematik in der Regel kein Problem. „Die Studierenden, die aus dem Berufskolleg oder als Meister zu uns kommen, tun sich aber oft schwer.“ Um zu verhindern, dass das Ingenieurstudium an Mathe scheitert, bietet die Hochschule unter anderem Förderkurse an. „Wir müssen aber damit leben, dass wir einen gewissen Prozentsatz haben, der nicht bei uns ausgebildet werden kann“, bedauert der Dekan. Manchen Studierenden mangelt es jedoch weniger an den schulischen Grundlagen, als vielmehr an der Vorstellungskraft. „Sie erfüllen zwar die Eingangsvoraussetzungen, haben sich aber nur  für Maschinenbau oder Fahrzeugtechnik entschieden, weil ihr Vater das auch studiert hat. Wie der Beruf und das Studium aussehen, davon haben sie jedoch keine Ahnung“, sagt Steffen Greuling. 

Gefühlter und realer Druck

Immer öfter suchen Studierende in der Zentralen Studienberatung Rat, bei denen Katharina Simon merkt, „dass sie extrem unter Druck stehen“ und Angst haben, dem nicht mehr standhalten zu können. „In der heutigen Zeit wird den jungen Leuten keine Orientierungsphase mehr zugestanden“, sagt Christel Althaus. „Man will sie mit 21 oder 22 auf dem Arbeitsmarkt haben. So werden sie erzogen.“ Da sei es kein Wunder, dass sie durchs Studium hetzen, ohne nach rechts und links zu schauen.

„Das ist aber nur ein gefühlter Druck, den sie sich oft selbst machen“, gibt Steffen Greuling zu bedenken. Denn aus der Industrie hören er und seine Kollegen: „Wir wollen keine 22-jährigen, stromlinienförmigen Hochschulabsolventen, sondern lebenserfahrene Leute.“ Eine Aussage, die Thomas Brunner bestätigt. „Mit einem 21-jährigen Konkurrenzler kann  niemand etwas anfangen. Denn im Beruf sind auch Fähigkeiten wie zum Beispiel Teamarbeit gefragt.“ Doch der Druck, der manche an ihrer Entscheidung für ein Studium zweifeln lässt, ist nicht nur imaginär. „Die Anforderungen in der Industrie werden immer komplexer“, berichtet Steffen Greuling. „Wir müssen also das Studium mit immer mehr Inhalten füllen, bekommen aber nicht mehr Zeit dafür.“

Hochschule sagt „HEllo“

Förderung: Das Projekt „Hochschule Esslingen: leben – lernen – orientieren“, kurz HEllo, wird drei Jahre lang vom baden-württembergischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst mit 682000 Euro gefördert. „Die Erhöhung der Erfolgsquote von Studierenden und damit die Vermeidung von Studienabbrüchen ist erklärtes Ziel der Landesregierung und der Hochschulen“, sagt Professorin Christel Althaus, die das Projekt koordiniert. Forschungen haben Probleme zutage gefördert, die zum Studienabbruch führen – etwa Leistungsschwächen, die Finanzierung, die Vereinbarkeit von Studium und Privatleben (zum Beispiel Familie) oder Schwierigkeiten, sich zu motivieren. Auch unzureichende Studienbedingungen können zum Abbruch des Studiums führen. An diesen Punkten setzt HEllo an.

Beratung: Sowohl bei Informationsabenden als auch über das Online-Forum „Frag-uns-Studis“ sowie in den Fakultäten der Hochschule Esslingen sollen bereits vor Beginn des Studiums Informationen über die einzelnen Studiengänge sowie die Bewerbungsmodalitäten zur Verfügung gestellt werden. Für all jene, die an einem Studium interessiert sind, aber noch nicht wissen, wohin beruflich die Reise gehen soll, werden sogenannte Kompetenzanalysen angeboten.

Willkommenskultur: Da vor allem viele Studienanfänger ihre Hochschulausbildung abbrechen, sollen zu Studienbeginn Zugehörigkeit und Zusammenarbeit gestärkt und Lernorientierung gegeben werden. So will man im Rahmen für jeden Studiengang einen „Baukasten“ bereitstellen, der es Erstsemestern ermöglicht, sich rasch mit der Hochschule vertraut zu machen. „Das soziale Miteinander gibt Sicherheit und fördert den Zusammenhalt in den Semestergruppen“, erklärt Christel Althaus, die immer auch die ausländischen Studienanfänger im Blick hat. Studierende mit und ohne Migrationserfahrung sollen darin geschult werden, Erstsemester individuell zu begleiten. Zudem will die Hochschule Kurse zu Themen wie Lerntechniken oder Prüfungsangst anbieten.

Unterstützung: Da ein Studium ein hohes Maß an Selbstorganisation und Selbstdisziplin erfordert, „sind innovative Konzepte gefragt, die das Lernen erleichtern“, sagt Christel Althaus. Seit Jahren bietet die Hochschule vor Beginn des ersten Semesters Mathematik-Vorkurse an. Um Studierende fachlich zu fördern, setzt sie auf Tutorinnen und Tutoren. Damit gegebenenfalls Wissenslücken aufgearbeitet werden können, sollen freiwillige Tests und Probeklausuren angeboten werden. Das Angebot an Online-Vorlesungen, Übungen und Selbsttests am Computer soll ausgebaut und eine Nachhilfe- und Lerngruppen-Börse eingerichtet werden. Auch sprachlich sollen die Studienanfänger gefördert werden – und zwar nicht nur all jene, die aus dem Ausland kommen.