Das Danfoss-Areal in Esslingen. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Die Entwicklung einer Stadt hängt unter anderem davon ab, über welche Bauflächen sie verfügen kann. Das gilt für neue Wohnungen ebenso wie für Gewerbeansiedlungen. In einer kleinen Serie wird die EZ der Frage nachgehen, welches Entwicklungspotenzial es für Gewerbeflächen in einzelnen Städten und Gemeinden des Landkreises Esslingen gibt. Zum Auftakt des Themenschwerpunktes erläutert Oberbürgermeister Jürgen Zieger im Interview vor allem die Perspektiven für Esslingen.
Wir diskutieren über den Mangel an Flächen für den Wohnungsbau in Esslingen. Gleichzeitig läuft die Stadt Gefahr, in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung gehemmt zu werden, weil Gewerbeflächen fehlen. Wie groß schätzen Sie diese Gefahr ein?
Zieger: Die Gefahr ist gegeben. Aber das ist nicht nur ein Esslinger Problem, denn es gilt für das gesamte Gebiet des Verbandes Region Stuttgart mit mehr als 2,5 Millionen Einwohnern. Auch in meiner Eigenschaft als Aufsichtsratsmitglied der Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Region befasse ich mich mit dem Thema. Wir mahnen öffentlich, dass die Flächenressourcen für Gewerbeneuansiedlungen in der Region erschöpft sind. Das gilt in gleichem Maße auch für Esslingen.
Aus Esslingen sind immer wieder Firmen abgewandert, weil sie für sich keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr in der Stadt gesehen haben. Hat die Verwaltung zu wenig unternommen, um diese Firmen zu halten?
Zieger: Wenn eine Firma den Standort verlässt, hat das ganz unterschiedliche Gründe. In der Regel haben die Firmen klare Vorstellungen über die Größe ihres Unternehmens oder über die logistische Anbindung. Wenn wir diesen Vorstellungen nicht nachkommen können, dann müssen wir auch damit leben, dass Firmen die Stadt verlassen. Ich lege aber Wert auf die Feststellung, das verlassene Flächen in aller Regel sofort wieder durch andere Firmen aufgefüllt werden.
Von der Wirtschaft wird kritisch verfolgt, wie lange es dauert, die vakante Position des städtischen Wirtschaftsförderers wieder zu besetzen, der auch die Aufgabe hat, Unternehmen von den Standortqualitäten Esslingens zu überzeugen. Nehmen Sie diese Kritik an?
Zieger: Natürlich kann ich die Kritik verstehen. Ich gehe davon aus, dass wir Ende dieses Monats wissen, wer der neue Wirtschaftsförderer sein wird. Davon abgesehen findet Wirtschaftsförderung natürlich statt. Für die Kollegen Bürgermeister und mich gehört dies zur Grundaufgabe, und wir sind auch erfolgreich. Das kann man anhand der aktuellen Entwicklung in der Stadt auch verfolgen. Aber es bleibt dabei: Die Stelle soll so schnell wie möglich wieder besetzt werden.
Städte und Gemeinden in der Region haben während der vergangenen Jahre bei den Gewerbeansiedlungen deutlich zugelegt. Das betrifft zum Beispiel Neuhausen und sogar das kleine Baltmannsweiler. Wie schaffen es solche Kommunen, sich so positiv zu entwickeln?
Zieger: Die kleineren Gemeinden um die Mittelzentren herum profitieren von deren Infrastruktur und von den Vorteilen, die solche Mittelzentren oder das Oberzentrum Stuttgart den Unternehmen bieten. Deshalb können sie erfolgreich in der Gewerbeansiedlung sein. Wirtschaftsförderung ist allerdings mehr, als nur Flächen anzubieten. Die Hochschulen, die Finanzinfrastruktur oder wichtige Forschungs- und Unterstützungseinrichtungen befinden sich in Stuttgart und in den Mittelzentren der Region. Also ohne Esslingen wären Gewerbeansiedlungen in den Landkreisgemeinden wirtschaftlich nicht erfolgreich.
Kann Esslingen unter solchen Voraussetzungen im Wettbewerb der Kommunen überhaupt noch konkurrenzfähig sein?
Zieger: Esslingen ist nach wie vor konkurrenzfähig. Firmen mit Weltgeltung haben ihren Sitz und ihre Grundlage in Esslingen. Es findet keine Hannover Messe ohne einen Besuch der Kanzlerin am Stand von Festo statt. Wenn wir Flächen anbieten können, dann schaffen wir es auch, gute Firmen nach Esslingen zu holen. Das eigentliche Problem ist der Flächenmangel. Er verhindert, dass die Attraktivität der Stadt als Wirtschaftsstandort besser vermarktet werden kann.
Die Abhängigkeit von hoher Wirtschaftskraft und Wohlstand der Bevölkerung ist bewiesen. Trotzdem sorgt jede neue Gewerbeansiedlung für Proteste. Das erleben wir in Berkheim, und das war in der Pliensauvorstadt nicht anders. Wie lässt sich dieser Widerspruch erklären?
Zieger: Die momentane Situation ist geprägt von Vollbeschäftigung, die nicht selbstverständlich ist, und von dem Wunsch nach einer möglichst freien Aussicht vom eigenen Haus oder von der Wohnung aus. Ich warne aber: Die Wettbewerbsfähigkeit der Region ist ebenso wenig gesetzt wie die Vollbeschäftigung. Industrie 4.0, also die nächste technische Innovation der Industrie, stellt von der Digitalisierung über Abläufe bis zur Mitarbeitergewinnung ganz andere Anforderungen. Die Region Stuttgart und Esslingen tun gut daran, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Und dazu gehören meiner festen Überzeugung nach auch Entwicklungsmöglichkeiten für vorhandene und für neue Unternehmen.
Wo konkret gibt es in Esslingen noch Entwicklungsmöglichkeiten für Unternehmen – wo im Bestand, und wo durch die Erschließung neuer Flächen?
Zieger: Das Gesamtprojekt Hengstenberg-Areal ist sehr erfolgreich umgesetzt worden. Und derzeit entsteht auf dem Danfoss-Gelände in der Pliensauvorstadt in großer Geschwindigkeit ein neues Gewerbegebiet mit guten Firmen und rund 550 Arbeitsplätzen. Damit sind die letzten vorhandenen Flächen erschöpft. Die freien Flächen in den Neckarwiesen werden in den nächsten Monaten veräußert. Ich möchte da dem Gemeinderat nicht vorgreifen, aber ich prognostiziere das. Potenzial besteht also nur noch darin, in den vorhandenen Gebieten zu verdichten. Ich möchte das mit dem Begriff Recycling von Gewerbegebieten bezeichnen: Man trennt sich von vorhandenen Liegenschaften und baut dann neu, dichter und auch höher. Darüber hinaus setze ich mit der Fortschreibung des Flächennutzungsplanes auf zusätzliche Gewerbeflächen in Berkheim, die gut erschlossen sind, mit direktem Anschluss an Landesstraße und Autobahn.
Trifft der häufig geäußerte Vorwurf zu, die Stadt betreibe viel zu wenig aktive Grundstückspolitik?
Zieger: Es gibt eine Menge Menschen in der Stadt, die behaupten genau das Gegenteil. Nämlich, dass wir eine viel zu offensive Grundstückspolitik betreiben. Dort, wo wir zu vertretbaren Preisen Flächen kaufen können, tun wir dies und wir entwickeln diese Flächen. Dafür stehen das Hengstenberg-Areal und das Panasonic-Areal. Der Schlüssel zum Erfolg in Esslingen ist die Flächenverfügbarkeit. Esslingen war, ist und bleibt hoffentlich ein sehr attraktiver und aktiver Wirtschaftsstandort.
Esslingen hat mit der Zukunftsfabrik versucht, Unternehmen der Biotechnologie für den Standort zu gewinnen. Ist dieser Versuch gescheitert?
Zieger: Scheitern ist ein böses Wort. Das erhoffte Wachstum hat sich nicht eingestellt. Das bedauere ich. Der Grund waren nicht zuletzt fehlende Flächen. Was mir im Zusammenhang mit der Biotechnologie aber wichtig ist: Wir haben kein Geld, das wir eingesetzt haben, verloren. Die vorhandenen Flächen sind belegt. Vor diesem Hintergrund möchten wir in naher Zukunft die Gründerinitiative neu beleben – wir haben das nicht aufgegeben. Ich warte aber, bis wir einen neuen Wirtschaftsförderer installiert haben. Denn es wird eines der Themen sein, denen er sich widmen soll. Unterschiedliche Sparten in der Stadt anzusiedeln, bleibt eine der Aufgaben, die wir mit der städtischen Wirtschaftsförderung verfolgen.
Auf welche Art von Gewerbe setzen Sie für die Zukunft, oder muss man in diesen Zeiten über alles froh sein, was überhaupt noch kommt?
Zieger: Diese Verzagtheit in der Fragestellung teile ich nicht. Nach wie vor lege ich Wert darauf, dass ein Drittel der Wirtschaftskraft des ganzen Landes Baden-Württemberg aus dem Verbandsgebiet der Region Stuttgart kommt. Dabei ist Esslingen mit mehr als 50 000 Arbeitsplätzen ein ganz wichtiger Player. Wir haben kein Problem, attraktive Firmen mit hoher Wertschöpfung für Esslingen zu interessieren – wir haben ein Problem, attraktiven Firmen Flächen anbieten zu können.

Das Interview führte Christian Dörmann.

Zur Person

Jürgen Zieger wurde 1955 in Herzogenrath geboren und ist seit 1998 Esslinger Oberbürgermeister. Er studierte an der Fachhochschule Aachen Architektur sowie Stadt- und Regionalplanung an der Universität Oldenburg. Dort promovierte er auch zum Doktor der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Zieger war Stadtplaner in einem Büro für kommunale Entwicklungsplanung und Partner einer Planungsgemeinschaft im Bereich Wohn- und Städtebau. Weitere berufliche Stationen: stellvertretender Leiter des Referates Stadtplanung im Stadtbauamt Singen/Hohentwiel, Leiter des Stadtbauamts der Stadt Oberkochen, Technischer Beigeordneter und Erster Bürgermeister der Großen Kreisstadt Neckarsulm. Seit 1998 ist Zieger Oberbürgermeister der Stadt Esslingen, 2014 war die Wiederwahl für seine dritte Amtsperiode. Jürgen Zieger ist verheiratet und hat drei Kinder.

Gewerbeflächen im Fokus

Im Rahmen einer vierteiligen Serie berichtet die EZ über die Gewerbeentwicklung im Landkreis Esslingen und richtet den Blick dabei vor allem auf das Flächenangebot in einigen Städten und Gemeinden. Denn die Verfügbarkeit von Grundstücken entscheidet letztlich auch über die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit innerhalb der Region. Im ersten Teil analysiert Oberbürgermeister Jürgen Zieger die Situation in Esslingen. Eine weitere Folge wird sich schwerpunktmäßig mit einigen Kommunen im Landkreis Esslingen beschäftigen und die dortigen Verhältnisse schildern. Wie die Industrie- und Handelskammer sowie die Handwerkskammer das Thema beurteilen, wird in der dritten Folge beleuchtet. Den Abschluss bildet ein Gespräch mit einem Experten von der Hochschule Nürtingen über die zukünftige Entwicklung von Gewerbeansiedlungen.