Der Heidelberger Richter Daniel Obst hat den Streit über das Kopftuchverbot am Arbeitsplatz an eine Schlichtungsstelle verwiesen. Foto: dpa Foto: dpa

Von Detlef Holland

Esslingen - Mit etwa 300 Zuhörern ist der Saal im CVJM-Haus in Esslingen gut gefüllt. Erstaunlich für eine Partei wie Die Linke, die sich in Umfragen für die Landtagswahl in Baden-Württemberg eher im Bereich von drei bis vier Prozent bewegt. Aber Spitzenkandidat Bernd Riexinger hat sich für diesen Wahlkampfabend Sahra Wagenknecht, die schillernde Frontfrau der Linken und nach dem Abschied von Gregor Gysi Linken-Co-Fraktionschefin im Bundestag, zu Hilfe geholt. Pforzheim und Freiburg, dann in Esslingen, Tübingen, tags darauf in Schwäbisch Gmünd. Ein Hauch von Politglamour bringt die stets elegant gekleidete Wagenknecht in den Südwesten. Keine zwei Sätze gesprochen - und sie hat das Publikum auch schon in der Tasche. Sie redet frei, und sie redet leidenschaftlich. Zum Beispiel als gelernte Wirtschaftswissenschaftlerin über die ungerechte Wirtschaftsordnung in Deutschland: „Wer die schwarze Null zur höchsten Instanz erhebt, treibt braunen Nullen die Stimmen zu“, wetterte sie gegen die Finanzpolitik eines Wolfgang Schäuble, aber auch eines Nils Schmid in Baden-Württemberg.

Dann redet Wagenknecht über die Diskussion um die Absenkung des Mindestlohns für Flüchtlinge: „Wer das macht, nimmt in Kauf, dass Niedriglohnbezieher Flüchtlinge als Konkurrenz sehen.“ Da brandet Beifall auf. „Wer 8,50 Euro Mindestlohn in einem reichen Land wie Deutschland zu viel findet, der sollte einen Monat davon leben müssen.“ Wagenknecht geißelt die „feige Politik, die sich Steuern bei der Mitte und den Ärmeren holt statt bei den Reichen“. Und zum Schluss ihrer etwa zwanzigminütigen kämpferischen Rede noch einmal viel Applaus: „Vermögenssteuer ist eine Landessteuer, die dem Land allein sieben bis acht Milliarden brächte - allein dafür muss die Linke in den Landtag.“

Stimmungen aufspüren

Der Wahlkampfauftritt des Spitzenkandidaten Riexinger zuvor verblasst dagegen etwas. Doch es gehört zu den Qualitäten Riexingers, dass er Stimmungen aufspürt und auf sie eingehen kann. Auch wenn der Gestus seiner Wahlkampfreden eher verhalten ist, die Empörung über „die vielen Ungerechtigkeiten in unserem Land“ ist spürbar und kommt ehrlich rüber. Als „erschreckend“ bezeichnet er die rechte Hetze und Fremdenfeindlichkeit im Land. „Da müssen wir als Linke klare Kante zeigen.“ Manche empörten sich, wenn Flüchtlinge Smartphones haben - aber nicht darüber, dass die 62 reichsten Männer der Welt mehr besitzen als 3,6 Milliarden Menschen. „Darüber sollten wir uns empören“, sattelt Riexinger auf die Polarisierung von Arm und Reich um. Es sei ein Skandal, dass Grün-Rot auf Betreiben von Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) 20 000 landeseigene Wohnungen an eine Heuschrecke verkaufte, die diese nun - ohne in sie investiert zu haben - mit 300 Millionen Euro Gewinn an eine andere Heuschrecke weiterverkaufe. In den vergangenen zehn Jahren sei der Bestand an Sozialwohnungen in Baden-Württemberg um 84 000 auf nur noch 60 000 gesunken. Im Jahr 2013 habe die Landesregierung nur 90 neue Sozialwohnungen gefördert, prangert Riexinger an. „In diesem Tempo bräuchten wir 933 Jahre, um den Bestand wieder aufzufüllen. Diese Zeit haben wir nicht.“ Deutschland stehe nun vor einer Zäsur. Es gehe darum, ob es sich wie Ungarn oder Polen mit Zäunen umgeben oder eine offene Gesellschaft sein wolle. Nötig seien ein gerechteres Bildungssystem und eine gerechtere Verteilung von Vermögen. Doch niemand wisse, wohin die SPD steuert. Sigmar Gabriel habe vor allem deshalb so schlechte Beliebtheitswerte, weil er „die Standfestigkeit einer Schwingtür hat“.

„Erben ist keine Leistung“

Es stimme nicht, dass derzeit keine Partei ein Konzept habe. „Wir haben ein Konzept. Es ist nur nicht erwünscht“, stellt Riexinger klar. Die Linke fordere die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und eine gerechte Erbschaftssteuer auf hohe Vermögen: „Der größte Reichtum wird doch nicht erarbeitet. Erben ist keine Leistung, und das Mindeste ist, dass man dafür ordentlich Erbschaftssteuer zahlt.“ Die größte Hürde für eine Zusammenarbeit der Linken mit anderen Parteien sei nicht die Außenpolitik, sondern die Frage der Umverteilung zurück von oben nach unten. „Wir setzen uns ein für ein soziales Baden-Württemberg.“

Nach der Wahl 2011 habe es einen Politikwechsel im Land gegeben, „bei dem CDU und FDP als Opposition im Landtag fast keinen Ansatzpunkt haben“, moniert der Linken-Bundeschef: „Sie ärgern sich bloß, dass Winfried Kretschmann nicht in der CDU ist.“ Ohne die Bewegung gegen Stuttgart 21 wäre dieser nie Ministerpräsident geworden. Nun fördere er das Projekt. Zur Zeit der Volksabstimmung hätten die Betreiber von 4,2 Milliarden Euro an Kosten gesprochen. Jetzt liege man bei 6,5 Milliarden, und zuletzt würden es wohl elf Milliarden Euro sein - Geld, mit dem man viel Sinnvolles machen könnte: etwa freies Kita-Essen für alle Kinder oder mehr Kindergärtnerinnen.

Am Herzen liegt Riexinger die Bekämpfung der Kinderarmut, „die es auch im Südwesten gibt“. Allein Mannheim sei jedes vierte Kind verarmt. Den Babyboomer-Jahrgängen drohe überdies durch die Rentenkürzungen die Altersarmut. Doch das sei weder ein Thema für Kretschmann noch für SPD-Mann Nils Schmid, „der nicht einmal das soziale Gewissen dieser Regierung war“. Nur mit der Linken im Parlament werde sich der Landtag für diese Themen öffnen. „Wir müssen den Menschen sagen: Wenn ihr Millionäre und Milliardäre seid, ist es falsch, die Linke zu wählen. Für fast alle anderen liegt es im eigenen Interesse“, schließt Riexinger seine Rede unter Beifall.