Karlsruhe (dpa) - Hübscher Anblick mit unschönen Nebenwirkungen: Nilgänse werden im Südwesten nach Expertenmeinung zum Problem. Diese aggressive Gans vermehre sich stark und bedrohe einheimische Arten und Lebensräume, berichtet die Stelle für Wildtierforschung in Baden-Württemberg.

Allein zwischen 2006 und 2015 stieg die Zahl der Jagdreviere, in denen die Nilgänse gesichtet wurden, von 29 auf 228; die der Gemeinden von 24 auf 149. „Vor allem die Rheinschiene ist betroffen“, sagte Joachim Thierer, Leiter des Veterinäramtes im Landkreis Karlsruhe. „Es gibt eine klare Tendenz - die Population wächst rasant.“ Auch Vogelschützer beobachten die Zunahme, raten aber zur Gelassenheit. Der Naturschutzbund Nabu schätzt die Zahl der Nilgänse auf derzeit 100 bis 150 Nilgans-Brutpaare im Südwesten. Da aber nur ein kleiner Teil des Gänsebestands brütet, dürfte die Zahl aller Nilgänse deutlich höher sein. Schätzungen dazu gibt es nicht.

Das sei „ein relativ aggressiver Vogel“, sagt Nabu-Sprecher Hannes Huber. Eine gezielte Bekämpfung sei jedoch nicht nötig, da die „Kollateralschäden“ zu hoch wären. Soll heißen: Durch die Schüsse könnten andere Vögel getroffen oder durch Lärm gestört werden.

Bestand vergleichsweise niedrig

Andere Gänsearten - die einheimische Graugans und die eingewanderte Kanadagans - bereiteten ebenfalls Kopfzerbrechen. Denn sie fressen die keimende Saat von Ackerflächen und verursachen Schäden in der Landwirtschaft. Nach Angaben von Vogelkundler Hans-Günther Bauer vom Max-Planck-Institut für Ornithologie leben in Baden-Württemberg inzwischen 150 bis 210 Kanadagans- und 400 bis 600 Grauganspaare.

Klagen von Parkbesuchern oder Badegästen über Kot auf Liegewiesen hält Bauer für übertrieben und „in höchstem Maße subjektiv“. Wer Naturschutz wolle, müsse eben auch mit solchen Phänomenen leben. Es gebe keinen Grund, sich vor Verdrängung einheimischer Vogelarten durch die Gänse zu fürchten. „Bestände anderer Vogelarten nehmen vielmehr deshalb ab, weil der Mensch drastisch in die Natur und die Lebensräume eingreift“, sagt Bauer. Die Stuttgarter Ornithologin Friederike Woog sieht Nilgänse ebenfalls nicht als Problem. „Sie haben sich zwar deutlich vermehrt, aber ihr Bestand ist noch vergleichsweise niedrig.“

Aus den Kommunen und Regierungsbezirken kommen unterschiedliche Reaktionen auf das Thema Nilgans. Während der Regierungsbezirk Tübingen nur mitteilt, diese Gänse kämen „an verschiedenen Gewässern“ vor, sagt eine Sprecherin der Stadt Mannheim, die dort befindlichen Nilgänse hätten „durch ihre Hinterlassenschaften immer wieder Badeseen verunreinigt“. Am Vogelstangsee sei deshalb schon mehrfach der Sand ausgetauscht worden. „Zudem wurden Schilder angebracht, die auf das Fütterungsverbot hinweisen.“ In Stuttgart gibt es Nilgänse etwa im Schlossgarten. In Heidelberg nerven Kanadagänse und Schwanengänse zwar - „zahlenmäßig am gravierendsten sind aber tatsächlich die Nilgänse“, sagt eine Sprecherin. Das größte Problem sei Gänsekot auf Wiesen, etwa am unteren Neckar. Mit einer Spezialmaschine werde er abgesaugt - eine Arbeit, die drei Tage dauert.

Gänsejagd ist gar nicht so einfach

Im Südwesten sind Gänse im Zuge des neuen Jagdgesetzes seit vergangenem April nicht mehr ganzjährig geschützt, sondern dürfen außerhalb der Schonzeiten gejagt werden. Vor diesem neuen Jagdgesetz bedurfte es dafür aufwendiger Sondergenehmigungen. Gänsejagd sei allerdings nicht so einfach und dazu sehr zeitintensiv: „Die Tiere sind sehr wachsam und reagieren auf Annäherung sehr empfindlich“, sagt Experte Thierer. In Parks oder siedlungsnahen Gebieten dürfe ohnehin nicht geschossen werden. Ob die Jagd überhaupt etwas nutzt, ist zudem umstritten. Denn: „Wenn Tiere getötet werden, wird ein Revier frei und andere Tiere rücken dann nach“, sagt Woog. „Es ist aus unserer Sicht nicht so, dass die Zunahme der Nilgänse zu einer Ausweitung des Jagdgesetzes führen soll“, berichtet eine Sprecherin des Agrarministeriums. Aus Sicht der baden-württembergischen Tierschutzbeauftragten Cornelie Jäger sollten die Behörden ein „Populationsmanagement“ prüfen, bei dem Eier gegen Attrappen ausgetauscht werden. Nilgänse nisten zwar häufig in höheren Lagen, also in Bäumen und auf Gebäuden, was die Eierentnahme erschwere, doch aus Sicht von Jäger könnte eine solche Methode dennoch praktikabel sein.