Der Heidelberger Richter Daniel Obst hat den Streit über das Kopftuchverbot am Arbeitsplatz an eine Schlichtungsstelle verwiesen. Foto: dpa Foto: dpa

Stuttgart (lsw) - Wegen anhaltend zu hoher Feinstaubwerte in Stuttgart macht sich die Landesregierung noch einmal für die Einführung der blauen Plakette für schadstoffarme Autos stark.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und sein Vize Thomas Strobl (CDU) wollen sich bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für die Plakette einsetzen, hieß es in Stuttgart. Merkels Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) lehnt es beharrlich ab, mit einer neuen Plakette vor allem ältere Dieselfahrzeuge aus den mit Stickoxiden und Feinstaub belasteten Innenstädten auszusperren.

Kritik an den Plänen kam von der FDP. Landeschef Michael Theurer warnte, eine Einführung der blauen Plakette benachteilige etwa Berufspendler und Handwerksbetriebe. „Gerade diese leistungsstarke Mitte, welche verstärkt auf Dieselfahrzeuge setzt, würde unverhältnismäßig stark getroffen“, betonte er. „Eine kluge Politik würde ernsthaft auf innovative Konzepte wie intelligente Verkehrsleitsysteme, die Entkoppelung von Beruf und Arbeitsplatz und die Erhöhung der Attraktivität des öffentlichen Nahverkehrs setzen.“

Land und Stadt sind in der Pflicht, dem Verwaltungsgericht Stuttgart bis Ende Februar zu erklären, wie sie die Luft nachhaltig verbessern wollen. Ein Gutachten zeigte, dass es etliche Möglichkeiten gibt, die Schadstoffe zu reduzieren - als wirklich effektiv und realistisch sehen Experten aber allein die blaue Plakette an. Um die Vorgaben des Verwaltungsgerichts zu erfüllen, möchte das Land diese an Alarmtagen für extrem belastete Strecken am liebsten schon 2018 einsetzen. Ganzjährig soll die Plakette erst eingeführt werden, wenn 80 Prozent der Fahrzeuge die Normen erfüllen, nicht vor 2020.

Mehr als 30 Überschreitungstage

Gestern startete in Stuttgart erneut Feinstaubalarm, zunächst noch mit Werten unter dem EU-Grenzwert von 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft. Dass die Werte 2017 sinken, ist nicht zu erwarten: Aktuell sieht es so aus, als würde die EU-Jahresgrenze von 35 Tagen mit zu hohen Feinstaubwerten schon im Februar gerissen. Es sind schon mehr als 30, im Gesamtjahr 2016 waren es 63 Überschreitungstage.

Sollten die Schadstoffwerte an dem am stärksten belasteten Neckartor nahe der Stuttgarter City 2017 nicht sinken, müssen Land und Stadt laut eines Vergleichs Straßen sperren oder Fahrverbote erlassen, um die Luft wenigstens an Alarmtagen rasch zu verbessern.

Treffen würde die blaue Plakette Dieselautos, die nicht die Abgasnorm Euro 6 erfüllen, und Benziner unter Euro 3. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) klagt am Verwaltungsgericht auf ein Fahrverbot für alle Diesel, um die Luft nachhaltig zu verbessern. In Düsseldorf hatte die DUH damit schon Erfolg. Die Richter hatten Fahrverboten speziell für Diesel bei hoher Schadstoffbelastung zugestimmt. NRW lässt dieses Urteil gerade vom Bundesverwaltungsgericht prüfen.

Fahrverbote sorgen nach einem Bericht von „Mannheimer Morgen“ und „Heilbronner Stimme“ weiter für Streit in der grün-schwarzen Landesregierung. Demnach fordert die CDU weitgehende Ausnahmen, wenn an Tagen mit Feinstaubalarm Dieselfahrzeuge ohne Euro-6-Norm nicht mehr in die Umweltzone fahren dürfen. Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) verlangt den Blättern zufolge Ausnahmen für den Wirtschaftsverkehr und für Anlieger. In der Beschlussvorlage von Grünen-Verkehrsminister Winfried Hermann sei dagegen freie Fahrt nur für Rettungsdienste, Handwerker und Lieferanten vorgesehen.

Es könnte kompliziert werden

Geplant ist, dass sich das Landeskabinett morgen mit der Stuttgarter Luft befasst. Es soll ein Signal Richtung Berlin gehen: Ohne blaue Plakette geht es nicht. Das Paket, das das Kabinett berät, sieht auch verschärfte Tempolimits auf besonders belasteten Strecken vor, wie „Stuttgarter Zeitung“ und „Stuttgarter Nachrichten“ berichteten. Kommt die blaue Plakette nicht, und damit ist vor der Bundestagswahl eigentlich zu rechnen, könnte es in Stuttgart sehr kompliziert werden. Denn dann geht man im Verkehrsministerium davon aus, dass Land und Stadt gerichtlich verpflichtet werden, auf anderen Wegen Fahrverbote für alle älteren Diesel zu erlassen, die Euro 6 nicht erfüllen. Geplant sind dann Fahrverbote für stark belastete Verkehrsachsen mit Anwohnern. Das müsste beschildert werden - und irgendwie kontrolliert.

Rot, Gelb und Grün - nun auch die blaue Plakette?

Sogenannte Umweltzonen sollen helfen, die Luftverschmutzung in Zentren größerer Städte mit einem besonders hohen Verkehrsaufkommen zu begrenzen. Ziel ist es dabei vor allem, den Ausstoß schädlicher Autoabgase einzuschränken.

Es gibt aktuell drei Stufen. Eine Zone der Stufe 1 ist für Fahrzeuge mit Plakette - ob rot, gelb oder grün - geöffnet. In Stufe 2 dürfen Fahrzeuge mit der gelben und grünen Plakette fahren, in Stufe 3 nur noch jene mit grüner. Bei letzterer muss die Feinstaub-Bildung besonders gering sein.

Rote Plaketten bekommen Dieselfahrzeuge, die einen hohen Partikelausstoß haben. Fahrzeuge ohne geregelten Katalysator fallen in die höchste Schadstoffgruppe 1 und erhalten gar keinen Aufkleber.

Mit der blauen Plakette könnte vor allem älteren Dieselfahrzeugen die Einfahrt in Umweltzonen untersagt werden. Diesel gelten als Hauptverursacher der Luftverschmutzung mit Stickoxiden. Baden-Württemberg ruft immer lauter nach der blauen Plakette. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) lehnt sie ab.