Der linke Grünen-Bundestagsabgeordnete Ströbele: „Parteifreund Winfried scheint etwas abzuheben.“ Atmosphärische Störungen und Erfolg oder Misserfolg von Grün-Schwarz im Land wirken auf die Bundespolitik.

Von Hermann Neu

Berlin/Stuttgart - Die Szene hatte für die damalige Zeit noch etwas Kurioses: 1992, die CDU hatte in der Landtagswahl gerade die absolute Mehrheit verloren, zog ein Trupp Grünen-Realos zum Verhandeln mit CDU-Ministerpräsident Erwin Teufel in die Villa Reitzenstein. Neben dem heutigen Stuttgarter OB Fritz Kuhn kamen etwa der spätere Bundestagsfraktionschef Rezzo Schlauch und der heutige Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer. Letzterer war, wie es sich für einen Grünen damals gehörte, mit einem Rucksack ausstaffiert. Aus Schwarz-Grün wurde damals bekanntlich nichts - ein unüberwindliches Hindernis war nicht allein das Abschalten des Uralt-Atomkraftwerks Obrigheim, was die Grünen vehement forderten. Mittlerweile regieren im Südwesten Grüne und CDU gemeinsam - mit gegenüber 1992 umgekehrten Vorzeichen: Die stärkste Partei im Land sind heute die Grünen.

Das Bündnis hat erleichtert, dass man im Südwesten den politischen wie den kulturellen Unterschied zwischen Grün und Schwarz nie künstlich vertieft und vielmehr Gemeinsamkeiten gesucht hat. Schon Kuhn war der Lieblingsgrüne von Ex-Ministerpräsident Lothar Späth, der CDU-Altvordere Gerhard Mayer-Vorfelder hat im Landtag gern Geplänkel mit Bütikofer über die Finanzpolitik geführt - auch wenn er damit vor allem die SPD ärgern wollte. Ministerpräsident Winfried Kretschmann stellt sich gerne in die Tradition des Wertkonservativen Teufel - was humorlosere Vertreter der CDU auf die Palme bringt. Übermäßig fern war man sich also nie - was einen Kommentator einstens zur Bemerkung über die irgendwann anstehende „Koalition der Väter und Söhne aus den Villenvierteln“ brachte.

Im Bund kommt es derweil mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 zur x-ten Auflage der Schwarz-Grün-Debatte. Was in den Ländern - siehe Hessen - inzwischen Realität ist, hat in Berlin bis heute gedanklich nie reüssiert. Daran ändert auch der neuerliche Vorstoß des seit 2011 amtierenden ersten Grünen-Ministerpräsidenten Kretschmann nicht viel. Der hatte sich am 21. August mit der Kanzlerin in Berlin zum Abendessen getroffen - ein ganz normaler Vorgang nach seiner Lesart. Oder ein „Geheimtreffen“, wie andere mutmaßen und kritisch beäugen. Hinzu kommt, dass Kretschmann im aktuellen „Spiegel“ mit einer wohlwollenden Geschichte verwöhnt wird und in dem Hamburger Magazin auch ausgiebig für das Bündnis mit der Union werben kann. Schwarz-Grün passe einfach in eine Zeit, die geprägt sei von Unsicherheit und Krisen, sagt er. Richtig sensationell ist auch das nicht - Kretschmanns Vorliebe für diese politische Farbenlehre ist seit Jahrzehnten bekannt. Selbst mit dem bayerischen Ministerpräsidenten und gelegentlichen politischen Ego-Shooter Horst Seehofer kommt der Stuttgarter Regierungschef gut zurecht und der Münchner Regent ist voll des Lobes über den grünen Amtskollegen aus dem Land der Badener und Schwaben. Dass Kretschmann mit der Kanzlerin gut kann, ist ebenso keine Überraschung - hatte der baden-württembergische Premier doch auf den Höhen der Flüchtlingsdebatte bei anschwellender Kritik an Merkel auch schon kundgetan, er schließe die Kanzlerin in seine Gebete mit ein.

Schaut man sich jedoch die umgehend entbrannte Schwarz-Grün-Debatte vom Wochenende an, dann entsteht der Eindruck, dass wieder die alten Trennlinien von Realos und Fundis aufbrechen, die man bei Grüns weithin vergessen glaubte: „Parteifreund Winfried scheint etwas abzuheben“, ätzt aus Richtung Berlin-Kreuzberg der altlinke Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele. Doch nicht nur dem Polit-Fossil Ströbele, der nach wie vor das einzige Grünen-Direktmandat im Rücken hat, geht der neuerliche Anlauf des baden-württembergischen Regierungschefs für schwarz-grüne Vorkehrungen für den Fall des Falles zu weit. Der linke Fraktionschef Anton Hofreiter warnt vor dem „großen Fehler“, dass sich die Partei auf Schwarz-Grün festlegt. Co-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt versucht daher umgehend, das Feuerchen eines sich anbahnenden Richtungskampfes auszutreten. Sie setzt darauf, dass die Partei einen eigenständigen Wahlkampf führt, möglichst gut abschneidet und dann schaut, mit wem eine Regierung im Bund möglich ist. Das hört man auch nicht zum ersten Mal und immer dann, wenn sich die Partei nicht festlegen soll oder kann.

Im Hinterkopf haben die meisten Grünen noch die im Grunde sinnlosen Debatten im Jahr vor der Bundestagswahl 2013. Schon damals hatte der Konflikt um die Möglichkeit von Schwarz-Grün sowie um das umstrittene Steuerkonzept die Vertiefung interner Kontroversen befördert. Auf der Verliererseite damals: Kretschmann.

Allerdings gibt es einen gravierenden Unterschied zu heute. Zahlenmäßig war schließlich Rot-Grün im Bund wie bereits von 1998 bis 2005 vor der Wahl 2013 noch eine Option. Schwarz-Grün aber hätte das Abweichen von weithin geübten Koalitionsvarianten bedeutet. Mit Blick auf die Stimmungslage und die aktuellen Umfragewerte ist Rot-Grün inzwischen passé. Bleibt die Variante Rot-Rot-Grün zusammen mit der Linkspartei. In Gegenden wie im Südwesten sowie generell bei der bürgerlichen Klientel der Grünen ist das ein Modell, das nicht gerade zu Begeisterung führt. Im Norden und Osten aber, bei den nach wie vor eher alternativ und links gepolten Grünen in Bremen, Hamburg oder Berlin, sieht man das anders - was den aktuellen Streit ebenfalls befeuert.

Eine Rolle wird bei künftigen Schwarz-Grün-Debatten spielen, wie Kretschmann sein bundesweit einmaliges Koalitionsmodell im Land über die Runden bringt. Das wird - ausweislich der Konflikte der vergangenen Wochen - nicht immer einfach werden. Eine Liebesheirat ist die Koalition, die gerade die ersten 100 Tage hinter sich hat, bekanntlich nicht. Die nur langsam abebbende Debatte über Nebenabsprachen hat zudem gezeigt, dass Gegner des grün-schwarzen Bündnisses im oder in der Nähe des Zentrums der Koalition sitzen. Anders ist nicht zu erklären, dass Absprachen in einem kleinen Kreis der Koalition den Weg nach außen fanden. Kretschmann versteht die umstrittenen Nebenabsprachen als ein Instrument, um Konflikte im Regierungsbündnis auszuschließen oder beherrschbar zu machen. Nach dem kommunikativen Desaster, dass die Absprachen ausgeplaudert wurden, wird man nach anderen Vorgehensweisen suchen müssen. Es macht schließlich keinen Sinn, vertrauliche Dinge zu besprechen, wenn sie nicht vertraulich bleiben. So wird in der grün-schwarzen Koalition der Kreis derer noch kleiner, die in wichtige Weichenstellungen vorab einbezogen werden. In einer gespaltenen Partei wie der baden-württembergischen CDU schürt das wiederum den Konflikt mehr, als dass es ihn beruhigt. Mögliche atmosphärische Störungen sowie generell der Erfolg oder Misserfolg von Grün-Schwarz in Stuttgart bis zur Bundestagswahl 2017 spielen somit für die Aussichten von Schwarz-Grün im Bund eine gewichtige Rolle.