Von Hermann Neu

Stuttgart - Am Tag danach läuft auf den Fluren und auf der Tribüne des rundumsanierten Landtags vor und während der ersten Plenarsitzung die Analyse der Ursachen: Der künftige Vize-Ministerpräsident Thomas Strobl hatte am Vortag zwar ein respektables Personaltableau vorgestellt - was einen Teil der eigenen Leute nicht davon abhielt, umgehend eine mittlere Palastrevolte anzuzetteln: Die geheime Probeabstimmung darüber, wer den Grünen Winfried Kretschmann in der Ministerpräsidentenwahl unterstützt, hat ein Drittel der Parlamentarier dazu genutzt, Strobl einen Denkzettel zu verpassen. Nur Stunden zuvor war bereits Strobls Favorit für den Fraktionsvorsitz, der Ex-Minister und -Landtagspräsident Willi Stächele, von den Abgeordneten mit 25 zu 17 Stimmen hingerichtet worden. Neuer Fraktionschef ist Wolfgang Reinhart.

Dass es bei der Revolte persönlich gegen Kretschmann gehen sollte, halten Exponenten beider Lager in der CDU, der Konservativen wie der als Reformer angesehen Unterstützer des künftigen Innenministers Strobl, nicht für den alleinigen Grund des Aufstandes. Vielmehr herrscht Unmut über das Personalkonzept des neuen starken Mannes der CDU und vor allem über dessen Agieren weithin an der Fraktion vorbei. Strobls Unterstützer wiederum sind sich sicher, dass das gegnerische Lager gedanklich von der Wirklichkeit noch weit entfernt ist.

Dabei hätte Strobl gewarnt sein können: Mitglieder von CDU-Fraktionen haben bei Personalentscheidungen traditionell ein Elefantengedächtnis. Und Strobl ist nicht der erste, dem der Wind urplötzlich eiskalt ins Gesicht weht. Ziemlich exakt 20 Jahre ist es her, dass der damalige Ministerpräsident Erwin Teufel in einer ähnlichen Situation steckte. An der Fraktion vorbei hatte Teufel 1995 die unbekannte junge CDU-Politikerin Annette Schavan ins Kultusministerium in Stuttgart geholt. Lange Gesichter der Fachpolitiker der Fraktion waren ebenso die Folge wie 1996 bei der Berufung der absolut unbekannten badischen Landfrau Gerdi Staiblin als Agrarministerin.

Quittung bei Wahl Teufels

Die Quittung bekam Teufel prompt in der Ministerpräsidentenwahl 1996. Beim Übergang von der Großen Koalition zum Bündnis mit den weit pflegeleichteren Liberalen hätte alles schön glatt laufen können - doch Unzufriedene in der Fraktion ließen Teufel im ersten Wahlgang durchfallen. Ob ein Denkzettel etwas überdimensioniert ausgefallen war, lässt sich heute nicht mehr klären. Doch Teufel hatte - wie wohl jeder Regent - in den Jahren in der Staatskanzlei durchaus den einen oder anderen übergangen, düpiert oder sonstwie gegen sich aufgebracht.

Kretschmann wird ein ähnliches Schicksal wie Teufel wohl erspart bleiben. Das gemeinsame Stimmenpolster von Grünen und CDU ist mit 89 der 143 Mandate eigentlich dick genug. Bei 72 Stimmen hat Kretschmann die Hürde gemeistert. Doch absolut sicher ist sich niemand: In der Verschwiegenheit der Wahlkabine wurde schon so manche Rechnung beglichen. Zuletzt war Reiner Haseloff dran, der jüngst in der Ministerpräsidentenwahl in Sachsen-Anhalt zunächst nicht alle Stimmen seiner schwarz-rot-grünen Koalition bekam.

Die Ursachen für den Aufstand gegen Strobl sind auch Konsequenz dessen, dass die CDU nach wie vor in zwei Lager zerfällt: Die eher konservativ gepolten Mitglieder und Fraktionäre, die den am 13. März in der Landtagswahl gescheiterten Guido Wolf 2015 in der Basisabstimmung über die Spitzenkandidatur bevorzugt hatten, sehen sich bei Strobls Personalentscheidungen übergangen. Niemand vom gestanden konservativen Personal ist zum Zug gekommen. Stattdessen hat Strobl etwa die Stuttgarter Bürgermeisterin Susanne Eisenmann als Kultusministerin vorgeschlagen. Am Abend ihrer Vorstellung als designierte Ministerin tat sie im Fernsehen kund, dass sie mit den von Grün-Rot eingeführten Gemeinschaftsschulen gut zurechtkomme. Das hat sicher manchem in der CDU, der im Wahlkampf noch kräftig gegen die neue Schulart opponiert hat, den Kamm schwellen lassen.

Fachpolitiker fühlen sich übergangen

Auch die künftige Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut wurde nicht zur Freude derer berufen, die in der Fraktion jahrelang die Wirtschaftspolitik beackert haben. Kommt dann dazu, dass die Parlamentarier nur sehr kurzfristig vor der Präsentation des Personalkonzepts - die Rede ist von einer Stunde - informiert wurden, ist die Revolte nicht mehr fern.

Der neue Fraktionschef Reinhart steht vor einer undankbaren Aufgabe: Er muss die Regierung unterstützen und den eigenen Laden zusammenhalten. „Wir wollen, dass die grün-schwarze Landesregierung erfolgreich in ihre Regierungszeit startet, und dafür werden wir morgen geschlossen den Ministerpräsidenten wählen“, erklärte der Fraktionschef gestern. Die Konflikte, das ist sicher, werden nicht von einem Tag auf den anderen aufhören.