„Der Beat war eine Steilvorlage“, erinnert sich Toni Krahl. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Sophia-Caroline Kosel

„Ich habe hunderte Gitarrensaiten zerfetzt, eine halbe Million Zigaretten verbrannt und ungefähr einen Hektoliter Feuerwasser vernichtet. Ich habe einige Achterbahnfahrten hinter mir.“ Toni Krahl, Sänger der Band City, steht seit Jahrzehnten auf der Bühne und zählt zu den bekanntesten Musikern aus der ehemaligen DDR. Nun hat der 66-Jährige ein paar Monate lang das Metier gewechselt: Er ist zum Schriftsteller geworden.

„Toni Krahls Rocklegenden“ heißt seine Autobiografie. Sie liest sich sehr kurzweilig und bietet ein spannendes Stück DDR-Historie. Sein Privatleben abseits der Musik hat Krahl bewusst ausgelassen. Viel Platz bekommen aber Freundschaften - unter Musikern und mit Künstlern, etwa dem Castorf-Schauspieler Henry Hübchen.

Krahls Faible für Musik beginnt mit den Beatles. 1963 lebt er mit seinen Eltern in Moskau. Sein Vater arbeitet dort als Auslandskorrespondent für das SED-Blatt „Neues Deutschland“, Toni bekommt von Freunden eine kleine schwarze Scheibe aus dem kapitalistischen Ausland. Es ist die erste Beatles-Single „Please Please Me“. „Der Beat war eine Steilvorlage für mich“, erinnert er sich.

Seine ersten Versuche, ein „Beatnik“ zu werden, absolviert der Schüler mit dem Federballschläger vor dem Spiegel: „Posen, Blicke, die wild und provokant sein sollten.“ Seine erste Band ist eine Schülerband und er der Gitarrist. Dann protestiert der Abiturient gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings - und kommt in Stasi-Einzelhaft. Wochenlang wird er täglich stundenlang verhört, immer wieder das Gleiche gefragt: „Die wollten meinen Führungsoffizier wissen. Im Westen.“ Er wird verurteilt, plötzlich entlassen, bekommt einen Arbeitsplatz zugewiesen und macht einen Abschluss als Blechschlosser. Nebenher gründet er die nächste Band. Nach zwei Jahren ist Schluss: Auftrittsverbot wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ - weil das Publikum oft „ausrastete“. 1975 dann die Chance seines Lebens: Bei der Band City soll der Sänger zum Wehrdienst eingezogen werden. Er taucht in Schweden ab. Krahl übernimmt, aber er hat es nicht leicht: „Es dauerte bestimmt ein halbes Jahr und einige Male ,Sex Machine‘, um mich durchzusetzen.“

Der große City-Coup wird das Lied „Am Fenster“. Die Single wird so rasant verkauft, dass der VEB Deutsche Schallplatten nicht mehr mit der Produktion hinterherkommt. Der Song wird auch das Sprungbrett in den Westen. Was die Musiker dort verdienen, geben sie in Musikgeschäften wieder aus. In Hamburg wollen sie das Rotlicht-Milieu erforschen. „Das, was man dort käufliche Liebe nennt, war uns fremd; ein kommerzieller Vertrag zwischen Tür und Angel. Wie man eine Bockwurst kauft“, schreibt Krahl. Drummer Klaus Selmke bekommt einen Bandauftrag: Er soll „herausfinden, was geschah, wenn man auf das Haustürgeschäft einging“. Es folgt eines der amüsantesten Kapitel des Buches. „Willste Musik?“, fragt ihn die Dame. „Ja, Musik. Und da legt die ,Am Fenster auf‘!“ Der Musiker verrät, dass er in dem Lied trommelt - „und hat dann im Puff auf der Reeperbahn Autogrammstunde gemacht.“

Mit dem Hit gelingt City der Sprung nach ganz oben. Doch Krahl schildert auch Krisen; etwa, als „Teufelsgeiger“ Joro Gogow plötzlich auf alle anderen Bandmitglieder verzichten will. Der Mauerfall lässt City erneut auseinanderbrechen. Für Krahl ist das ein schwerer Schlag. Doch der Sänger gründet mit dem Gitarristen Fritz Puppel ein eigenes Label. Dort entsteht etwa der Keimzeit-Hit „Kling Klang“. Doch schon 1992 ist City wieder komplett. Nächstes Jahr feiert die Band ihren 45. Geburtstag.

Toni Krahl: Rocklegenden. Eulenspiegel Verlag, Berlin. 240 Seiten, 19,99 Euro.