Von Detlef Drewes

Das griechische Desaster bekommt ein neues, ungewohntes Kapitel. Dass Athens Finanzminister auch an diesem Montag kleinlaut erhebliche Defizite bei der Umsetzung der verordneten Reformen eingestehen musste, überraschte nicht. Die hellenische Führung ist wieder einmal im Verzug - nur dieses Mal braucht der griechische Kassenwart nichts zu befürchten. Der Wind hat sich gedreht.

Nach sieben Jahren ständigen Ringens um das Überleben im Euro-Raum kann sich niemand ernsthaft noch eine Katastrophe leisten. Der politische Wille zur weiteren Rettung ist stärker denn je, nicht zuletzt deshalb, weil die großen Länder sich ihren Wahlkampf nicht von schlechten Nachrichten vermasseln lassen wollen. Das dritte Rettungspaket über 86 Milliarden Euro läuft im nächsten Jahr aus. Bis dahin wird die Eurogruppe Athen alimentieren, erst dann stehen Entscheidungen über die geforderten Schuldenerleichterungen an. Ganz so, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble dies wollten. Nicht aus freien Stücken, sondern weil der IWF seinen Druck zunehmend erhöht. Dabei wissen alle, dass Schuldenerleichterungen zwar auf dem Papier wirken, die Realität aber nicht ändern.

Diese unerwartete Erkenntnis macht sich zunehmend auch bei den Geldgebern breit, nachdem der griechische Finanzminister selbst diese Situation einigermaßen treffend beschrieben hat. Selbst wenn Banken, Euro-Notkasse, Kommission und IWF Athen die Schulden erlassen, steht das Land in höchstens drei Jahren vor den gleichen Problemen wie heute. Weil die eigentlichen Schwierigkeiten nicht gelöst sind: Ohne Reformen in der staatlichen Verwaltung, beim Öffentlichen Dienst, in der Sozialversicherung und in der Privatisierung kommt Hellas nicht auf die Füße.

Natürlich bleibt die soziale Situation der Hellenen katastrophal, aber deren Lage saniert man nicht durch einen Schuldenschnitt, wie auch immer der aussehen würde. Griechenland braucht Förderbedingungen für private Unternehmen, für Investoren, für kleine und mittelständische Betriebe. Doch noch immer werden alle, die etwas für einen Aufschwung tun könnten, von einem überprotektionistischen Staat und einer bevormundenden Verwaltung erstickt.

Trotzdem wird die Regierung ihren Plan wohl durchsetzen und noch 2017 wieder auf den Finanzmarkt zurückkehren. Ein Wachstum von 2,7 Prozent in diesem und 3,5 Prozent im nächsten Jahr soll Geldgeber überzeugen. Dass der ESM, die Euro-Notkasse in Luxemburg, nun sogar davon spricht, dass die Hilfsgelder des dritten Pakets von 86 Milliarden Euro möglicherweise gar nicht aufgebraucht werden, tut ein Übriges, um neuen Leichtsinn aufkommen zu lassen.

Solche Signale muss man nicht schlechtreden. Aber sie verleiten dazu, den Reformdruck zu mindern - es wäre falsch. Athen muss eigene Verkrustungen aufbrechen und von der dauerhaften Subventionierung eines Großteils der eigenen Bevölkerung wegkommen. Gefragt ist nicht weniger als die Umgestaltung einer weithin sozialistisch arbeitenden, aber genau deshalb wirkungslosen Gesellschaft. Die Opfer, die diese Phase kostet, sind nicht den Geldgebern, sondern den vielen Vorgängern von Tsipras anzulasten. Trotzdem werden sich die Geldgeber am Ende zu Schuldenerleichterungen durchringen. Aber es soll bitte niemand glauben, dies wirke wie ein Zaubermittel gegen den Berg der Staatsschulden. Alle die, die Griechenland sanieren oder retten könnten, brauchen einen funktionierenden Staat. Wie hoch der überschuldet ist, bleibt dabei eher zweitrangig. Das Problem besteht darin, dass diese beiden Faktoren untrennbar zusammenhängen: Wer überschuldet ist, reformiert nicht. Wer aber das eine Problem anpackt, löst auch das andere.