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„Es gibt auch Lichtblicke“

„Es gibt auch Lichtblicke“

Die Zeiten sind herausfordernd für alle Branchen. Aber nicht alles ist schlecht. Interview mit Susanne Herre, Hauptgeschäftsführerin der IHK Region Stuttgart.

Von Stephanie Danner

Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Von Stephanie Danner

Seit November 2022 ist Susanne Herre Hauptgeschäftsführerin der IHK Region Stuttgart. Hinter ihr liegt ein herausforderndes Jahr. 

Frau Herre, über der aktuellen Konjunkturumfrage steht: „Die Krise ist da“. Wie schlimm ist es um die Region Stuttgart bestellt?

Die Lage in den Unternehmen ist nicht gut. Das ist ein Unterschied zu bisherigen Umfragen, in denen zwar die Erwartungen pessimistisch waren, die Lage aber noch gut. Das sehe ich auch bei Unternehmensbesuchen in der Industrie, die unseren Wirtschaftsraum sehr prägt. Ein Sorgenkind ist der Einzelhandel, wo sich Ladenschließungen derzeit häufen. Insofern ist die Ausgangssituation momentan keine gute. 

Das liegt im Handel auch an der Zurückhaltung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Welche sonstigen Gründe sind für zurückgehende Geschäftserwartungen verantwortlich?

Zum einen ist es die Inflation. Aber da gibt es die Hoffnung, dass es 2024 wieder besser wird. Im Handel gibt es das strukturelle Problem durch den Online-Handel. Das ist nicht neu, aber sehr herausfordernd. Über alle Branchen hinweg ist der Fachkräftemangel ein großes Problem. Das beginnt schon mit den Schwierigkeiten, die viele Betriebe haben, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen. Auch die überbordende Bürokratie ist ein Thema, das sich durch alle Branchen zieht und die Unternehmen belastet. Durch lange Verfahren und Dokumentationspflichten verlieren die Unternehmen wertvolle Zeit - egal ob Caterer oder Maschinenbauer. 

Das Thema Bürokratie hat die IHK bereits vor zehn Jahren beklagt. Ist es bei der Politik auf taube Ohren gestoßen oder sehen Sie auch Verbesserungen?

Die Regelungswut nimmt zu, egal ob EU oder Kommune. Hinzu kommt, dass Bürokratieanforderungen auf Fachkräftemangel stoßen. Das trifft Unternehmen ebenso wie die Verwaltung, wo der Fachkräftemangel auch angekommen ist. So ziehen sich Verfahren hin. Der Belastungsdruck ist auf beiden Seiten hoch. 

Verbesserungen sehen Sie nicht?

Da es den Fachkräftemangel auch in der öffentlichen Verwaltung gibt, ist der Druck auf die Politik höher, etwas zu verändern. Neben der Digitalisierung ist das die Vereinfachung der Regelungen. Es lässt mich hoffen, dass erkannt wird, wo man vereinfachen kann und effizienter werden muss. 

Das trifft auch auf Ausländerbehörden zu. Sie haben seit September mit der Stadt Stuttgart und der Handwerkskammer eine Kooperation. Können Sie erste Ergebnisse nennen?

Es geht um das beschleunigte Fachkräfteverfahren und betrifft bisher Ausländerinnen und Ausländer, die noch nicht in Deutschland sind, aber bereits eine Jobzusage für Deutschland haben und den Aufenthaltstitel benötigen. Bevor das Ausländeramt tätig wird, beraten wir Unternehmen und überprüfen, ob die Unterlagen vollständig sind. Daran hapert es nämlich oft. So kann ohne weitere Verzögerung die Ausländerbehörde den Vorgang bearbeiten. 

Teilweise scheitert es an der Anerkennung von ausländischen Abschlüssen. Wie schwierig ist das in der Praxis?

Das ist bisher wirklich schwierig. Nun hoffen wir auf das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, dessen zweiter Teil im Frühjahr in Kraft treten soll. Dann sollen die Menschen mit ausländischen Abschlüssen hier in Deutschland einreisen und arbeiten können, ganz unabhängig von der formalen Anerkennung. Diese folgt im Nachgang. 

Recruiting ist zeit- und geldintensiv. Wie schafft man es denn, Fachkräfte langfristig zu halten?

Für ausländische Fachkräfte spielt die Integration eine große Rolle – sowohl im Unternehmen als auch im sozialen Leben. Eine unglaubliche Schwierigkeit ist, eine adäquate Wohnung zu finden, in der man sich auch wohl fühlt. Das betrifft Firmen jeder Größenordnung und sie tun viel dafür, um ihre Mitarbeiter, egal welcher Herkunft, zu unterstützen. 

Mitarbeitergewinnung beginnt beim Nachwuchs. 35 Prozent der Betriebe haben 2022 keine einzige Bewerbung für Lehrstellen erhalten. Woran liegt das Ihrer Einschätzung nach?

Eine Fachkräfteumfrage zeigt, dass drei Viertel der Firmen Menschen aus der dualen Ausbildung suchen und die Hälfte Studienabsolventen. Ein Grund dafür ist die Demografie. Es kommen weniger Menschen nach als das Unternehmen verlassen. Generell tun sich hier die großen Unternehmen leichter als kleine. Außerdem gibt es Branchenunterschiede: Gastronomie- oder Verkehrsgewerbe tun sich besonders schwer. 

Welche Initiativen gibt es, um junge Menschen zu gewinnen?

Die Firmen knüpfen Kontakte in die Schulen, beispielsweise mit Schulpartnerschaften. Dort stellen sie Berufe vor und bieten Praktika an. Insgesamt ist es aber für viele eine erhebliche Herausforderung. 

Wie kann die IHK unterstützen?

Wir vermitteln Schulpartnerschaften und motivieren Unternehmen, bei Praktikumswochen teilzunehmen. Auszubildende gehen als Ausbildungsbotschafter in die Schulen und erklären den Gleichaltrigen ihren Beruf. Auf Bundesebene ist eine große Kampagne gestartet: #könnenlernen (https://www.ausbildung-macht-mehr-aus-uns.de). Über Social Media sollen junge Menschen erreicht und für Ausbildung begeistert werden. Außerdem beteiligen wir uns an Ausbildungsmessen und wir sprechen auch die Eltern an, denn sie sind bei der Frage nach Ausbildung oder Studium meist sehr gefragt. 

Spüren Sie Verbesserungen durch all diese Maßnahmen?

Ja, wir hatten zum Ausbildungsbeginn im September sieben Prozent mehr Auszubildende als letztes Jahr. Im November waren es im Vergleich zum Vorjahr fünf Prozent mehr. Das ist ein gutes Zeichen, denn eine duale Ausbildung ist top und bietet sehr gute Chancen. Allerdings gibt es den gesellschaftlichen Trend zum Studium. Wir tun alles dafür, zu zeigen, dass eine Ausbildung nicht zweitrangig ist. Uns ist es ein Anliegen Berufsorientierung an den Schulen, auch an den allgemeinbildenden Gymnasien, auszubauen. Dafür ist es auch wichtig, mit Rolemodels zu arbeiten, die zeigen, dass sie es auch ohne Studium geschafft haben und erfolgreich sind. 

Ist denn nun alles schlecht oder gibt es auch positive Perspektiven fürs neue Jahr?

Ich bin die Letzte, die sagt: ‚Alles ist schlecht.’ Wir haben eine tolle Wirtschaftsstruktur in der Region: Mittelstand und Familienunternehmen mit hoher Standorttreue und guter Eigenkapitalstruktur. Sie sind resilient. Das stimmt hoffnungsfroh. Und ich schöpfe Hoffnung, dass der Bürokratieabbau kommt, weil der Handlungsbedarf von der Politik endlich erkannt wird. In der Ausbildung zeigt der Trend leicht nach oben, das ist ein gutes Zeichen auch mit Blick auf die fehlenden Fachkräfte. Positiv stimmen mich die Signale der Wirtschaftsinstitute bezüglich Inflation. Entspannung, gerade im Baubereich, könnte es auch geben, wenn es bei der Zinspolitik nicht mehr nur aufwärts geht. Außerdem könnte Digitalisierung und KI eine Chance sein, um dem Fachkräftemangel sowie der Bürokratie entgegenzuwirken. Durch klugen Einsatz von KI kann man Effizienzen gewinnen. Es gibt also durchaus Lichtblicke.

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