Dagmar Weinberg. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Von Dagmar Weinberg

Früher war nicht nur mehr Lametta. Früher waren auch mehr Urlaubskarten. Kaum hatte die Reisewelle Fahrt aufgenommen, sah man, an welchen Stränden es sich unsere Freunde gerade gut gehen ließen, welche Berge sie bereits bezwungen und welche Bauwerke sie besichtigt hatten. Doch die tiefroten Sonnenuntergänge hinter Palmen sind längst schmuckloser elektronischer Post gewichen. Manchmal bekommt man wenigstens ein Selfie, das erahnen lässt, wie fein der Sand, wie hoch die Berge und wie überwältigend die Kathedrale ist. Doch zum Glück gibt’s noch Freunde mit einem konservativen Kommunikationsprofil. Und die werden auch von uns mit realer Post bedacht.

Wer aber der lieben Kollegin, selbst eine eifrige Kartenschreiberin, royale Grüße vom luxemburgischen Prinzen Guillaume und seiner belgischen Gräfin Stéphanie zukommen lassen möchte, muss sich auf einen langen Marsch durch die Hauptstadt des Großherzogtums gefasst machen. Handyläden findet man an jeder Ecke. Ein Briefkasten ist aber weit und breit nicht in Sicht: weder am Rathaus noch bei der Kathedrale Unserer lieben Frau und erst recht nicht rund ums herzogliche Palais. Wir haben schon fast aufgegeben, als uns von einer imposanten Sandsteinfassade eine auf Hochglanz polierte Messingklappe mit dem eingravierten Wörtchen „Lettres“ entgegen blitzt.

Als die Freundin aber Tage nach unserer Rückkehr noch immer auf die Urlaubspost wartet, fragen wir uns, ob sich hinter der Messingklappe wirklich die großherzogliche Post oder womöglich eine Briefkastenfirma verborgen hat. Eine gute Woche später stecken Guillaume und Stéphanie dann aber endlich im Briefkasten in Esslingen. Wer partout altmodische Traditionen pflegt, muss sich manchmal halt ein bisschen länger gedulden.