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Immer wieder werden Wundermittel gegen Krebs propagiert. Jetzt ist aber die Genetik von Krebszellen erforscht worden. „Nach langer Zeit herrscht wieder Aufbruchstimmung in der Tumortherapie“, sagt der Ruiter Chefarzt Bodo Klump.

OstfildernErstmals seit Jahren herrsche in der Tumortherapie wieder Aufbruchstimmung, sagt Professor Bodo Klump, der in der Ruiter Medius-Klinik die Abteilung Innere Medizin, Gastroenterologie und Tumormedizin leitet. Die Genetik von Tumorzellen ist nun so weit erforscht, dass man ihre Wirkungsweise mit Medikamenten außer Gefecht setzen kann. Bisher konnten Krebszellen das körpereigenen Immunsystem blockieren, die neuen Medikamente heben diese Blockade auf und greifen so relativ sanft in das System ein. Die Nebenwirkungen sind gering. Das Revolutionäre dabei ist: Das Medikament wirkt unabhängig vom betroffenen Organ. „Die genetischen Faktoren bestimmen die Therapie“, sagt Chefarzt Klump.

Aber: Die neuen Medikamente können bislang nur bei einem Teil der Tumorpatienten eingesetzt werden. Noch sei die Zahl der Patienten, die davon profitieren, klein, sagt der Ruiter Chefarzt. Deshalb gehört zum Kampf gegen den Krebs nach wie vor die Prävention. Klump spricht von der 4P-Medizin: präventiv, partizipativ, personalisiert und präzise.

Prävention I

Etwa 40 Prozent aller Krebsfälle, die jährlich diagnostiziert werden, wären nach Ansicht von Wissenschaftlern durch eine gesündere Lebensweise vermeidbar. Diese Zahl kann der Ruiter Gastroenterologe Klump bestätigen: „Fast jeder zweite Erkrankung an Dickdarmkrebs hätte durch gesunde Lebensweise vermieden werden können. Das bedeutet weder Askese noch Freudlosigkeit, sondern harmlose Änderungen in der Ernährung. Rotes Fleisch vermeiden, fleischlose Tage einlegen, auf Ballaststoffe achten, Fisch auf den Speiseplan setzen, ebenso Rohkost. Verzicht auf Nikotin, Maßhalten beim Alkohol.“

Körperliche Bewegung gehört zur Prävention bei Krebs ebenso wie bei Kreislauferkrankungen dazu. Drei Mal in der Woche 20 Minuten „ein bissle schwitzen“, empfiehlt Klump. Lange Zeit sei nicht klar gewesen, dass Übergewicht den Krebs fördere, heute zweifelt niemand mehr daran. Klump kann dies an der zunehmenden Häufigkeit von Bauchspeichelkrebs und Speiseröhrenkrebs direkt ablesen.

Prävention II

Seit 2002 ist die Darmspiegelung eine Kassenleistung. Die Zahl der Erkrankten ist seither leicht rückläufig. Etwa 100 000 Krankheitsfälle seien vermieden worden, sagt Klump. Dennoch findet der Mediziner die Teilnahmeraten enttäuschend: „Jeder Fall von Dickdarmkrebs, der nicht mehr heilbar ist, ist eine Tragödie.“ Denn durch die Vorsorgeuntersuchung ließe sich dieser Krebs zu fast 100 Prozent vermeiden.

Patient auf Augenhöhe

Studien und Statistiken haben früher die Leitlinien für die Behandlung bestimmt. Heute reicht die statistische Signifikanz nicht mehr. In der „partizipativen Medizin“ soll der Arzt dem Patienten „auf Augenhöhe“ begegnen und mit ihm besprechen, ob die Verlängerung der Lebenszeit durch eine Chemotherapie auch aus der Sicht des Patienten einen Fortschritt bedeutet. Chefarzt Klump: „Wir wollen ein maßgeschneidertes Therapiekonzept finden und wir müssen respektieren, wenn der Patient sich anders entscheidet.“ Fester Bestandteil der Therapie ist heute auch die Psychoonkologie. „In einer lebensbedrohlichen Situation ist das eine große Hilfe mit hohem therapeutischen Wert“, sagt Internist Klump.

Personalisiert

Bisher war der Ort des Krebsleidens entscheidend für die Therapiewahl. Heute bestimmt zunehmend die genetische Eigenschaft des Tumorgewebes die Therapie. Der technische Fortschritt erlaubt zum einen, dass die genetischen Eigenschaften schnell und kostengünstig analysiert werden. Zum anderen lassen sich durch große Datenmengen – Big Data – Zusammenhänge schneller erkennen. 2017 haben die amerikanischen Zulassungsbehörden erstmals ein Medikament – Pembrolizumab – für gleich mehrere Tumorerkrankungen zugelassen. Voraussetzung ist jedoch, dass in den Zellen des Patienten bestimmte molekulare Eigenschaften vorliegen.

Präzise

Eigentlich hat der Körper genug Immunzellen, um einen Tumor zu bekämpfen. Aber Krebszellen senden Signale aus, die das Immunsystem blockieren. Dank genetischer Untersuchungen kann man nun die Bremsen identifizieren – und Medikamente einsetzen, die sie lösen. Das Immunsystem attackiert dann wieder den Tumor. Die neuen Substanzen heißen Checkpoint-Inhibitoren, weil sie den Kontrollpunkt auf der Immunzelle steuern können. Drei solcher Stoffe (Eiweißmoleküle) sind bislang gefunden worden und werden in Kombination eingesetzt.

Hat man die genetischen Daten der Tumorzelle, kann man außerdem die Zytostatika gezielter einsetzen. „Man braucht nicht mehr die Chemo-Gießkanne, sondern attackiert den Tumor effektiv und nebenwirkungsärmer“, sagt Chefarzt Bodo Klump.