Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

Geboren ist sie in Warschau, in ihrer Geburtsurkunde steht der Name Elzbieta Wierzbowska, doch für die meisten Esslinger ist sie ganz einfach Ella. So kennt man sie, so schätzt man sie, und so ist sie im Esslinger Norden heimisch geworden. Hier lebt sie mit ihrem Mann, dem Esslinger SPD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Drexler, hier fühlt sie sich zuhause. „Bei uns in Wäldenbronn lebt es sich ausgesprochen schön. Ich mag die Menschen, viele sind Freunde geworden.“ Deshalb war es für sie selbstverständlich, den deutschen Pass zu beantragen, sobald die Möglichkeit geschaffen wurde, die doppelte Staatsbürgerschaft zu beantragen. Ihre polnischen Wurzeln will sie bei aller Liebe zu Esslingen bewahren: „Ich pflege intensive Kontakte nach Polen und reise oft dorthin. Auch wenn ich aus Überzeugung Esslingerin geworden bin, spüre ich, dass die Muttersprache einen Menschen viel tiefer prägt, als sich viele vorstellen können.“

Kein Wunder, dass Ella Drexler-Wierzbowska mit Sorge nach Polen blickt, seit die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Oktober 2015 das Ruder übernommen und sofort begonnen hat, das Land nach ihren Vorstellungen umzubauen: „Jede Regierung hat ihre Ideen, doch was wir derzeit in Polen erleben, reicht viel tiefer als die üblichen Reformen. Die polnische Gesellschaftsordnung wird in ihren Grundfesten erschüttert, und die freiheitliche Demokratie, für die das Land so lange kämpfen musste, ist mehr und mehr in Gefahr.“ Die 71-Jährige, die ihren späteren Mann beim ersten Jugendaustausch des Esslinger Kreisjugendrings mit dem Studentenverband der Technischen Hochschule Warschau kennen und lieben gelernt hatte, verfolgt die aktuellen politischen Entwicklungen konsequent: Das polnische Fernsehen, unabhängige Zeitungen und vor allem Kontakte zu Freunden, Bekannten und Verwandten vermitteln ihr ein differenziertes Bild: „Die neue Regierung geht mit unglaublicher Geschwindigkeit vor: Die Unabhängigkeit der Justiz, das Schulsystem, die Universitäten, die Kontrolle der staatlichen Medien, die Armee und vieles mehr - man kommt manchmal kaum hinterher.“ Und bei alledem beobachtet sie ein zentrales Motiv, das hinter den allermeisten Reformen steht: „Es geht darum, Polen auf einen streng konservativen Kurs zu trimmen und die Macht der neuen Regierung dauerhaft zu zementieren. Bis zu den nächsten Wahlen soll dann vieles bereits so fest gefügt sein, dass es möglichst nicht zurückzudrehen ist.“

Ella Drexler-Wierzbowska ist weit davon entfernt, die neue Regierung in Bausch und Bogen zu verdammen: „Es gibt Reformen, von denen man noch nicht sagen kann, wie sie sich auswirken werden. Aber es gibt auch vieles, wovon man bereits jetzt weiß, dass es vielen Menschen Nachteile bringt - zum Beispiel den Frauen.“ Dabei denkt sie etwa an ein verschärftes Abtreibungsrecht oder an die Lockerung des Gesetzes gegen häusliche Gewalt. Und es gibt manches, was positiv klingt, in Wahrheit aber mit bestimmten Hintergedanken angepackt wurde - etwa die Erhöhung des Erziehungsgeldes: „Die war überfällig und ist im Grundsatz zu begrüßen. Dass seither 140 000 Frauen aus dem Berufsleben ausgeschieden sind, kann jedoch nicht Sinn der Sache sein. Das schafft Abhängigkeiten und drückt später die Rente.“

Besonders missfällt es Ella Drexler-Wierzbowska, dass die Freiheitsrechte in Polen in großer Gefahr sind: Der Justizminister will die Justiz vollständig unter seine Kontrolle bringen, kritische Beamte werden kaltgestellt, Nicht-Regierungsorganisationen werden massiv behindert, in der Armee herrscht Chaos, dafür werden Bürgerwehren aufgestellt, und die Freiheit der öffentlich-rechtlichen Medien wird mit Füßen getreten. Rechtsextremisten finden derweil einen immer gedeihlicheren Nährboden - mit allen negativen Folgen speziell für Minderheiten. „Polen war immer ein tolerantes Land“, sagt Drexler-Wierzbowska. „Manche Töne, die ich inzwischen höre, machen mir Angst.“

Dass sich in ihrer Heimat weiterhin kritische Stimmen regen und dass sich viele Polen schon aus Tradition den Mund nicht verbieten lassen, lässt die Wäldenbronnerin etwas optimistischer Richtung Polen blicken. Und dass sie selbst aus der katholischen Kirche, die zu den Wegbereitern der PiS gehört hatte, inzwischen etwas distanziertere Untertöne zu vernehmen glaubt, macht Ella Drexler-Wierzbowska Hoffnung. Umso mehr ärgert sie sich über die Ratlosigkeit der Opposition, die noch kein Mittel gefunden hat, um die negativsten Entwicklungen aufzuhalten. „Ich kann nur hoffen, dass sich noch mehr Menschen in Polen daran erinnern, dass wir Europäer sind, dass die Mitgliedschaft in der EU die großartige Entwicklung unseres Landes ermöglicht hat, und dass es europäische Werte gibt, die es zu respektieren und notfalls zu verteidigen gilt.“ Dass sie aus der Distanz vielleicht manches klarer sieht als diejenigen, die ganz nah dran sind am polnischen Alltag, weiß sie umso mehr zu schätzen: „Ich bin 1970 sehr bewusst hierhergekommen, und ich bin froh, dass wir hier eine starke Demokratie haben. Deshalb ist es so wichtig, die deutsch-polnischen Kontakte, für die ich mich immer engagiert habe, auf ganz persönlicher Ebene zu pflegen. So habe ich vor vielen Jahren gesehen, was es heißt, in Freiheit zu leben, und so können wir auch heute zeigen, was auf dem Spiel steht.“

Für alle, die sich für die aktuelle politische Lage in Polen und ihre Auswirkungen auf Europa interessieren, laden die Deutsch-Polnische Gesellschaft und die Friedrich-Ebert-Stiftung zu einer Diskussionsrunde unter dem Titel „Was ist los in Polen?“. Die Veranstaltung beginnt am Dienstag, 23. Mai, um 18.30 Uhr im Salemer Pfleghof.