Wieder voll da: Marco Reus war einer der wenigen Lichtblicke im DFB-Team. Foto: dpa - dpa

Die Generalprobe gegen Saudi-Arabien kann keine große WM-Zuversicht erzeugen. Positives gibt's kaum, abgesehen von Turnier-Joker Reus.

Leverkusen (dpa) Auf dem Weg aus dem Stadion posierte Joachim Löw noch bereitwillig für ein paar Fotos, ehe er auf dem Rücksitz einer schwarzen Luxuslimousine davonrauschte. Ein mulmiges WM-Gefühl nahm der deutsche Weltmeistercoach nach eigenen Aussage nicht mit in die «zweieinhalb freien Tage», die er sich persönlich nach der holprigen Generalprobe beim 2:1 (2:0) gegen Saudi-Arabien bis zur Abreise nach Russland zugestehen wollte. «Diese Tage tun mir auch mal gut jetzt. Einen halben Tag muss ich dann wieder ein bisschen vorbereiten und arbeiten», sagte Löw mit Blick auf den Start in das Unternehmen Titelverteidigung am Dienstag. Dann fliegt der DFB-Tross von Frankfurt nach Moskau und bezieht das WM-Quartier in Watutinki.

Unbeschwert und mega-optimistisch kann aber niemand die Reise zum Turnier antreten. Sportlich ist das DFB-Team noch weit von einer weltmeisterlichen Verfassung entfernt. Und atmosphärisch belastet die Erdogan-Affäre um den in der BayArena ausgepfiffenen Nationalspieler Ilkay Gündogan die Mannschaft und damit das gesamte WM-Projekt. «Wir müssen sicherlich noch drauflegen, klar», sagte der Bundestrainer zur Leistung beim Pflichtsieg, der am Ende sogar in Gefahr geraten war.

«In der zweiten Halbzeit haben wir so gut wie alles vermissen lassen», sagte Sami Khedira wohltuend selbstkritisch: «So ist es schwer.» Wie schon beim 1:2 in Österreich war nur die Startphase ermutigend. Löw brachte die letzten 90 Minuten vor dem Ernstfall in einer Woche gegen Mexiko in einem Satz auf den Punkt: «Wir haben zu viele Chancen ausgelassen und zu viele Chancen zugelassen.»

Der 2:0-Vorsprung durch Jungstar Timo Werner sowie Eigentorschütze Omar Hausawi wäre nach dem späten Anschlusstor des Weltranglisten-67. von Taissir Al-Dschassim fast noch verspielt worden.

«Wir haben uns das Leben selbst schwer gemacht. Wir müssen auf alle Fälle besser spielen», resümierte Abwehrspieler Mats Hummels. Sonst droht in Russland ein böses Erwachen - und das schon in der an sich lösbaren Gruppe mit Mexiko, Schweden und Südkorea. Gegen die Saudis war die WM-Wunschelf mit Ausnahme des angeschlagenen Mesut Özil nur auf Angriffstraining eingestellt. Die Defensivarbeit wurde grob vernachlässigt, es fehlten Hingabe, Teamwork, Laufbereitschaft. Dennoch beschwichtigte Löw: «Wenn es losgeht, werden wir da sein!»

Eine atmosphärische Belastung schleppen der DFB und die Mannschaft mit nach Russland. Die Unmutsbekundungen vieler Zuschauer gegen den 27-jährigen Gündogan bewiesen, dass die Fotos von ihm und Özil mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ein unverzeihliches Politikum für viele deutsche Fußball-Anhänger darstellen. Die Affäre schaukelte sich in Leverkusen weiter hoch - Ausgang offen.

«Das hat mich schon geschmerzt», sagte Löw: «Ich habe ihn in der Kabine gesehen, er ist auch geknickt, wenn er ständig ausgepfiffen wird.» Er hoffe, dass Gündogan die Situation durchstehen könne. Eine sportliche Hilfe fürs Team stellt der Mittelfeldspieler aktuell nicht dar. «Wir werden ihn unterstützen», erklärte der Bundestrainer.

Gündogans Kollegen appellierten an die Fans. «Ab jetzt bitte ich die Leute einfach darum, daran zu denken, dass wir Weltmeister werden wollen. Dafür brauchen wir den Illy, dafür brauchen wir den Mesut», sagte Stürmer Mario Gomez, früher selbst Zielscheibe pfeifender Anhänger. Der Senior im WM-Kader bat: «Es sollte nicht versucht werden, das Ding weiter zu spalten, sondern wieder eine Brücke zu bauen, damit man wieder mit anderen Gedanken in die WM gehen kann.»

Viele sportlich ermunternde Erkenntnisse nahm Löw nicht mit ins freie Wochenende. Hinter Kapitän Manuel Neuer stehen keine WM-Fragezeichen mehr. Dass der Torwart nur 45 Minuten spielte und dann von Marc-André ter Stegen abgelöst wurde, sei so abgesprochen gewesen. «Manu ist absolut okay», sagte Löw. Abwehr-Ass Jérôme Boateng nahm sechs Wochen nach seiner Oberschenkelverletzung wieder ersten Spielrhythmus auf. «Wir haben noch eine Woche bis zum ersten WM-Spiel und können auch noch im Turnier mit ihm arbeiten», sagte der Bundestrainer.

Das Erfreulichste am ernüchternden Generalprobenabend aber war, dass Marco Reus den letzten Test nicht nur gesund überstand, sondern der Lichtblick im deutschen Team war. «Er hat wirklich gute Aktionen gehabt», lobte Löw und schloss an: «Ich bin überzeugt, dass er wichtige Akzente setzen kann und einen wesentlichen Beitrag leisten wird, dass wir in diesem Turnier hoffentlich sehr weit kommen.»