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Der Weltmeister ist neben dem Platz ganz der Alte – auf dem Platz aber lässt seine Leistung zu wünschen übrig.

Sotschi In sportlich prekären Situationen ist es oft nicht das Schlechteste, auf Bewährtes zu setzen. Womöglich nicht immer auf dem Platz, aber außerhalb. Man kann Thomas Müller in diesen Tagen ja so einiges attestieren, schwache Leistungen in den vergangen Spielen zum Beispiel. Und dass er auf dem Rasen eben gerade nicht der alte, der bewährte Müller vergangener WM-Turniere ist.

Daneben aber, da ist auf ihn Verlass. Und das offenbar mehr denn je.

Die Sonne brannte am Mittwochmittag an der Schwarzmeerküste in Sotschi, dort also, wo die deutsche Elf an diesem Samstag im zweiten Gruppenspiel gegen Schweden nach dem verpatzten Auftakt unter Druck steht. Da tat es allen Beteiligten irgendwie mal gut, kurz abzukühlen im Mannschaftshotel an der Strandpromenade. Weshalb es sich bestens traf, dass der streng klimatisierte Konferenzsaal des Luxusbunkers ein besserer Eisschrank war. Thomas Müller aber lief heiß.

Der Müller, der auf dem Platz derzeit eher nicht den Müller gibt, lief auf dem Pressepodium zur Hochform auf, und hinterher durfte man das durchaus als klugen Schachzug der DFB-Strategen werten, in der allgemeinen Krisenstimmung, eben diesen Müller da oben hinzusetzen. Denn wenn das Scheinwerferlicht angeht, dann kommt der Weltmeister der guten Laune halt immer noch in Form.

Auf die Frage, ob es eine Spaltung innerhalb des DFB-Teams gebe und ob so etwas wie einen Bayern-Block gibt, fragte Müller spitzbübisch zurück: „Ist es bestätigt, dass es einen Bayern-Block gibt? Haben wir dafür Quellen?“ Und weiter: „ Wir haben natürlich mehrere Tische beim Essen und nicht eine große Tafel. Natürlich sitzen da Spieler nebeneinander, die sich auch privat gut verstehen. Bei mir ist es so, dass ich auch dort flexibel einsetzbar bin.“ Kurze Künstlerpause: „Und ich habe meine Ohren überall.“ Damit sorgte Müller mal wieder für allgemeine Erheiterung, ehe er ernst wurde. Von einer Grüppchenbildung, sagte er, sei natürlich nichts zu spüren.

Auf seine schwache Leistung gegen Mexiko angesprochen, scherzte Müller dann munter weiter. „Also beim Aufwärmen hatte ich zwei super Schüsse, die sind links oben eingeschlagen, und zwei Kopfbälle haben auch gepasst“, sagte er und ergänzte den entscheidenden Punkt: „Nur leider war halt da noch kein Gegner mit dabei.“

In diesem Stil ging es weiter, Müller lachte, Müller flachste, ein echter Müller eben. Der Gaudibursche lockert die Stimmung auf, und er tat das keinesfalls aufgesetzt. All das war so etwas wie die gute Nachricht des Tages. Die schlechte: Das bringt alles nichts, wenn die deutsche Elf nicht die Kurve kriegt am Samstag gegen Schweden. Dem lockeren Auftritt des Offensivmanns vom Mittwoch sollte nun ein sportliches Ausrufezeichen folgen.

Vor allem von Müller selbst.

Von dem Mann also, der am besten weiß, dass auf dem Platz gerade nicht allzu viel funktioniert. Das WM-Auftaktspiel gegen Mexiko (0:1) in Moskau bildete die Fortsetzung dessen, was schon in den Testspielen vorher zu sehen war. Kein Raum öffnete sich für Müller, die Laufwege passten nicht. Torgefährlichkeit gab es keine, und auch in der Defensive hatte sich der Rechtsaußen mehrmals übertölpeln lassen. Müller also, der WM-Müller, der beste und der zweitbeste Torjäger der Turniere 2010 in Südafrika und 2014 in Brasilien, gehörte zum Auftakt in Russland zu den schwächsten Deutschen. Er hängt durch. Nach wie vor.

Schlaflose Nächte

Dabei fordert dieser Müller auch in der persönlichen Krise eine fundierte und ausgewogene Bewertung, die sich nicht nur an seinen Toren bemisst. „Ich verlange selbst von mir, dass ich die Wege in den Strafraum mache. Aber ich bin ja keiner, der nur fürs Toreschießen auf dem Platz ist, sondern auch für den vorletzten Pass oder für einen Assist“, sagt er und ergänzt: „Deshalb setze ich mich nicht unter Druck, wieder fünf Tore bei einem WM-Endturnier zu machen.“

Im Moment aber lässt sich sagen: von allen oben aufgezählten Punkten gelang Müller zuletzt – nichts! Es ist eine Entwicklung, die sich auch schon beim FC Bayern München andeutete, als Müller beim Ausscheiden im Halbfinale der Champions League gegen Real Madrid in beiden Spielen kein Faktor war. Es liegt nun an am Offensivmann selbst, in Russland für die Wende zu sorgen – ansonsten wird bei der Weltmeisterschaft und auch danach wohl noch öfters das passieren, was der 28-Jährige kürzlich im kleinen Kreis beschrieben hat.

Da verriet er, dass es ihm nach schwachen Spielen „eindeutig“ schwerer falle, einzuschlafen: „Nach Abendspielen“, sagte der Nationalspieler, „dauert das bis drei oder vier Uhr. Der Vorteil ist: die anderen können auch nicht schlafen. Dann trifft man sich noch mal an der Bar.“ Oder Müller geht auf dem Zimmer spät in der Nacht selbst in die Analyse. Er schaue sich dann auf der individuell von den Scouts gespeisten Spieler-App auf seinem Handy „die signifikanten Szenen noch einmal genau an“. In der Nacht zum Montag, nach dem Mexiko-Spiel, hatte Müller also zuletzt wieder allen Anlass, viel zu analysieren. Was dann abgeht, beschrieb er so: „Ich bin müde, liege im Bett, dann gehen die Augen zu und das Kopfkino geht los.“ Zuletzt sah Müller keine schönen Filme. Ein Happy End in Russland ist aber nach wie vor alles andere als ausgeschlossen.