Kunstradfahrer Moritz Herbst zeigt bei der Hallenrad-WM in Österreich in fünf Minuten 30 Elemente. Foto: Bauer Quelle: Unbekannt

Von Dominic Berner

Esslingen - „Gestern Abend kam ich aus Innsbruck zurück“, sagt Moritz Herbst, der nur deshalb in Esslingen sein kann, weil in Österreich Feiertag ist. Der gebürtige Nürtinger pendelt zwischen Innsbruck und Wendlingen, zwischen Studium und Sport. Wenn Herbst nicht Medizinlehrbücher in Österreich wälzt, führt der 24-Jährige komplexe Küren auf einem Fahrrad aus.

Herbst ist Kunstradfahrer beim RSV Wendlingen. Bei der Hallenrad-Weltmeisterschaft im österreichischen Dornbirn Ende November gewann er die Silbermedaille im Kunstrad-Einer.

Blauer Pullover und eine dunkle Brille, durch deren Gläser ein wacher Blick das Wesentliche fokussiert. Ein Medizinstudent-Stereotyp. Kein Mensch würde vermuten, dass Herbst einen Handstand auf einem Fahrradlenker sturzfrei übersteht. Wahrscheinlich gehört ein Handstand jedoch eher zu seinen einfacheren Übungen. Bei der Weltmeisterschaft turnte Herbst in fünf Minuten 30 verschiede Elemente.

Der Kampf mit den Nerven

„Vor dem Turnier war ich erstaunlich ruhig“, wundert sich Herbst. Das hat vor allem daran gelegen, dass der 24-Jährige schon Tage vor der WM auf der Originalfläche trainiert hatte. „Ganz ohne Zuschauer“, sagt Herbst, „nur, um die Atmosphäre der Halle spüren.“ Erst am Morgen vor dem Vorkampf, dem ersten Durchgang, sei die Nervosität gekommen. „Das war auch der Grund, weswegen ich anfangs ein paar Fehler gemacht habe. Ich war einfach sehr aufgeregt.“ Herbst bekam seine Nerven in den Griff, zog ins Finale ein und wurde hinter seinem Landsmann Lukas Kohl Zweiter. Gold und Silber für Deutschland. „Ich bin absolut zufrieden mit meiner Leistung“, grinst der Kunstradfahrer. Herbst scheint auf den Geschmack gekommen zu sein - auf den Geschmack von Edelmetall. Vielleicht eines Tages Gold?

Für den Sport nimmt Herbst ungeheure Strecken auf sich. Er studiert in Innsbruck im neunten Semester Medizin, sein Verein aber ist in Wendlingen und die Wettkämpfe finden auf der ganzen Welt statt. Zwar hat Herbst auch in Innsbruck die Möglichkeit zu trainieren, doch der junge Mann startet weiterhin für den RSV Wendlingen und kommt regelmäßig zurück in die Region.

„Viele Leute denken, dass Balance eine der wichtigsten Fähigkeiten ist. Meiner Meinung nach ist jedoch Disziplin fast noch wichtiger.“ Ohne diese Disziplin wäre es für ihn auch nicht möglich, den Sport und das Studium unter einen Hut zu bekommen. Sobald Herbst seinen Wettkampf- und Studienplan vorliegen hat, strukturiert er jede Woche des Semesters durch. Wann ist Training? Wann muss ich lernen? Wann bin ich in Wendlingen? In Innsbruck? Oder bei der Freundin in Ulm?

Außerdem gehört auch Überwindung zu diesem Sport, der Konzentration, Körperbeherrschung und Kraft in höchstem Maße erfordert. 20 Stunden trainiert Herbst durchschnittlich pro Woche. „Ich versuche jedoch, an einem Wochentag nicht zu trainieren. Der Körper braucht die Regeneration“, sagt der Kunstradfahrer.

Diese Vorsicht hat einen Grund, denn dass der junge Mann WM-Silber in Händen hält, war vor noch nicht allzu langer Zeit undenkbar. Die vergangenen fünf Jahre in Herbsts Sportlerleben waren nämlich geprägt von gesundheitlichen Rückschlägen. „Von diesen fünf Jahren war ich mehr als drei Jahre komplett verletzt und habe gar nicht am Wettkampfsport teilgenommen”, sagt Herbst und seine Miene wird ernster.

Am Anfang dieser Leidensjahre stand eine Verletzung am Oberschenkel. „Im Endeffekt musste das drei Mal operiert werden“, erklärt der Kunstradfahrer. Für die vierte OP war eine Nebenhöhlenentzündung verantwortlich. Anfang 2016 schienen alle körperlichen Probleme überstanden zu sein und Herbst turnte wieder auf Wettkampfniveau - dann verletzte er sich am Arm. Wahrscheinlich eine Überlastung, die dazu führte, dass der Radfahrer Daumen und Zeigefinger nicht mehr bewegen konnte.

So mancher Sportler hätte wohl ernsthaft über ein Karriereende nachgedacht. Herbst ist durch diese Rückschläge hingegen eher noch motiviert worden. „Das wäre für mich einfach kein rundes Ende gewesen. Wahrscheinlich hätte mich das einfach nur unglücklich gemacht“, sagt Herbst.

Der Spruch „Hätte, hätte, Fahrradkette“ passt in dieser Situation besonders gut, denn Herbst ist fit und braucht sich über ein „rundes Ende“ seiner Karriere nun keine Sorgen mehr zu machen. In ein paar Tagen bricht er wieder nach Innsbruck auf - das Studium wartet. Und wie gesagt: Er scheint auf den Geschmack gekommen zu sein.