Aileen und Manuel Rösler bei sich zu Hause in Esslingen. Foto: Rudel Quelle: Unbekannt

„Man muss immer voll da sein und es im Wettkampf auf den Punkt bringen. Da darf kein Fehler passieren.“„Wenn ich erzähle, was ich mache, dann denken die meisten, ich hüpfe auf einem Gartentrampolin.“

Von Maria Krell

Esslingen - Das Gefühl zu fliegen, einen kurzen Moment der Schwerelosigkeit zu erleben, um dann im nächsten Moment zurück in die Tiefe zu stürzen, dürften nur wenige Menschen so gut kennen wie Aileen und Manuel Rösler. Die Geschwister, die seit eineinhalb Jahren in Esslingen leben, sind mehrfache Trampolinmeister. Aileen Rösler gewann jüngst bei den Trampolin-Juniorenweltmeisterschaften in Sofia den Weltmeistertitel in der Altersklasse 17 bis 21. Ihr jüngerer Bruder Manuel sicherte sich zusammen mit Max Budde im Synchronwettkampf der Altersklasse 15/16 die Bronzemedaille. Die Höhen und Tiefen des Sprungs kennen die beiden in all seinen Facetten.

Aileen Rösler ist vor wenigen Wochen 18 Jahre alt geworden. Im Haus der Familie hängen noch die glänzenden Luftballons. Die beiden Zimmer der Geschwister liegen im ersten Stock. Hell scheint die Sonne durch die Fenster und wirft ihr Licht auf die vielen, silbern und golden schimmernden Pokale.

Auf die Frage, wie viele Titel die 18-Jährige abgeräumt hat, kann sie nicht genau antworten: „15 oder 20 Goldmedaillen müssten es mittlerweile sein - Synchron, Einzel und Mannschaft zusammengerechnet.“ Die Liste ihres Bruders mit acht Goldmedaillen ist ebenfalls beeindruckend.

Von den vielen sportlichen Erfolgen merkt man den beiden, die beim MTV Stuttgart turnen, nichts an. Sie erzählen so bescheiden vom Trampolinturnen und den Auszeichnungen, als hätten sie im Sportunterricht den Schulpokal gewonnen. Dabei verlangt der Sport von seinen Talenten einiges ab. Trampolinturnen ist eine knallharte Disziplin, die neben Beweglichkeit, Ausdauer, Schnellkraft, Körperspannung und -beherrschung von den Sportlern ein hohes Maß an Konzentration fordert. Einige Springer katapultieren sich bei ihren Übungen bis zu neun Meter in die Höhe. „Im Tuch wirken acht bis zehn g auf den Körper ein. Wenn man unkonzentriert ist, kann es schnell sehr gefährlich werden. Es ist wichtig, immer aufmerksam zu bleiben“, erzählt Manuel Rösler. Seine Schwester ergänzt: „Man sollte außerdem immer nur das machen, was man sich vorgenommen hat und immer fest bleiben, die Körperspannung halten.“

Im Wettkampf wird unterschieden zwischen Pflicht- und Kürübungen, die mit jeweils zehn Sprüngen beendet werden. Die Pflichtsprünge sind vorgegeben, die der Kür kann sich der Sportler aussuchen - etwa Schrauben, Vor- und Rückwärtssalti in verschiedenen Kombinationen.

Die Geschwister springen in der Kategorie Einzel und Synchron. Bewertet werden bei jeder Übung Haltung, Höhe, Schwierigkeit und wie mittig die Turner aufkommen.

Nur kaum jemand weiß das alles. Die Sportart fristet ein Schattendasein in der deutschen Öffentlichkeit. „Viele wissen zum Beispiel nicht, dass Trampolinspringen eine olympische Disziplin ist. Wenn ich erzähle, was ich mache, dann denken die meisten, ich hüpfe auf einem Gartentrampolin“, sagt die 18-Jährige. Das Alberne dieser Vorstellung zeigt sich in Videos von den Wettkämpfen der Geschwister: Meterhoch springt Manuel Rösler darauf in die Luft, dreht so rasant seine Rückwärtssalti, dass der Laie kaum sagen kann, wie viele das waren. Kaum kommt er auf, schießt er sofort wieder nach oben, rotiert wieder in der Luft, reiht nahtlos Schrauben an, alles in perfekter Körperspannung. Bei jedem Sprung schallen die peitschenden Schläge des Trampolins durch die Halle.

Gerät man dabei aus dem Gleichgewicht, etwa indem man sich zu weit nach vorne beugt, wird es gefährlich. „Letztes Jahr habe ich mir die Schulter gebrochen“, erzählt Aileen Rösler. Gemerkt hatte sie das aber erst am nächsten Tag. Ob sie danach Angst gehabt, am Sport gezweifelt habe? Aufrecht sitzt sie da, ihre Hände mit dem silberglänzenden Nagellack umfassen die Kaffeetasse vor ihr. „Nein“, ist die schlichte Antwort. Zu lange ausgeübt und zu gern hat sie das Trampolinspringen.

Begonnen hat die Leidenschaft für das Tuch bei der Trampolinturnerin mit fünf Jahren: Damals sei sie beim Turnen in einer Halle gewesen und habe im Nebenraum einen Trampolinwettkampf beobachtet - das Interesse war geweckt. Mit acht begann sie, neben dem Turnen auch Trampolin zu springen. Manuel Rösler zog bald nach.

Von Konkurrenz zwischen den Geschwistern kann aber keine Rede sein: Als der 15-Jährige von seinen gewonnenen Wettkämpfen erzählt, macht er am Ende eine Pause und fügt mit einem Lächeln hinzu: „Nicht ganz so viele wie meine Schwester.“ Worauf diese schnell antwortet: „Ja, aber bei den Männern ist es auch noch einmal härter. Die haben richtig angezogen. Generell ist das Niveau gestiegen.“ Aileen Rösler ist Schwester und Vorbild. „Klar kabbeln wir uns im Training auch, aber wir unterstützten uns immer gegenseitig“, erzählt der Sportler. Die Aufregung, wenn der andere springt, sei immer groß.

Doch es braucht nicht allein eine Familie, die hinter den Sportlern steht und sie unterstützt, wie es bei den Geschwistern der Fall ist. Auch das Umfeld muss stimmen. So haben die Beiden neben dem MTV Stuttgart auch mit ihrer Schule, dem Otto-Hahn-Gymnasium in Ostfildern, eine Institution an ihrer Seite, die Nachwuchssportlern unter die Arme greift. „Ich kann meine Oberstufenzeit auf drei Jahre strecken und dafür in einer Woche weniger Unterricht haben als andere Schüler“, erzählt die 18-Jährige. Mit 16 Wochenunterrichtsstunden hat sie so mehr Zeit, um sich auf den Sport zu konzentrieren. Aileen Rösler trainiert an vier Tagen vormittags und jeden Nachmittag unter der Woche, um ihr hohes Niveau zu halten und auszubauen. Für andere Hobbys bleibt da kaum Zeit. „Meine Freunde verstehen es, wenn ich abends einmal nicht zu einer Geburtstagsfeier kommen kann. Sie unterstützen mich und freuen sich dafür umso mehr, wenn ich dann dabei bin.“

Beim Wettkampf kommt es auf Physis und Psyche gleichermaßen an. „Wir sind beide ziemlich nervenstark“, sagt Manuel Rösler. Und weiter: „Man muss immer voll da sein und es im Wettkampf auf den Punkt bringen. Da darf kein Fehler passieren. Man trainiert praktisch ein ganzes Jahr auf 30 Sekunden hin. Und da hat man dann nur eine Chance“.

Und die nutzen die beiden. Das große Ziel von Aileen Rösler sind die Olympischen Spiele 2020. Sie könnte sich vorstellen, nach dem Abi ein Jahr zu pausieren, um sich voll darauf zu konzentrieren. Manuel Rösler schielt hingegen schon auf die Jugend-Europameisterschaften und Jugend-Olympia.