Das T-Shirt verrät es bereits: Alisia Freitag (Mitte) von der TSG Esslingen freut sich auf die im Juli stattfindenden deutschen Meisterschaften in Rostock. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Seit ihrem neunten Lebensjahr schnürt sie die Laufschuhe, inzwischen trainiert sie sechsmal pro Woche – was sich auszahlt. Im Jahr 2018 ist sie noch ungeschlagen.

EsslingenEs gibt sie, diese Sportler, die mit Talent überhäuft wurden und zu den besten ihres Fachs zählen. Fußballer Lionel Messi ist hier zu nennen. Auch Tennisprofi Roger Federer oder Läufer und Olympiasieger Mo Farah zählen zu diesen Ausnahmeathleten. Ihnen bei der Ausübung ihres Sports zuzusehen, ist eine Augenweide. Wie viel Arbeit in den Erfolgen steckt, sehen jedoch die wenigsten. Talent ist die eine Sache, Trainingsfleiß und der unbedingte Siegeswille eine andere.

Bei der 16-jährigen Alisia Freitag sind durchaus Parallelen erkennbar. Nun ist Freitag von der Weltspitze noch ein gutes Stück entfernt, auf eine gewisse Art und Weise sieht es aber dennoch sehr einfach aus, wenn sich die Läuferin der TSG Esslingen über die Tartanbahn bewegt. Gekonnt setzt sie im Stadion Festwiese in Bad Cannstatt einen Fuß vor den anderen, hält dabei ein lockeres Pläuschchen mit ihrer Trainingspartnerin und lacht. Doch der Eindruck an diesem sonnigen Abend täuscht. Freitag hat Talent, das steht außer Frage, vor allem aber hat sie Ehrgeiz und ist sie eine harte Arbeiterin.

„Grundtalent, ja. Ich hätte aber nicht gesagt, dass sie eine sehr talentierte Läuferin ist“, erzählt Freitags Trainer Rafael Treite, meint dies aber durchaus positiv: „Ich sage immer ’hard work beats talent’. Und in ihren Erfolgen steckt sehr viel harte Arbeit.“ Sechsmal pro Woche schnürt die Esslingerin die Laufschuhe, viermal davon in Stuttgart, zweimal in Esslingen. Das ist eine Menge, erst recht für jemanden, der zusätzlich noch die Schulbank drückt. „Wenn es in der Schule anstrengend ist, dann gibt es auch Tage, an denen ich keine Lust habe“, sagt Freitag, die in Esslingen die 9. Klasse der Zollberg-Realschule besucht: „Ich bin dann aber immer froh, wenn ich doch trainiert habe.“

Freitag war neun Jahre alt, als sie zum ersten Mal mit der Leichtathletik in Berührung kam. In der Grundschule hatte sie – wie vermutlich jedes Kind – an den Bundesjugendspielen teilgenommen, zudem warb ein Esslinger Verein für die Leichtathletik. Damals allerdings noch vergeblich. Beim EZ-Lauf 2011 wurde sie dann auf Trainer Treite und dessen Trainingsgruppe bei der TSG aufmerksam, wenig später war sie ein fester Bestandteil dieser.

Nie eine Sprinterin gewesen

„Am Anfang hatte ich schon meine Bedenken, die anderen waren teilweise 16 Jahre alt“, sagt Trainer Treite. Die quirlige Freitag habe jedoch großen Spaß gehabt und sei schon damals sehr motiviert gewesen, weshalb er sie einfach mitlaufen ließ. Hinzu kommt, dass sie trotz ihres jungen Alters bereits eine sehr gute Athletin war.

Schon in der darauffolgenden Saison folgten die ersten Wettkämpfe, allerdings noch ohne Spezialisierung. „Zu der Zeit habe ich alles gemacht: Weitsprung, Werfen und Laufen“, erzählt Freitag von ihren Anfängen. Eine Sprinterin sei sie jedoch nie gewesen, das lange Laufen habe ihr schon immer mehr Spaß gemacht. Inzwischen läuft sie auf der Mittelstrecke beinahe alles: Von 400 Meter über die Lieblingsstrecken 800 Meter, 1500 Meter und 1500 Meter Hindernis bis hin zu 5000 Meter. „Aus sportpädagogischer Sicht ist es wichtig, dass sie die Strecken von 400 bis 5000 Meter abdeckt – eine spezielle Vorliebe entwickelt sich dann in der Regel erst im Alter zwischen 17 und 19“, sagt Treite, der seiner Athletin inzwischen nicht mehr hinterherkommt – wie die meisten.

Erst im Mai holte Freitag beim Brixa-Meeting im italienischen Brixen, dem europaweit größten Leichtathletik-Vergleichskampf für U-18-Mannschaften, über die 800-Meter-Distanz den einzigen Tagessieg für das Team Baden-Württemberg. „Das war mein bisher tollster Moment“, erzählt Freitag mit leuchtenden Augen. Ein Highlight sei auch der Start bei den deutschen Meisterschaften im Vorjahr in Bremen gewesen, wenngleich es dort noch nicht zum Sieg reichte.

Das Jahr 2018 ist bisher dafür umso mehr das Jahr der Alisia Freitag. Neben dem genannten Erfolg in Italien steht sie aktuell auf Platz zwei der deutschen Bestenliste über 1500 Meter Hindernis. Außerdem kürte sich die B-Jugendliche zur süddeutschen Meisterin über 1500 Meter sowie 1500 Meter Hindernis und zur baden-württembergischen Meisterin über 800 Meter und sogar 5000 Meter. Generell sucht man in der aktuellen Saison die Ergebnislisten, auf denen Freitag nicht ganz oben auftaucht, vergeblich. Ihr Erfolgsrezept? Gibt es nicht, jedenfalls nicht wirklich. „Während des Rennens denke ich nicht viel nach, ich laufe einfach und mache vieles intuitiv“, grinst Freitag in Richtung des Trainers Treite, der dann ergänzt: „Der Kopf ist bei vielen guten Athleten der Killer – sie orientiert sich einfach am Rennverlauf und hat dann zum Schluss einen Turbo.“ Um diesen zu zünden, reiche dann der Zuruf „Haraka, Haraka“ – ein kenianischer Schlachtruf, der übersetzt so viel wie „schnell, schnell“ bedeutet – und schon laufe sie die Konkurrenz in Grund und Boden. Die Chancen, dass dies auch bei der im Juli stattfindenden DM in Rostock so sein wird, stehen nicht schlecht.

Zum Trainingslager nach Kenia

Der wahre Saisonhöhepunkt folgt für die Nachwuchssportlerin aber eigentlich erst Mitte August. Dann geht es für Freitag, Treite und zwei weitere TSG-Athletinnen ins Trainingslager nach Kenia. Im 2400 Meter hoch gelegenen Heimatdorf von Geoffrey Githuku Chege, EZ-Lauf-Sieger des Jahres 2016, wohnen die Esslinger für drei Wochen in einem einfachen Trainingscamp. Dort stehen Punkte wie Fitness, Lebensweise, Motivation, Trainingsphilosophie und der Spaß am Laufen auf der Agenda. „Ich freue mich schon riesig, weil wir das alles so lange geplant haben und jetzt sind es plötzlich nur noch wenige Wochen“, sagt Freitag, die die 3000-Meter-Hindernisläuferin Gesa Felicitas Krause als ihr Vorbild bezeichnet.

Ob Freitag es einmal so weit bringt wie ihr Vorbild, lässt sich noch schwer sagen. Die Voraussetzungen sind gegeben, entscheidend werden aber die nächsten zwei Jahre sein. „Wenn sie die unfallfrei übersteht, ist vieles möglich“, sagt Treite. Freitag selbst hat daran keine Zweifel, sie will nach Rieti in Italien. Dort findet 2020 die Jugend-Europameisterschaft statt.