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Der einstige Stürmer kann sich vorstellen, beim VfB einzusteigen. Ob das gut ist, wird im Umfeld des Vereins diskutiert.

StuttgartDer Landesvater und bekennende VfB-Sympathisant Winfried Kretschmann zählt zu seinen großen Fürsprechern. „Der Verein braucht jetzt eine Persönlichkeit mit Fußballkompetenz, die den Brustring definitiv im Herzen trägt“, warb Baden-Württembergs Ministerpräsident für Jürgen Klinsmann. Aber auch fernab der Politik hat der Auftakt der Sondierungsgespräche zwischen dem ehemaligen Bundestrainer, Welt- und Europameister sowie dem Präsidialrat des Stuttgarter Zweitligisten, bestehend aus den VfB-Aufsichtsräten Bernd Gaiser, Wilfried Porth und Hermann Ohlicher, eine lebhafte Debatte ausgelöst.

So hat allein der Gedanke an eine Rückkehr des ehemaligen Stürmerstars, der zwischen 1984 und 1989 in 156 Bundesliga-Spielen 79 Tore für den VfB schoss, weite Teile der Anhängerschaft im Verein für Bewegungsspiele elektrisiert. Ein Weltstar, ehemaliger Fußball-Globetrotter und Sonnyboy aus Kalifornien im neu zu schaffenden Amt des Vorstandsvorsitzenden der VfB AG zurück am Neckar, dieser Gedanke fasziniert viele. Auch von einigen Medien wird der VfB bereits zum „Klinsmann-Coup“ beglückwünscht.

Doch so weit ist es (noch?) nicht. Auch wenn Klinsmann schon jetzt den „sehr positiven Informationsaustausch“ lobt. Weitere Treffen sollen folgen, in denen neben Klinsmann auch der VfB ausloten will, ob der 54-Jährige denn tatsächlich der richtige Mann ist. Schließlich gibt es auch eine Fraktion im und um den Verein, die einem möglichen Engagement des einstigen US-Nationalcoaches, vor allem zum jetzigen Zeitpunkt, kritisch gegenübersteht. Immerhin birgt die Personalie Klinsmann neben Chancen auch Risiken.

Was für Klinsmann spricht

Die Aura: Auch 13 Jahre nach dem Sommermärchen, als Klinsmann als DFB-Chefcoach die Nationalelf bei der Heim-WM auf Platz drei führte, besitzt der ehemalige Bäckerbub aus Geislingen an der Steige eine immense Strahlkraft. Klinsmann ist ein Weltstar, eine Nobelmarke im internationalen Fußball, ein integrer Fachmann mit tadellosem Ruf.

Die Akzeptanz: Der VfB hat sich in der Ära des Präsidenten Wolfgang Dietrich zuletzt als tief zerrissener Club präsentiert. Auf dem traurigen Höhepunkt, der abgebrochenen Mitgliederversammlung am 14. Juli, musste Dietrich gar von Personenschützern eskortiert werden. Klinsmann besitzt dagegen eine breite Akzeptanz innerhalb der VfB-Gemeinde. Aufgrund seiner Erfolge und seiner Persönlichkeit dürfte es ihm gelingen, sowohl die Kurve wie auch die VIP-Logen hinter dem gemeinsamen Ziel Wiederaufstieg zu vereinen.

Die Sportkompetenz: Beim VfB hätten zu viele Manager aus der Sponsorenlandschaft und zu wenig Experten mit Fußballkompetenz das Sagen – so lautete zuletzt der stete Vorwurf an die Chefetage. Mit dem Einstieg von Klinsmann würde diese Diskussion verstummen. Zumal noch andere Größen von einst – wie etwa Guido Buchwald – wieder dichter an den Verein heranrücken könnten.

Die Innovationskraft: Klinsmann war 2004 der Überraschungskandidat, als ihn der DFB unter der Führung des Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder nach dem frühen EM-Aus unter Rudi Völler als neuen Teamchef präsentierte. Klinsmann sorgte beim Verband für frischen Wind, brach verkrustete Strukturen auf – und legte mit neuen Ideen nicht nur den Grundstein für das „Sommermärchen“ 2006, sondern auch mit für Erfolge wie den WM-Sieg 2014.

Der Türöffner: Grundsätzlich dürfte sich jeder Bundesliga-Absteiger glücklich schätzen, wenn er in den Niederungen der 2. Bundesliga Hilfe aus dem obersten Regal des Weltfußballs angeboten bekommt. Klinsmann besitzt viele nationale wie internationale Kontakte, die dem VfB helfen könnten. Schließlich ist der Einstieg des zweiten Investors nach dem Aus für Dietrich sehr fraglich.

Was gegen Klinsmann spricht

Das Personaltableau: In puncto sportlicher Führung besitzt der VfB trotz des personellen Umbruchs die kleinsten Probleme. Die Achse mit dem Sportvorstand Thomas Hitzlsperger, Sportdirektor Sven Mislintat sowie dem Trainer Tim Walter funktioniert zumindest bis jetzt sehr gut. Braucht es da noch den Fußballexperten Klinsmann? „Man sollte vonseiten des Vereins prüfen, ob man diese Position braucht und wie man sie dann mit wem besetzt“, sagt etwa der ehemalige VfB-Kapitän Karlheinz Förster, Europameister von 1980: „Was den sportlichen Bereich betrifft, hat der Verein gute Leute.“

Die Hitzlsperger-Rolle: Hitzlsperger bekam auf der Mitgliederversammlung tosenden Applaus, ehe er überhaupt ein Wort gesagt hatte. Der Sportvorstand hat als großer Hoffnungsträger vieler Fans die Führung der Profis mit Walter, Mislintat und ihrer Idee von Ballbesitz- und Offensivfußball nach seinen Wünschen umgestaltet und auch im Nachwuchsbereich eigene Akzente gesetzt. Fraglich ist, wie es dem ehemaligen Mittelfeldspieler schmecken würde, bekäme er den streitbaren Geist Klinsmann als Vorstandschef direkt vor die Nase gesetzt.

Die Pause: Es ist über zehn Jahre her, dass Klinsmann im deutschen Fußball in verantwortlicher Position gearbeitet hat. Zwei Tage nach dem Ende der Weltmeisterschaft 2006 verkündete er sein Aus als Teamchef. Ist der 54-Jährige, der von 2011 bis 2016 Nationaltrainer der USA war, also auf dem aktuellen Stand der Dinge? Fest steht: Als Klinsmann im Herbst erstmals ankündigte, sich ein Engagement bei einem Bundesligisten vorstellen zu können, blieben zumindest öffentliche Angebote aus.

Die Wirtschaftskompetenz: Noch vor wenigen Wochen galt unter Dietrich in Robert Schäfer, dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von Fortuna Düsseldorf, ein Volljurist, einstiger kaufmännischer Geschäftsführer und Marketing-Experte als Favorit für den Posten des Vorstandschefs beim VfB. Derlei Erfahrung in Wirtschafts-, Finanz- und Rechtsfragen hat der als Manager unerfahrene Klinsmann nicht vorzuweisen.

Die Club-Erfahrung: Als deutscher und US-Nationaltrainer hat Klinsmann für große Verbände gearbeitet – doch seine Erfahrung auf Vereinsebene mit der damit verbundenen täglichen Arbeit ist seit dem Ende seiner Spielerkarriere 1998 überschaubar. Von Juli 2008 bis April 2009 trainierte der Wahl-Kalifornier den FC Bayern München: allerdings ohne Erfolg. Mit den Bayern war Klinsmann nie Tabellenführer der Bundesliga – und musste vorzeitig gehen.