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Wieviel Wahrheit verträgt der Fußball?

Stuttgart Die Wahrheit über das Lügen ist grausam. Fünfzehnmal pro Tag nimmt es der gemeine Deutsche mit der Wahrheit nicht so genau. Meist aus Angst, Egoismus oder (falsch verstandenem) Anstand. Oft geht es schon früh am Tag damit los. Zum Beispiel beim „Guten Morgen“.

Das als kleiner Prolog zur aktuellen Debatte im Fußball, die um ein großes Thema kreist: Lügen. Der VfB-Sportvorstand Michael Reschke hat sie ausgelöst mit seinem Statement über Tayfun Korkut („Es gibt keine Trainerdiskussion“). Und er bekommt nun die volle Breitseite ab. Wenig überraschend vom Bund Deutscher Fußball-Lehrer, aber auch von vielen Fans. Und aus der Branche.

Als „respektlos“ kritisierte jetzt Ottmar Hitzfeld das Vorgehen Reschkes, der Korkut wenige Stunden nach seiner Treuebekundung entließ. So etwas habe er in seiner langen Trainerkarriere noch nicht erlebt, ergänzte der 69-Jährige. Auch Max Eberl, Manager von Borussia Mönchengladbach, fand in der „Bild“ klare Worte in Richtung seines Kollegen: „Ich halte nichts davon, dem Gegenüber dreist ins Gesicht zu lügen.“ Selbst Hannes Wolf äußerte seine Meinung (siehe Artikel auf dieser Seite): „Klar gibt es da Zwänge. Ich sage auch nicht öffentlich, wenn ein Spieler schlecht war“, so äußerte sich der von Reschke im Januar entlassene VfB-Trainer bei „Kicker TV“. Im konkreten Fall sei es aber schon „krass“ gewesen, da die Lüge so offensichtlich war. Wolfs Rat an den Ex-Chef: „Das Beste wäre gewesen, nichts zu sagen.“

Nichts zu sagen, ist keine Lösung

Einspruch, entgegnen Berichterstatter. Nichts zu sagen ist auch keine Lösung und schützt vor Nachfragen nicht. Nichtssagendes sagen, das wäre eine Möglichkeit gewesen. Die deutsche Sprache ermöglicht da ja so einiges. In diesem Fall als Alternative zur „Wahrheitsbeugung“, wie Reschke es nennt. Der Sportvorstand hätte sich nach der Niederlage in Hannover also hinstellen und Dinge sagen können wie: „Stand jetzt wird Tayfun Korkut auch beim nächsten Spiel auf der Bank sitzen.“ Das wäre das branchenübliche Flunkern gewesen. Geglaubt hätte ihm vermutlich niemand, das Ergebnis wäre am Ende dasselbe gewesen. Mit dem Unterschied, dass eine über Nacht aufgekommene Trainerdebatte Reschke und dem VfB weniger geschadet hätte als eine Lügendebatte.

„Reschke hat sich nicht professionell verhalten“, findet der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider von der Uni Hohenheim. Aus seiner Sicht wäre es besser gewesen einzugestehen, dass die Situation schwierig ist. Dass sich etwas ändern muss – und dass dabei auch über den Trainer nachgedacht wird. Also das auszusprechen, was angesichts der sportlich misslichen Lage offenkundig war. Dass Korkut auf der Kippe steht. Und der Ausgang der nächtlichen Besprechung mit dem Clubvorstand offen ist.

Eigener Reputation geschadet

Grundsätzlich gilt laut Brettschneider in der Krisenkommunikation: Nichts versprechen, was man nicht halten kann. Bricht man das Versprechen, schadet das der eigenen Reputation. Und: nicht lügen! Lügen holen einen ein. Vor allem wenn – wie im Fall Reschke – die Wahrheit nicht zum ersten Mal kreativ ausgelegt wurde. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Es droht der Verlust an Glaubwürdigkeit. In der öffentlichen Wahrnehmung – aber auch im inneren Zirkel bei Mannschaft, Mitarbeitern, Beratern.

Dass die Bundesliga oft ein verlogenes Geschäft mit vielen Taschenspielertricks ist, dürfte wohl die wenigsten überraschen. Beispiele gibt es zur Genüge. Man denke an den des Kokain-Konsums überführten Christoph Daum („Ich habe ein reines Gewissen“) oder an Andreas Möller, der einst via Stadionmikrofon seine Treue zum BVB schwor, ehe er nach Frankfurt wechselte. Oder Andreas Köpke, der sich bereits im Trikot des VfB ablichten ließ. Bis der FC Barcelona dazwischen funkte. Was zu der Frage führt: Wieviel Wahrheit verträgt der Fußball?

Aus Sicht der Verantwortlichen offenbar nicht viel. Womit wir zu den eingangs erwähnten, im emotional aufgeladenen Business noch verstärkten Motiven Angst, Egoismus und falsch verstandener Anstand zurückkommen. „Zum Wohle des Vereins“, hat Reschke sein Handeln begründet. Wenn er Korkut zum Abschuss freigegeben hätte, wären die Clubbosse zu der Entscheidung gelangt, doch mit dem Trainer weiterzumachen. Das ist Reschkes VfB-Wahrheit. Was wiederum gut zu einer Branche passt, in der jeder glaubt, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben – man denke nur an strittige Elfmeter-Entscheidungen!

Reschke hat Eigentor geschossen

Aus Sicht von Kommunikationsprofis hat Reschke ein Eigentor geschossen. Weil er seine Lüge offen zugab, keine Reue zeigte („gehört zum Geschäft“) und nicht verhehlte, in einem ähnlichen Fall erneut so zu handeln. Damit ist eine neue Dimension erreicht.

Was zum Schluss zu der Frage führt: Wieviel Lüge verträgt der Fußball? Sagen wir es so: Die Bundesliga muss auf der Hut sein, dass sich die Fans angesichts mancher Zumutungen (Fernsehrechte, Ansetzungen, Eintrittspreise) nicht irgendwann in größerer Personenzahl abwenden. Förderlich ist die aktuelle Debatte vor diesem Hintergrund sicherlich nicht.

3:1 gegen Sandhausen

Markus Weinzierl hat sein erstes Testspiel als Trainer des VfB Stuttgart gewonnen. Gegen den Fußball-Zweitligisten SV Sandhausen setzte sich der VfB am Donnerstagnachmittag mit 3:1 durch. Die Tore für den Bundesligisten in der nichtöffentlichen Partie erzielten Christian Gentner, Nicolas Gonzalez und Erik Thommy. Für Sandhausen traf Korbinian Vollmann.

Weinzierl war erst tags zuvor als neuer Trainer des VfB Stuttgart und Nachfolger des freigestellten Tayfun Korkut vorgestellt worden. Die Begegnung ist der einzige Test vor dem Bundesliga-Spiel gegen Borussia Dortmund am 20. Oktober.

Mario Gomez kam wegen seiner Platzwunde aus dem Spiel gegen Hannover nicht zum Einsatz. Auch Andreas Beck und Daniel Didavi absolvierten eine individuelle Einheit. Weil insgesamt sieben Profis auf Länderspielreise sind, kamen auch Spieler aus den Jugendteams zum Einsatz.