Yussuf Poulsen ab. Foto: dpa - dpa

Das reine Spiel bleibt allzu oft auf der Strecke. „Ein Kernproblem“, sagt Joachim Löw, „ist, dass man immer gegen den Ball arbeiten will. Aber was passiert, wenn ich den Ball habe? Das ist das Allerwichtigste.“

Stuttgart Mario Gomez fand deutliche Worte. „Mehr Gemurkse als sonst was“, hatte der Nationalspieler in den meisten Spielen der Fußball-Bundesliga ausgemacht. Viele Partien seien geprägt von „Druck, Angst, Nervosität und Einfach-nur-den-Arsch-retten-wollen“. Mit seinen Aussagen, getätigt am Ende vergangener Saison zu seiner Wolfsburger Zeit im Kampf gegen den Abstieg, war Gomez noch der einsame Rufer. Nun, ein knappes Jahr später, finden sie immer stärkeren Widerhall. Weil immer mehr Beteiligte des größten deutschen Unterhaltungszirkus nicht länger leugnen wollen, dass Gomez recht hatte mit seiner Einschätzung. Dass in der Bundesliga Fußball fast nur noch gekämpft, gerannt und geordnet verteidigt wird.

Das reine Spiel – es bleibt allzu oft auf der Strecke. „Ein Kernproblem“, hebt Bundestrainer Joachim Löw als höchste Instanz im deutschen Fußball mahnend den Zeigefinger, „ist, dass man in der Bundesliga immer gegen den Ball arbeiten will. Aber was passiert, wenn ich den Ball habe? Das ist das Allerwichtigste.“ Die Antwort lautet: Nicht viel. Weil die gegnerische Mannschaft meist sofort zur nächsten Pressing-Attacke ansetzt. Gegenpressing heißt das im modernen Fußball-Deutsch. Dem Gegner keine Luft zum Atmen lassen. Und zum Spielen. Zum Toreschießen. Mit aktuell 2,69 Treffern im Durchschnitt fielen in der Liga so wenige wie zuletzt in der Saison 2002/03.

Schön anzuschauen ist das nicht. Kölns Sportdirektor Armin Veh, schon immer ein Mann klarer Worte, sagt: „Ich schaue die Spiele ja nicht bloß als Manager, sondern auch als Konsument. Da schalte ich inzwischen bei vielen Spielen weg.“ Eurosport-Experte Matthias Sammer hat im ganzen Oberhaus „vielleicht vier oder fünf Mannschaften“ ausgemacht, die mit dem Ball agieren wollen. Alle anderen würden versuchen zu verteidigen oder das Spiel zu zerstören. „Das ist mir zu wenig.“

Angesprochen fühlen darf sich auch der VfB Stuttgart. Weder unter Hannes Wolf noch jetzt unter Tayfun Korkut hat die Mannschaft ihre Fans mit Hurra-Fußball von den Sitzen gerissen. Was vor allem Korkut herzlich egal sein dürfte, schließlich gibt der Erfolg dem Coach Recht. Korkut wäre ein schlechter Trainer, würde er nach 17 Punkten in sieben Spielen sein Team plötzlich auf schön anzusehenden Ballbesitzfußball umpolen.

Doch was heißt schon schön anzusehen? Das, was attraktiven Fußball ausmacht, liegt immer auch im Auge des Betrachters. So lautet zumindest der Standpunkt von Korkut. Während für viele Fans das 0:0 gegen RB Leipzig als Langweiler bald wieder in Vergessenheit geriet, schwärmt der Fachmann noch heute vom „taktisch hohen Niveau“ der Partie.

„Schnell hin und her“

Der 43-Jährige würde sich bei Spielen ohne Torchancen keineswegs langweilen, verrät er. Grundsätzlich vertritt der Trainer die These, dass der deutsche Fußball schon immer „umschaltdominiert“ war. „In der Bundesliga ging es immer schon schnell hin und her.“ Während die spanische Primera Division traditionell Spielkünstler und Ballzirkler beheimatet und die englische Premier League im Moment wohl beide Stile am besten vereint. Auf diesem Weg sieht der 43-Jährige auch seine Mannschaft. Die Verteidigungskunst der ersten Spiele ist einer gewissen Spielkultur gewichen, beim 2:1 in Freiburg waren erstmals auch längere Ballstafetten zu beobachten. Eine „Mischform“ aus alldem ist das, was Korkuts persönlicher Idealvorstellung am nächsten kommt.

Das klingt vernünftig. Doch was bedeutet das für das derzeitige und das künftige Niveau? Dass in vielen Stadien – Stuttgart ausgenommen – immer mehr Plätze leer bleiben, ist auch Oliver Bierhoff nicht verborgen geblieben. Der Nationalmannschaftsmanager sorgt sich um die Bundesliga. Für ihn ist das schlechte Abschneiden in den internationalen Wettbewerben längst kein Zufall mehr, sondern eng an die spielerische Magerkost im Ligabetrieb geknüpft. Also fordert er einen „deutschen Masterplan wie zuletzt 2000“, als die Nationalelf nach dem peinlichen EM-Aus in den Niederlanden am Boden lag.

Für Bierhoff liegen die Probleme tiefer, er hat sie auch bei Jugendmannschaften und im Frauenfußball ausgemacht. Der 49-Jährige sieht seinen Vorstoß als Aufrüttler zur rechten Zeit. Mario Gomez dürfte sicher nicht widersprechen.