Auch als Schalker hat Jochen Schneider noch beste Kontakte zum VfB. Foto: dpa - dpa

Jochen Schneider ist mittlerweile Sportvorstand bei Schalke 04. Er hat aber noch beste Kontakte zum VfB – und sitzt beim Relegationspiel im Stadion.

StuttgartNach dreieinhalb Jahren in Diensten von Red Bull hatte den früheren VfB-Manager Jochen Schneider die Abenteuerlust gepackt. Seit zwei Monaten leitet der 48-Jährige die sportlichen Geschicke bei Schalke 04. Am Samstag kommt es zum Wiedersehen mit seinem Ex-Club VfB Stuttgart.

Hallo Herr Schneider, wie lebt es sich als Schwabe im tiefen Ruhrgebiet?
Danke, sehr gut. Ich bin hier herzlich empfangen worden und fühle mich unheimlich wohl. Die Menschen hier auf Schalke sind sehr offenherzig.

Das erleichtert die Eingewöhnung.
Die ersten Wochen waren schon ziemlich nervenaufreibend. Kaum dass ich da war, hatten wir die empfindliche Niederlage in der Champions League gegen Manchester City zu verdauen und danach den Trainerwechsel von Domenico Tedesco zu Huub Stevens. Mein Start war herausfordernd.

Aus der zweiten Reihe mitten ins Rampenlicht – Sie wussten, worauf Sie sich einlassen.
Ich habe mich bewusst für diesen Schritt entschieden. Ich wollte die Herausforderung, bei einem so großen und emotionalen Club wie Schalke 04 etwas zu gestalten und aufzubauen. Deswegen will ich auch überhaupt nicht klagen.

Zu den Club-Besonderheiten gehört auch der mächtige Aufsichtsrat um Clemens Tönnies. Wo, wie es immer heißt, die wirklich wichtigen Entscheidungen getroffen werden.
Dass der Aufsichtsrat von Schalke 04 Entscheidungen trifft, ist nicht richtig. Auch hier ist der Aufsichtsrat nicht die Operative, sondern ein Kontrollgremium. Die Entscheidungen treffen schon wir im Vorstand. Der Austausch funktioniert bisher wunderbar.

Dennoch herrscht latente Unruhe – wie bei Ihrem Ex-Club aus Stuttgart. Warum ist es bei Vereinen wie Schalke oder dem VfB so schwierig mit Kontinuität und nachhaltigem Erfolg?
Weil es Traditionsvereine sind. Die Erwartungen sind hoch, die Fans möchten erfolgreichen und attraktiven Fußball sehen. Weil die Vereine auf Grund ihrer Tradition eben immer noch damit verbunden werden – mit Erfolgen. Die Zeiten haben sich aber geändert. In der jüngeren Vergangenheit haben Clubs wie Borussia Mönchengladbach und Eintracht Frankfurt stark aufgeholt, mit der TSG Hoffenheim und RB Leipzig sind neue Player hinzugekommen. Das wird im Umfeld von Traditionsvereinen gerne vergessen. Platz vier oder sechs ist dort fast ein naturgegebener Anspruch.

Was kennzeichnet den größten Unterschied zwischen Schalke und dem VfB?
Schalke ist noch eine Nummer größer. Der Stellenwert in Stadt und Region ist noch höher. Was sicher damit zusammenhängt, dass es in Stuttgart neben dem VfB noch viele andere Dinge gibt.

Sie können sich im Revier vielleicht bald noch heimischer fühlen. Wenn mit Ihnen, Michael Reschke und Horst Heldt bald drei Ex-VfB-Manager am Werk sind.
Namen kommentieren wir nicht. Wir haben mit David Wagner einen neuen Cheftrainer – über anderes reden wir nicht.

Aber es stimmt, dass Sie noch einen Sportdirektor und einen technischen Direktor suchen? Was macht die Aufgabe so vielfältiger als früher?
Das Business hat sich rasant verändert. Früher haben auf der Geschäftsstelle eines Bundesligisten zehn Leute gearbeitet, heute sind es 200 bis 500 Mitarbeiter. Auf dem Trainingsplatz standen ein Trainer, ein Co-Trainer und vielleicht noch ein Athletiktrainer. Heute umfasst der Staff um die Mannschaft herum 30 bis 35 Leute. Die Pluralität der Aufgaben überträgt sich auch auf die sportliche Führung.

Das heißt?
Dass ein sportlich Verantwortlicher allein längst nicht mehr genügt. Unser Plan sieht vor, einen technischen Direktor zu installieren, der sich um die Neuausrichtung des Scoutings und um die Kaderplanung kümmert. Der neue Sportdirektor soll möglichst nah an der Mannschaft und am Trainerteam dran sein. Meine Aufgabe wird es sein, Prozesse zu definieren und zu begleiten sowie letztlich die Verantwortung über das große Ganze zu nehmen.

Bei Ihrer Ankunft auf Schalke wunderten Sie sich, dachten, dass der Verein schon viel weiter sei. Was meinten Sie damit?
Ich habe in Leipzig erleben dürfen, wie es Ralf Rangnick gelungen ist, auf allen Ebenen Leute mit Top-Qualität und Teamplayer-Eigenschaften für den Club zu begeistern. Das ist der richtige Weg, und dies möchte ich hier auf Schalke auch schaffen. Infrastrukturell haben wir den neuen Weg mit dem Neubau unseres Trainingszentrums bereits eingeschlagen. Das wird in Zukunft neue Maßstäbe setzen und einzigartig sein.

Am Samstag treffen Sie auf Ihren Ex-Club VfB. Für Schalke geht es um nichts mehr. Erwartet die Fans ein gemütlicher Saisonausklang?
Keineswegs. Wir möchten uns mit einem Heimsieg von den Fans verabschieden und in der Tabelle noch ein oder zwei Plätze gutmachen. Der VfB will sicher seine gute Form bewahren wollen. Es wird also kein Freundschaftsspiel werden.

Drücken Sie dem VfB die Daumen für die anstehende Relegation?
Ganz klar! Der VfB gehört in die Bundesliga. Ich werde beim Heimspiel auch in Stuttgart im Stadion sein, weil ich immer noch gute Kontakte in den Verein und zum Teil auch zur Mannschaft habe.

Das Interview führte Gregor Preiß.

Zur Person

Jochen Schneider wird 1970 in Mutlangen geboren. Er absolviert eine Banklehre und schließt ein BWL-Studium ab. Beim VfB arbeitet er sich ab 1999 vom Praktikanten zum Sportdirektor hoch. Nach der Trennung von Fredi Bobic 2014 hätte Schneider gern dauerhaft die sportliche Leitung beim VfB übernommen. Diesen Job übernahm aber Robin Dutt. 2015 zog es den dreifachen Familienvater zu Red Bull, wo er für die weltweite Vernetzung der Fußballsparte zuständig war. Schließlich agierte Schneider unter Sportdirektor Ralf Rangnick als „Leiter Sport“ bei RB Leipzig.