Kein Grund für ein Ärgernis: Antonis Aidonis wechselte im Sommer 2018 von Hoffenheim nach Stuttgart. Foto: dpa - dpa

Sportlich fair geht es zu – trotzdem wildern die beiden Bundesligavereine jeweils im Revier des anderen. Nicht nur bei der Talentsichtung, sondern auch bei den gestandenen Profis. Erst im Sommer 2018 wechselte Antonis Aidonis von Hoffenheim zum VfB. Ein Ärgernis war das aber nicht.

Stuttgart Die Aussichten waren im Grunde prächtig – und nicht zu vergleichen mit den aktuellen. Vor dem Duell mit 1899 Hoffenheim an diesem Samstag (15.30 Uhr) kämpft der VfB Stuttgart gegen den Abstieg aus der Fußball-Bundesliga, im Januar 2007 dagegen rangierten die Weiß-Roten in der Spitzengruppe der Tabelle. Wenig später feierte der Club sogar überraschend seine fünfte deutsche Meisterschaft. Matthias Jaissle allerdings war da schon nicht mehr in Stuttgart. Im Januar 2007 entschied sich der damals 18-jährige Abwehrspieler für den seinerzeit ungewöhnlichen Weg und wechselte, obwohl ihn der VfB unbedingt halten wollte, zu einem Regionalligisten. „Ralf Rangnick hat sich wirklich sehr um mich bemüht“, erinnert sich der heute 30-Jährige, „er hat mir genau aufgezeigt, was er mit mir vorhat, das habe ich ihm abgenommen.“ Also ging der erste Transfer eines großen Talents vom VfB zur TSG Hoffenheim über die Bühne. Was den Stuttgartern gar nicht schmeckte.

„Es kam ein neuer Player auf den Markt, da es ist es ganz normal, dass es erst einmal ein bisschen unruhig wird“, sagt Markus Rüdt, der aktuell das Nachwuchsleistungszentrum des VfB leitet und schon damals im Verein war. „Der Wettbewerb“, sagt er, „hat sich verschärft.“ Das gilt im globalen Fußballgeschäft sowieso, Talente wechseln heute schon in jungen Jahren quer durch die Republik oder auch ins Ausland – und kommen von dort nach Deutschland. Den VfB traf ein eher regionales Phänomen mit voller Wucht.

Viele Jahre Monopolist

Jahrzehntelang war der Club nahezu Monopolist in einem sehr großen Einzugsgebiet, also erste und einzige Anlaufstelle für die besten Talente zwischen Schwäbischer Alb und Heilbronn. Doch dann gab es plötzlich die Kraichgauer Emporkömmlinge – ausgestattet mit Kontakten, Geld und Know-how. Vor allem für junge, gut ausgebildete Spieler, denen der etablierte Bundesligist VfB nicht sofort eine Perspektive im Profiteam bieten konnte, war die TSG höchst interessant. So wechselten nach Matthias Jaissle auch Tobias Weis, Boris Vukcevic oder Jeremy Toljan von Rot zu Blau. Und die TSG baute nicht nur eine Infrastruktur komplett neu auf, sondern mit diesen Talenten auch einen gewissen Qualitätsstandard im Nachwuchsbereich.

Mittlerweile ist das Wechselspiel auf einer Strecke von gerade einmal rund 100 Kilometern schon fester Bestandteil der jüngeren Bundesligageschichte. Weit über die Nachwuchsabteilungen hinaus. Auf Profiebene wechselten Spieler wie Andreas Beck, Sebastian Rudy oder Vedad Ibisevic vom einen zum anderen Club. Auch Jugendtrainer haben schon für beide Vereine gearbeitet, sogar Chefcoaches wie Markus Babbel, Ralf Rangnick und Huub Stevens. Ein Aufreger ist das mittlerweile kaum mehr – zumindest im Erwachsenenbereich. Und beim Nachwuchs?

„Es gibt ein sportlich faires Konkurrenzdenken“, sagt Dirk Mack, der in Hoffenheim das Nachwuchsleistungszentrum leitet. „Es gab und gibt einen Austausch“, ergänzt Markus Rüdt. Im Nachgang zum Fall Jaissle (Rüdt: „Er hat auf beiden Seiten für Unruhe gesorgt“) wurde zumindest mündlich vereinbart, dass sich beide Vereine in den jüngeren Jahrgängen nicht gegenseitig die Talente streitig machen. So ähnlich gilt das noch heute, auch wenn es kein schriftliches Abkommen gibt. Anders ist es, wenn ein junger Spieler noch bei keinem der beiden Clubs spielt.

Ähnliche Rahmenbedingungen

Die Hoffenheimer sichten auch im direkten Umfeld des VfB, andersherum schicken die Stuttgarter ihre Juniorenscouts auch nach wie vor ins direkte Einzugsgebiet der TSG, die für Talente aus dem Raum Stuttgart sogar einen Fahrdienst zu den Trainingseinheiten anbietet. Beide Clubs preisen ihre Vorzüge an, wobei die Rahmenbedingungen, die sportlich und schulisch angeboten werden, mittlerweile auf einem ähnlich hohen Niveau liegen. „Jeder hat hier den Druck, ein sehr gutes Niveau anzubieten“, sagt Rüdt. Auch tabellarisch trennen die Clubs in A- und B-Jugend keine Welten. Bei den A-Junioren hatten die Hoffenheimer zuletzt eine Zeit lang die Nase deutlich vorn, in dieser Saison ist der VfB wieder voraus. Ganz gewöhnliche Vereinswechsel gibt es spätestens in diesen Leistungsklassen U 19 und U 17 wie zwischen allen anderen Vereinen auch zwischen VfB und TSG.

Der letzte dieser Art: Abwehrspieler Antonis Aidonis kam im Sommer 2018 von Hoffenheim nach Stuttgart und hat mittlerweile sein Bundesligadebüt gefeiert. Nachdem der Vertrag des Abwehrspielers ausgelaufen war, war dieser Wechsel kein Grund für ein ausuferndes Ärgernis. Anders als zu Beginn des Hoffenheimer Aufstiegs. Den erlebte Matthias Jaissle dann übrigens hautnah mit. Im Sommer 2007 stieg die TSG in die zweite Liga auf, ein Jahr später gelang der Durchmarsch in die Bundesliga, wo die Hoffenheimer mittlerweile fester Bestandteil sind. Und wo man auch den ehemaligen Abwehrspieler vielleicht bald mal wieder sehen wird. Dann aber als Trainer.

Der gebürtige Nürtinger Jaissle (30) schlug nach dem verletzungsbedingten Karriereende und Studium die Trainerlaufbahn ein. Wieder war es Rangnick, der ihn förderte und nach Leipzig holte, aktuell ist er Co-Trainer bei Bröndby Kopenhagen. Sein Chef war bis vor kurzem Alexander Zorniger. Der war mal VfB-Trainer – aber nie bei 1899 Hoffenheim.