Schwierige Zeiten: VfB-Sportvorstand Thomas Hitzlsperger steht Foto: Baumann - Baumann

Der VfB ist ein typischer Traditionsverein mit althergebrachtem Anspruchsdenken, der von vergangenem Ruhm zehrt und Probleme hat, sich entscheidend zu wandeln.

StuttgartWie können wir besser werden? Wie erkennt man Talent und wie entwickelt man es? Das sind zwei der Fragen, die Thomas Hitzlsperger tagein, tagaus beschäftigen. Dazu liest er viele Bücher, die sich damit beschäftigen wie etwa „Edge“ von Ben Lyttleton. Das theoretische Wissen hat der Ex-Nationalspieler zunächst als Nachwuchschef des VfB Stuttgart angewendet, seit Februar ist er Sportvorstand des Fußball-Bundesligisten. Eine Lektion hat er in seinen nun 70 Tagen im neuen Amt bereits gelernt: Man stößt in der Praxis schnell an Grenzen. Besonders Kontinuität, in der er die Basis zur Erhöhung der Erfolgswahrscheinlichkeit sieht, lässt sich nicht so leicht herstellen. Zu hektisch ist das Bundesliga-Tagesgeschäft, besonders bei einem wankenden, identitätsschwachen Club wie dem VfB.

Der Alltag hat Hitzlsperger flugs eingeholt, er musste in mancher Hinsicht schon Lehrgeld bezahlen. Ein Beispiel: Erst betonte der Ex-Nationalspieler die Sinnlosigkeit von Trainerbekenntnissen, gab Markus Weinzierl wenig später doch eine Jobgarantie und kam nun nach der 0:6-Pleite am Samstag beim FC Augsburg nicht umhin, den erst seit Oktober amtierenden Coach zu entlassen, der den Zugang zu den Spielern schon länger verloren hatte. „Ich möchte hier Kontinuität im Verein. Wenn ich aber merke, dass die Kontinuität eine Gefahr für den Erfolg des Vereins darstellt, muss ich das eben noch mal überdenken“, sagt Hitzlsperger zu der Entscheidung. Er sah sich zum Handeln gezwungen, weil „das Ereignis am Samstag so drastisch und dramatisch“ war: „Es gab für uns keine Alternative mehr.“ Anders als sein Vorgänger Michael Reschke brachte er die Trennung vom Trainer sauber und schnell ohne Wahrheitsbeugung über die Bühne.

Der bisherige A-Junioren-Coach Nico Willig, bereits der dritte Trainer in dieser Spielzeit nach Tayfun Korkut und Markus Weinzierl, fungiert bis Saisonende als Interimscoach. Ein Bundesliga-Novize soll die Stuttgarter also nun vor dem zweiten Abstieg in drei Jahren retten. Es ist ein großes Risiko, das Hitzlsperger damit eingeht.

Der 37-Jährige hat sich aber bewusst für den Mann aus dem eigenen Stall und gegen einen erfahrenen Feuerwehrmann als Übergangslösung entschieden. „Weil ich ihn kenne, weil ich seine Arbeitsweise kenne“, sagt Hitzlsperger. „Wenn jemand schon dreimal einen Abstieg verhindert hat, ist das auch keine Garantie. Es ist immer wieder eine neue Konstellation. Deshalb sehe ich bei Nico Willig kein größeres Risiko als bei anderen. Er kennt den Verein, er kennt die Leute, braucht keine Eingewöhnungszeit.“

Und wer übernimmt zur nächsten Saison? Fix ist laut Hitzlsperger noch nichts. Oliver Glasner vom Linzer ASK steht auf der Liste, es gab offenbar auch konkrete Gespräche mit ihm. Allerdings scheint der VfL Wolfsburg im Rennen um die Dienste des 44-jährigen Österreichers vorne zu liegen.

VfB verkommt zum Trainerkiller

Der Stuttgarter Trainerstuhl ist ein Schleudersitz. Mit der Trennung von Weinzierl setzt sich eine Serie fort – seit 2013 hat der Club aus Cannstatt jedes Jahr mindestens einmal den Trainer gewechselt, bisweilen gar öfter. Der VfB verkommt immer mehr zum Trainerkiller. „Es ist kein gutes Zeichen, ganz klar“, sagt Hitzlsperger. Dabei ist die Wirksamkeit der Personalwechsel überschaubar. Einen Weinzierl-Effekt hat es nie gegeben. Und der Hitzlsperger-Effekt ist bereits verpufft. Die Relegation ist mittlerweile das höchste der Gefühle, der direkte Abstieg alles andere als ausgeschlossen.

Die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns ist für neue sportliche Führungskräfte in Stuttgart seit Jahren viel höher als die Wahrscheinlichkeit, erfolgreich zu sein. Die Kritik ist hoch, der Atem nicht lange: Der VfB ist ein typischer Traditionsverein mit althergebrachtem Anspruchsdenken, der von vergangenem Ruhm zehrt und sich sehr schwer damit tut, sich entscheidend zu wandeln. Trotz der hervorragenden wirtschaftlichen Grundvoraussetzungen taumelt der VfB jetzt schon wieder am Abgrund. Der umstrittene Präsident Wolfgang Dietrich räumt Fehler ein, sieht den VfB aber weiter auf dem richtigen Weg und warnt davor, diesen angesichts des aktuellen „Wellentals“ (Dietrich) zu verlassen. Der Unmut ihm gegenüber weitet sich auch wegen seiner wenig selbstkritischen Attitüde immer mehr aus. Beleidigende Worte in Richtung des 70-Jährigen nehmen zu, eine Handvoll Dietrich-raus-Befürworter musste am Sonntag beim Reservistentraining vom Sicherheitspersonal abgehalten werden, die direkte Konfrontation mit ihm zu suchen.

Das ist das Umfeld, in dem Hitzlsperger als neues Gesicht des Vereins sich bewegt. In Sven Mislintat als Sportdirektor hat er sich kompetente Hilfe an die Seite geholt, der mit ihm die Zukunft gestalten soll. In der Gegenwart ist Hitzlsperger aber vor allem als Krisenmanager gefordert, der den Scherbenhaufen kittet. „Die letzten Tage und Wochen waren extrem schwierig“, sagt er. „Das Tagesgeschäft, die Kurzfristigkeit ist eine extreme Belastung für viele Menschen, ich spüre das auch jeden Tag.“ Bei den Mitarbeitern geht die Angst um, was passiert, wenn der VfB erneut absteigen sollte. Hitzlsperger arbeitet dagegen an. „Wir müssen die Ruhe bewahren“, sagt er. „Wenn wir jetzt von der Angst regiert werden, steckt das viele an. Wenn wir kopflos rumrennen, haben wir gar keine Chance.“

Statistik