Der Ex-Stuttgarter Vedad Ibisevic (links) scheitert an VfB-Torhüter Ron-Robert Zieler. Foto: dpa - dpa

Harmlosigkeit statt Widerborstigkeit und Angriffslust. Der VfB Stuttgart ist bei Hertha BSC Berlin wieder in die Zeiten eines Markus Weinzierl zurückgefallen.

Stuttgart Am Tag nach der Enttäuschung ist Nico Willig gelaufen. Strammes Tempo. Um die Trainingsplätze des VfB Stuttgart herum. Immer wieder. Einfach um den Körper fit zu halten und den Kopf ein wenig frei zu bekommen nach der 1:3-Niederlage gegen Hertha BSC. Die meisten Spieler waren da schon auf dem Nachhauseweg nach der Übungseinheit am Sonntagvormittag. Abschalten.

Doch für den Interimstrainer gibt es kaum eine Pause in den Wochen des Projekts Klassenverbleib. Er befindet sich permanent im Online-Modus, wie es Willig selbst gerne ausdrückt. Seine Gedanken kreisen ausschließlich darum, wie er den Fußball-Bundesligisten vor dem Abstieg retten kann. Das funktioniert nur noch über die Relegation, da der direkte Klassenverbleib nach Schalkes Punktgewinn passé ist. „Es war ja nicht zu erwarten, dass wir alle Spiele noch gewinnen und durch die Liga fliegen“, sagt Willig.

Es war aber auch nicht anzunehmen, dass die Stuttgarter in Berlin so schnell wieder auf dem harten Boden der Tatsachen landen. Weil sie zu wenig von dem einbrachten, was sie eine Woche zuvor beim 1:0-Sieg gegen Borussia Mönchengladbach gut gemacht hatten. Der Auftritt war schwach. Er war sogar leidenschaftslos und erinnerte an die Ära Markus Weinzierl. Ein Rückfall, obwohl Willig die gleiche Startelf in derselben Grundformation aufgeboten hatte. Ausgestattet mit mehr Selbstvertrauen als nach der 0:6-Blamage in Augsburg, die dem 38-Jährigen überhaupt erst den Posten eingebracht hatte. Aber eben mit einem anderen Plan. Und hier beginnt das Problem.

Der VfB wollte tief gestaffelt zum Kontern ansetzen über die schnellen Anastasios Donis und Nicolas Gonzalez. Dass beide Angreifer früh ausgewechselt wurden, sagt dann schon einiges über das gescheiterte Vorhaben. Mehr aber noch die Einschätzung des Torhüters. „Dass wir taktisch anders beginnen wollten als gegen Gladbach, heißt nicht, dass wir in Passivität verfallen müssen“, sagt Ron-Robert Zieler. Vor den ersten beiden Gegentoren durch Vedad Ibisevic (40.) und Ondrej Duda (45.) gaben die Gäste den Berlinern Geleitschutz anstatt sie entschlossen zu attackieren. Also hieß es plötzlich 0:2 gegen ein Team, das gar nicht auf Angriff aus war. Siebenmal hatten die Berliner zuvor nicht gewonnen und nur einmal in fünf Partien getroffen. „Der Doppelschlag hat uns angeknockt“, sagt Willig.

Der endgültige K.o. folgte durch Salomon Kalou (67.), nachdem zuvor der VfB-Verteidiger Ozan Kabak von Javairo Dilrosun überlaufen wurde. Die angekündigten Balljagden waren da schon längst abgeblasen und der VfB versuchte es mit einem Plan B – breites Spiel statt hohe Bälle auf Gonzalez. Durch Flanken sollte möglichst Mario Gomez in Abschlussposition gebracht werden. Einmal gelang das mit einem Tor des Mittelstürmers (70.). Eine zweite Möglichkeit vergab der Mittelfeldspieler Daniel Didavi (72.). „Vielleicht wäre anschließend noch etwas möglich gewesen, wenn er getroffen hätte“, sagt Willig.

Allerdings fühlten sich die Gastgeber nicht gefährdet, wie ein Perspektivwechsel in den Katakomben des Olympiastadions zeigt. Eine Stunde nach Abpfiff standen die Hertha-Macher um den Trainer Pal Dardai da und wunderten sich, auf was für einen Gegner sie getroffen waren. Sie hatten einen widerborstigen, gar angriffslustigen VfB erwartet. Es präsentierte sich jedoch eine harmlose Elf in roten Trikots mit weißem Brustring.