Mal wieder in der Kritik: VfB-Präsident Wolfgang Dietrich. Foto: dpa - dpa

VfB-Präsident Wolfgang Dietrich ist sturmerprobt, und das nicht erst seit seiner Sprechertätigkeit bei Stuttgart 21. Die Kritik, die derzeit auf ihn einprasselt, prallt an dem 70-Jährigen ab. Er schaut lieber auf die Sonnenseite des Geschäfts – und auf die nächste Präsidentenwahl: Dietrich will um jeden Preis VfB-“Kapitän“ bleiben.

Stuttgart Die höchste VfB-Niederlage in den letzten 24 Jahren, dieses zutiefst erschütternde 0:6 des Stuttgarter Traditionsclubs am vergangenen Samstag beim FC Augsburg, es hat auch Wolfgang Dietrich ordentlich zugesetzt. Und so gehört das öffentliche Bild des niedergeschlagenen VfB-Präsidenten mit den beiden vor das Gesicht geschlagenen Händen auf den Ehrentribünen deutscher Stadien, so zynisch es klingen mag, inzwischen fast zum Standardrepertoire der TV-Berichterstattung aus der Fußball-Bundesliga.

„Das war in seiner negativen Form einzigartig, denn etwas Vergleichbares habe ich zuvor als Fan wie auch als Präsident noch nicht erlebt“, sagt der 70-Jährige zum Augsburg-Spiel. Die große Reizfigur an der Spitze des Vereins für Bewegungsspiele ist Dietrich seit seinem Amtsantritt am 9. Oktober 2016 mindestens in Ultra-Fankreisen schon immer gewesen. Im Nachlauf des jüngsten Debakels in Bayerisch Schwaben hat der ehemalige Software- und Finanzunternehmer aber einiges an zusätzlicher Prügel einstecken müssen. Übelst beschimpft worden ist Dietrich etwa beim Sonntagstraining der Mannschaft am Tag nach der Entlassung des Chefcoaches Markus Weinzierl auf dem Clubgelände auch von Fankreisen, denen man aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes eigentlich eine andere Kinderstube zugetraut hätte.

„Wer derlei öffentlichen Druck nicht aushält, darf nicht Präsident des VfB werden“, sagt Dietrich – und vermittelt am Dienstagmorgen, als er diverse Pressevertreter auf die Geschäftsstelle zu einem Hintergrundgespräch geladen hat, tatsächlich schon wieder einen gleichsam ausgeschlafenen wie angriffslustigen Eindruck. Sturmerprobt, das werden ihm wohl auch seine größten Kritiker zugestehen, das ist dieser Wolfgang Dietrich. Wobei einiges davon wohl seiner Zeit als Sprecher des Bahnprojektes Stuttgart 21 geschuldet ist.

Steter Blick auf die Sonnenseite

Was folgte, war die Präsidentschaft beim VfB, wo es in den ersten knapp zwei Jahren seiner Amtszeit unterm Strich recht glatt lief. Da war der Aufstieg im Sommer 2017 – ehe die Stuttgarter trotz einiger Turbulenzen in der Vorsaison als Siebter durchs Ziel gingen. „Wenn die Bayern nicht das Pokalfinale gegen Frankfurt verloren hätten, hätten wir diese Saison gar international gespielt“, blickt der VfB-Frontmann zurück. Dass man sich Europapokalspiele des VfB angesichts der Leistungen des aktuellen Kaders lieber nicht vorstellt, erwähnt auch Dietrich vorsichtshalber nicht.

Dennoch blickt der erste Mann im roten Fußballreich, so hat es den Anschein, auch inmitten schäumender See lieber auf die Sonnenseite des Geschäfts. „Wirtschaftlich steht der VfB gut da. Wir werden die Lizenz für die erste oder zweite Liga nach unseren Einschätzungen ohne Auflagen erhalten – und müssten auch im Falle des Abstiegs finanziell nicht ans Eingemachte“, sagt Dietrich, der weiter guter Hoffnung ist, vor dem 30. Juni einen zweiten Investor präsentieren zu können. Und ja, das Engagement des inzwischen geschassten Managers Michael Reschke oder teures Missmanagement wie der satt dotierte Dreijahresvertrag für Holger Badstuber im vergangenen Sommer, das seien möglicherweise Fehler gewesen. Dies räumt sogar Dietrich ein – doch wichtig scheint ihm dabei: „Alle diese Entscheidungen hat der Aufsichtsrat einstimmig getroffen. Allein kann ein Präsident nicht so viel bewirken, wie viele Leute das glauben.“

Dass der VfB sportlich dieser Tage fast wehrlos der zweiten Liga entgegentaumelt, dass draußen neben dem Clubhaus zeitgleich zur Presserunde mit Nico Willig bereits der dritte Chefcoach der Saison auf dem Trainingsplatz ein Stuttgarter Team bestehend aus vielen kickenden Ich-AGs in die Spur zu bringen versucht, dass sein Traditionsdampfer von Ex-Spielern und weiten Teilen der Liga nur noch mitleidig belächelt wird, all das drückt der öffentliche Wolfgang Dietrich gerne beiseite.

Der deprimierende Ist-Zustand des Clubs mit inzwischen 19 Niederlagen in 30 Saisonspielen, mit einer Tordifferenz von minus 40, garniert vom letzten Strohhalm vor dem erneuten Sturz in die Zweitklassigkeit namens Relegation, dies alles ist für den 70-Jährigen nur ein Ausdruck „sportlicher Schwankungen“, wie sie viele Vereine hätten. Eine fatale Fehleinschätzung?

Jedenfalls bleibt Dietrich, der offensichtlich Unbeirrbare, seiner Grundvision treu. „Es bleibt mein Ziel, dass der VfB fünf Jahre nach der Ausgliederung im oberen Drittel der Bundesliga spielt“, sagt der 70-Jährige trotz des Umstands, dass zwei Jahre bald vorbei sind: „Welches andere Ziel sollte ein Verein wie der VfB haben?“

Dass ihn aktuell nicht nur seine Kritiker für diese Einlassung belächeln könnten, ist dem VfB-Präsidenten dabei ganz egal.

Einen wunden Punkt gibt es aber auch in Dietrichs Welt. „Mir zu unterstellen, ich würde mittels meines Engagements als ehrenamtlicher Präsident des VfB Geld verdienen wollen, trifft mich mehr als jeder andere Vorwurf“, sagt der einstige Unternehmer zum Artikel „Dietrichs Nebelkerzen“ des „Kickers“. Der Vorwurf lautet hier, er habe nicht alle Anteile und Beteiligungen an der Quattrex AG wie vor der Wahl angekündigt abgestoßen (siehe nebenstehenden Artikel). „Ich habe vor Amtsantritt alles offengelegt – und danach keine neuen Investitionen getätigt“, sagt Dietrich: „Ich habe mich von allen Anteilen und Beteiligungen wie angekündigt getrennt.“

Präsident in jedem Falle

Zunächst werde er den Gremien des Vereins, allen voran dem Aufsichtsrat, alles vorlegen, um das Thema endgültig vom Tisch zu kriegen, erklärt Dietrich, der in einem zweiten, zeitnahen Schritt dann auch die Ausschüsse des Vereins, darunter den Fan-Ausschuss, sowie die Öffentlichkeit mit den relevanten Informationen zu diesem Thema versorgen will.

Darüber hinaus gilt: auch bei einem Abstieg will der Kapitän, das hat er angekündigt, auf der VfB-Kommandobrücke bleiben. Schließlich sei er bis Herbst 2020 gewählt. Und das Votum, dem sich der Präsident zu stellen habe, seien nicht krakeelende Fans, sondern die Mitgliederversammlung. Dort wurde er zuletzt mit 92 und 88 Prozent der Stimmen entlastet. „Kein schlechtes Ergebnis“, findet der Clubboss.