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Wie ein Zirkusartist jongliert VfB-Trainer Markus Weinzierl die vielen Probleme – doch immer wieder fallen ihm die Problembälle wie zuletzt Santiago Ascacibar vor die Füße.

StuttgartNimmt man wörtlich, was Markus Weinzierl äußert, ist der Mann ein Fall für den Zirkus. „Wir jonglieren die Probleme“, sagt der Trainer des VfB Stuttgart vor dem Spiel seiner Mannschaft an diesem Samstag (15.30 Uhr) beim FC Augsburg. Und weil das viele sind, wäre der Mann eine veritable Attraktion – wenn ihm denn tatsächlich kein Problemball auf den Boden fällt. Doch am Boden liegt derzeit viel beim VfB. Mancher sagt sogar: der ganze Verein.

Es gibt Handelnde unter dem weiß-roten Dach, die werden heftig widersprechen. Die VfB AG hat kürzlich die Unterlagen für die Lizenzierung eingereicht – für Liga eins und zwei – und erwartet eine Erteilung der Spielgenehmigung ohne Auflagen und Bedingungen. In der Verpflichtung des renommierten Kaderplaners Sven Mislintat ist jüngst ein Coup gelungen. Und mit dem seit Februar amtierenden Sportvorstand Thomas Hitzlsperger verbinden nicht wenige die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Klingt alles nicht schlecht. Wäre da nicht das Kerngeschäft.

Einundzwanzig: So wenige Punkte hatte der Club nach 29 Spielen nicht mal in der Abstiegssaison 2015/16. Minus 34: Das miese Torverhältnis ist zusätzlicher Ballast. Sechszehnter: Auf diesem Platz steht das Team seit Wochen – doch nun ist der Rückstand auf Rang 15 (6) größer als der Vorsprung auf Rang 17 (3). „Die Luft brennt jetzt“, sagt Markus Weinzierl und spricht von einer „schwierigen Situation“. Sie prägt das öffentliche Bild des Vereins – aber beileibe nicht allein.

Der Trainer: Keine Frage, Markus Weinzierl hat eine undankbare Aufgabe übernommen, da der Kader über zahlreiche Probleme verfügt. Mit alternden Stars mit guten und teils langfristigen Verträgen, mit teils disziplinlosen Jungprofis, mit der fehlenden Balance zwischen Offensive und Defensive, mit einer Kluft zwischen jung und alt. Andererseits hatte der Bayer sechs Monate Zeit, zumindest ein bisschen mehr aus der Truppe herauszuholen, Brandherde zu löschen und Lösungen zu finden. Dass die Ausbeute nach der Winterpause der aus der Hinrunde sogar noch hinterherhinkt, spricht auch gegen den Trainer, dem es an interner Unterstützung nie mangelte.

Thomas Hitzlsperger dient unzufriedenen Profis nicht als Kummerkasten, mischt sich nicht über die Maßen ein und stützte den Coach vom ersten Tag seiner Amtsübernahme als Sportvorstand. Nach dem mauen 1:1 gegen den 1. FC Nürnberg gab es sogar eine Jobgarantie bis Saisonende. „Ich traue den Worten meines Vorgesetzten“, sagt Weinzierl vor dem Schicksalsspiel in Augsburg. Dass er dies mit einer geplanten öffentlichen Wutrede („Bin ich an allem schuld?“) einläutete, wirkte bei einer eigenen Bilanz von 16 Punkten aus 22 Spielen deplatziert und ohne Nährboden. Hitzlspergers Bekenntnis klang zuletzt schon weniger klar, doch befindet sich der Sportchef in der Trainerfrage auch in einem Dilemma.

Da es als sehr wahrscheinlich gilt, dass Hitzlsperger nicht über die Saison hinaus mit Weinzierl weitermachen will, hat er für die neue Runde womöglich schon Kandidaten – und würde einen Feuerwehrmann nur für wenige Spiele benötigen. Oder die neue Langfristlösung wäre bei einem Abstieg gleich schwer beschädigt. Wer lässt sich auf das eine oder das andere ein?

Die Vereinsführung: Eines muss man dem VfB ja lassen: An kuriosen Einfällen mangelt es nicht. Der neueste: Das Angebot eines Arena-Workouts. Für 85 Euro wird vor der Partie gegen Borussia Mönchengladbach ein Zirkeltraining angeboten, gestärkt geht es im Anschluss auf die Tribüne. Den ganzen Verein fit zu machen ist seit Oktober 2016 die Aufgabe von Wolfgang Dietrich. Ein komplexes Unterfangen für den Präsidenten- manchmal versucht es der 70-Jährige aber auch mit einfachen Wahrheiten. „Wir haben noch vier Heimspiele, und die müssen wir alle gewinnen, fertig – so einfach ist es“, kündigte er kürzlich eine Art Schlussoffensive in der Mercedes-Benz-Arena an. Zwei Wochen später sind nur noch zwei Heimspiele übrig, der VfB hat lediglich einen Punkt mehr auf dem Konto, und Dietrich muss plötzlich wieder ganz andere Fragen beantworten.

Unter anderem weil es in der Relegation zum Duell mit Union Berlin oder dem 1. FC Heidenheim kommen könnte, sind Dietrichs frühere Geschäfte wieder in den Fokus gerückt. Hat er wirklich alle Verbindungen zu den von ihm aufgebauten Firmen, die den genannten Clubs Darlehen gegeben haben, gekappt? Profitiert er auch wirklich nicht direkt finanziell bei einem Aufstieg der Berliner oder Heidenheimer? Diese und andere Fragen stellte nun auch der Fanausschuss des VfB, also ein Organ des Vereins – öffentlich übrigens, was viel über die möglichen Wege der Kommunikation innerhalb des Clubs aussagt. Auf Nachfrage unserer Redaktion hat Dietrich mehrfach versichert, an keinem Unternehmen mehr beteiligt zu sein, das im Profifußball agiert. Warum ein letzter schriftlicher Nachweis im Handelsregister nicht aufgeführt wird, muss aber noch geklärt werden.

Für die externe Kommunikation hat der VfB kürzlich eine Imagekampagne aufgelegt („Wir sind Stuttgart“), die emotional so sehr verfängt wie eine Dokumentation über das Wachstum von Grashalmen – und deren Video zum Opening von der Idee bis zur Musik wie eine plumpe Kopie eines Films eines dänischen Fernsehsenders von 2017 anmutet, der sich mit dem Clip gegen gesellschaftliche Ausgrenzung engagiert.

Dass zuletzt auch Club-Legende Jürgen Klinsmann die Vereinsspitze attackierte (im Anschluss an den Streit um Guido Buchwald im Aufsichtsrat), rundet das Bild, das der VfB in dieser Krisensaison abgibt, negativ ab. Die treuen Anhänger unterstützen die Mannschaft zwar nach wie vor lautstark und zahlreich (auch auswärts), garnieren ihre Auftritte aber seit Wochen mit dem Protest gegen die Clubspitze („Dietrich raus“). Im weiten Rund der Arena macht sich derweil mehr und mehr Resignation breit.

Das Team: Da ist das Team: Kürzlich, als der VfB zu Hause gegen 1899 Hoffenheim antrat, war die Partie noch nicht angepfiffen, da verließ der erste VfB-Profi schon den Ort des Geschehens. Anastasios Donis, der im Trainingslager schon Termine verschlafen hatte, stand nicht im Kader, hatte das Ersatztraining absolviert – doch statt den Kollegen im Stadion beizustehen, düste er lieber ab. Wenige Tage später beklagte Borna Sosa in einem Zeitungsinterview seine Reservistenrolle – zu Beginn der Rückrunde hatte der Kroate noch durch eine Rutschpartie und falsche Schuhwahl auf sich aufmerksam gemacht. Schon viel länger macht Pablo Maffeo deutlich, was er von einem erweiterten Trainingsprogramm zur Steigerung der Fitness hält – nämlich gar nichts. Der Spanier, einst zehn Millionen Euro teuer, übt mittlerweile alleine. Am vergangenen Samstag brannten dann bei Santiago Ascacibar die Sicherungen durch. Der Argentinier bespuckte seinen Gegenspieler. Bis er sich zu einer Entschuldigung durchringen konnte, dauerte es bis Dienstag. Manches wäre wohl entschuldbar, würden die Leistungen stimmen.

Doch auch wenn das Team in den vergangenen Wochen an defensiver Stabilität gewonnen hat, ist es im Spiel nach vorn der personifizierte Nichtangriffspakt. „Das ist keine neue Erkenntnis“, sagt Weinzierl. Somit gilt trotz der Nachverpflichtungen von Alexander Esswein, Steven Zuber und Ozan Kabak: Der Kader, den Ex-Sportchef Michael Reschke zusammengebastelt hat, passt zur aktuellen Lage so gut wie königsblaue Farbe auf dem Trikot von Borussia Dortmund – sieben Punkte in der Rückrunde sind Ausweis der ganzen Misere.

Mit seiner Mini-Wutrede setzt der Trainer auf einen Hallo-wach-Effekt. Ein Sieg in Augsburg hätte eine große Wirkung. Für den Trainer, das Team, den Verein.