VfB-Trainer Tayfun Korkut. Foto: Baumann - Baumann

Der 44-Jährige über den Saisonstart, das Trainerdasein und die Verbindung zu Joachim Löw.

StuttgartFrisch geduscht kommt Tayfun Korkut nach dem Training voller Elan in den Interviewraum der Geschäftsstelle des VfB Stuttgart. Sehr gelassen spricht der 44-jährige Coach dann über die Situation vor dem Südderby an diesem Samstag (18.30 Uhr) gegen Bayern München.

Herr Korkut, zwei Pflichtspiele, zweimal hat der VfB verloren. Das ist ja eine völlig neue Erfahrung, die Sie in der vergangenen Saison nicht machen mussten. Wie gehen Sie damit um?

Niederlagen fühlen sich nie gut an. Wir wissen, wie sie zustande gekommen sind. Jetzt ist es wichtig, sie richtig einzuordnen. Wir befinden uns in einem Prozess. Es geht wie bei jeder Mannschaft am Saisonstart um Stabilität und mannschaftliche Geschlossenheit – da versuchen wir so schnell wie möglich, die notwendigen Schritte nach vorne zu machen.

Sie scheinen immer der Gleiche zu bleiben, egal ob Erfolg oder Misserfolg. Wie gelingt Ihnen das?

Ich halte es persönlich für sehr wichtig für unsere Arbeit, eine gute Balance zu haben. Bei Siegen nicht zu euphorisch zu sein und bei Niederlagen nicht alles in Frage zu stellen. Den eingeschlagenen Weg nicht zu verlassen, auch wenn es mal holprig ist. Die Bundesligaspiele sind sehr eng, und es entscheiden oftmals Details.

Woher kommt diese große Gelassenheit - war das bei Ihnen schon immer so, oder hängt es mit Ihren Erfahrungen als Spieler in Istanbul zusammen, wo man nach Niederlagen ein dickes Fell braucht?

Lebenserfahrung hilft in jedem Fall – das gilt natürlich für alle Menschen und alle Berufe. Wir können gut einschätzen, wie die Vorbereitung lief und wie weit die Mannschaft derzeit in ihrer Entwicklung ist. Und wir wissen, dass der Fußball immer auch ein Stück weit unberechenbar bleibt.

Was lief in der vergangenen Rückrunde dennoch besser?

Wir hatten in den ersten beiden Spielen jeweils mehr Torchancen als unsere Gegner, aber waren in der Verwertung längst nicht so effektiv wie in der vergangenen Saison. Dazu haben wir Veränderungen im Kader und Spieler, die durch Fehlzeiten in der Vorbereitung noch nicht in ihrem Rhythmus sind. Und dann sind uns auch Fehler unterlaufen, die wir sonst nicht gemacht haben.

Heute Held, morgen Depp – wie kann man sich gegen die Verrücktheiten der Branche immun machen?

Man bewegt sich Woche für Woche zwischen den Extremen. Für mich ist Fußball Gegenwart, und ich konzentriere mich ausschließlich auf das, was ich in meiner täglichen Arbeit beeinflussen kann.

Als Sie die Mannschaft im Winter übernommen haben, gab es prompt Siege. Jetzt haben Sie eine lange, gute Vorbereitung absolviert. Warum läuft es nicht?

Die Ergebnisse haben in den ersten beiden Pflichtspielen nicht gestimmt. Wir müssen noch an gewissen Dingen arbeiten. Aber es gab auch Dinge, auf die wir aufbauen können.

Das Matchglück . . .

. . . wir warten nicht auf Glück. Unser Ziel ist es, die Wahrscheinlichkeit für den Erfolg zu erhöhen.

Bei den 1:0-Siegen in der vergangenen Saison hat das Pendel jedenfalls noch zuverlässig in Richtung des VfB ausgeschlagen.

Genau da wollen wir so schnell wie möglich wieder hinkommen. Am besten gleich an diesem Samstag gegen die Bayern. Wir müssen hartnäckig sein und dranbleiben.

Wenn Sie das Ohr an den Puls der Mannschaft legen, was nehmen Sie dann wahr?

Dass alle sehr selbstkritisch sind und wissen, dass wir noch Arbeit vor uns haben. Wir haben sehr viele erfahrene Spieler, denen bewusst ist, auf was es in der jetzigen Saisonphase ankommt. Auch die Fans können die Lage übrigens gut einschätzen. Sie waren nach dem Spiel in Mainz wie wir alle unzufrieden über das Ergebnis. Aber sie haben gespürt, dass die Mannschaft gewinnen wollte.

Der Kader ist sehr gut besetzt, daraus sind schon ein paar Härtefälle bei der Aufstellung entstanden wie jüngst mit Daniel Didavi und Timo Baumgartl. Wie gehen Sie das an, um die Jungs bei Laune zu halten und dafür zu sorgen, dass das Mannschaftsklima gut bleibt?

Wir haben eine Mannschaft, die in der letzten Saison eine sehr erfolgreiche Rückrunde gespielt hat. Für die neue Spielzeit sind wir jetzt auf allen Positionen doppelt besetzt. Dementsprechend gibt es einen großen Konkurrenzkampf. Aber bei unserer Kadergröße ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass alle Spieler über die gesamte Saison hinweg auf ihre Einsätze kommen. Alle müssen jederzeit bereit sein.

Nach welchen Kriterien entscheiden Sie sich letztlich bei der Aufstellung: Holger Badstuber oder Timo Baumgartl in der Innenverteidigung, das ist ja eine 50:50-Entscheidung – geht man da nach dem Bauchgefühl?

Grundsätzlich geht es immer darum, die beste Aufstellung für das jeweilige Spiel zu finden. Dabei ziehen wir viele Dinge in Betracht. Am Ende entscheide ich, und die Spieler müssen die Entscheidung respektieren.

Würden Sie in Ihrem nächsten Leben wieder Fußballtrainer werden?

Klar, sofort. Das ist Leidenschaft pur – mit allen Extremen, die dazu gehören.

Welche Komponenten machen den perfekten Tayfun-Korkut-Fußball aus?

Es gibt keinen perfekten Fußball. Der Fußball muss zum Verein und zur jeweiligen Mannschaft passen. Danach richtet sich der Trainer mit seinen Ideen. Unabhängig davon geht es immer um Intensität, Zusammenhalt und Solidarität – diese Punkte sorgen zusammen für Stabilität. Auch in Phasen, in denen es etwas windiger ist.

Wenn man Sie als pragmatischen Trainertypen bezeichnen würde, würden Sie das unterschreiben?

Wie definieren Sie pragmatisch in diesem Zusammenhang?

Rational. Das Gegenteil von Spinner.

Als Trainer sind mir Zuverlässigkeit und Klarheit besonders wichtig.

Sie haben selbst als Spieler von Trainern gelernt wie Joachim Löw, Carlos Alberto Parreira und Vicente Del Bosque, die allesamt Weltmeister wurden – wie fließt das in Ihre Arbeit ein?

Ich konnte von jedem Trainer etwas mitnehmen. Was die Weltmeistertrainer verbindet: Sie waren zu jeder Zeit emotional in einer guten Balance ohne Ausschläge ins Extreme. Das hat mich geprägt.

Sie haben den gleichen Berater wie Joachim Löw, Sie beide verstehen sich gut. Pflegen Sie einen regelmäßigen Austausch?

Unsere Verbindung und unser Vertrauensverhältnis hat sich über viele Jahre entwickelt. Aber es ist nicht so, dass wir ständig telefonieren, weil man mit der Zeit weiß, wann man den anderen auch mal in Ruhe lässt.

Seit dem Rücktritt von Mesut Özil aus der deutschen Nationalelf gibt es eine anhaltende Debatte um Rassismus, „Kanaken“ und „Kartoffeln“ . . .

. . . dazu werden Sie von mir nichts hören.

Warum nicht?

Kein Kommentar.

Sie sind als Sohn türkischer Gastarbeiter in Deutschland aufgewachsen und mit einer Spanierin verheiratet, haben schon in allen drei Ländern gespielt und gelebt. Wie prägen Sie diese drei Kulturen als Mensch?

Ausschließlich positiv. Sie sind ein Teil von mir geworden. Im Nachhinein kann ich sagen, dass all diese Erfahrungen – sportlich wie privat – enorm wichtig für mich waren.

Und diese Erfahrungen helfen Ihnen jetzt auch, die aktuelle Situation beim VfB zu meistern?

Diese Erfahrungen helfen mir, mit den täglichen Herausforderungen des Trainerberufs umzugehen.

Das Interview führten Gerhard Pfisterer und Gregor Preiß.