Wolfgang Dietrich Foto: Weller - Weller

Ein Interview mit VfB-Chef Wolfgang Dietrich über Trainerwechsel, Tabellensituation und "Flunkeraffäre" - mit Video

EsslingenDie vergangenen Wochen beim Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart gingen auch an Wolfgang Dietrich nicht spurlos vorüber: Das Abrutschen auf den letzten Tabellenplatz, die Trennung von Trainer Tayfun Korkut und die Verpflichtung von Markus Weinzierl als Nachfolger. Beim Besuch in der Redaktion dieser Zeitung aber wirkt der 70-jährige VfB-Präsident entspannt, er ruht in sich. Denn sein Zwischenfazit nach zwei Jahren im Amt fällt insgesamt positiv aus. „Ich glaube, dass wir es geschafft haben, nicht nur davon zu sprechen, dass wir die Balance zwischen Tradition und Kommerz halten wollen – sondern dass wir das auch hinbekommen“, sagt er.

Video: Patrick Kuolt

Man sagt ja immer, das zweite Jahr nach dem Aufstieg sei das schwerste. Das als Erklärung für den schwachen Saisonstart heranzuführen, wäre vermutlich zu kurz gegriffen.
Wir sind in einer erwartet sportlich schwierigen Situation, auch wenn wir nicht erwartet hatten, dass wir nach sieben Spielen so weit hinten stehen. Dass das zweite Jahr schwer wird, haben wir in der Vereinsführung immer wieder betont – nicht, weil wir negativ denken, sondern weil es einfach so ist. Jetzt müssen wir mit der Situation umgehen und konsequent an den Dingen arbeiten, die in den ersten Spielen nicht geklappt haben. Und wir sind sicher, dass Markus Weinzierl mit seinem Team jetzt die Impulse setzt, die notwendig sind, um wieder in die Spur zu kommen. Das wird nicht von heute auf morgen gehen. Es ist noch früh in der Saison und der Abstand zum Tabellenmittelfeld ist noch nicht sehr groß. Aber: Das zweite Jahr wird schwierig bleiben.

Dabei war die Euphorie im Sommer groß.
Dass wir durch die starke vergangene Rückrunde Erwartungen geweckt haben, ist klar. Und im Nachhinein muss man auch sagen, dass die Vorbereitung besser war als die Realität. Deswegen ist die Enttäuschung bei vielen auch umso größer.

Lag doch eine Fehleinschätzung der Stärke der Mannschaft vor?
Wir müssen bei der Bewertung der Zugänge schon ein bisschen aufpassen. Unser Sportvorstand Michael Reschke hat zwei Arten von Verstärkungen gewählt: Zum einen Spieler, die Perspektive haben, aber ihre Zeit brauchen, um endgültig in der Bundesliga anzukommen. Das sind auch Spieler für die Zukunft. Genau diese Spieler haben uns in der Vorbereitung teilweise begeistert – dadurch ist die Erwartung an sie gestiegen. Zum anderen haben wir in Daniel Didavi und Gonzalo Castro zwei erfahrene Spieler geholt, die uns schnell helfen können. Ich möchte daran erinnern: In der Vereinsführung haben wir immer gesagt, dass unser Ziel ein sicherer Mittelfeldplatz ist, um dann den nächsten Schritt zu gehen. Durch die Auftaktniederlagen im Pokal in Rostock und in der Liga in Mainz und gegen Bayern war dann die Anfangseuphorie weg und vor allem hat das Selbstbewusstsein der Mannschaft gelitten. Der Flow der Rückrunde war verschwunden.

Den Trainerwechsel fanden die meisten Fans richtig. Das Merkwürdige aus Sicht vieler Beobachter war aber auch, dass Michael Reschke den Kader zusammengestellt hat – dass aber Trainer Tayfun Korkut gehen musste.
Der Kader ist komplett in Abstimmung zwischen Trainer und Sportvorstand entstanden. Michael Reschke hat Tayfun Korkut nicht irgendwelche Spieler vorgesetzt. Der Kader ist auch nicht das Problem, wir spielen ja fast mit derselben Mannschaft wie in der vergangenen Saison. Von der Mannschaft, die eine hervorragende Rückrunde gespielt hat, ist nur Daniel Ginczek nicht mehr da. Es wird immer wieder Kontinuität gefordert. Die ist im Spielerkader vorhanden. Wir haben versucht, mit der Vertragsverlängerung mit Tayfun Korkut ebenfalls Kontinuität hineinzubringen. Dann gab es die bekannte Entwicklung. Wichtig ist, dass wir in der Vereinsführung Kontinuität haben, die müssen wir erhalten. Die Mannschaft ist gut genug, um die sportlichen Ziele zu erreichen. Es gibt keinen Grund, die Ziele zu ändern. Wir haben sie übrigens auch nicht nach der hervorragenden Rückrunde geändert – und jetzt, da wir Tabellenletzter sind, werden wir sie auch nicht ändern.

Haben Sie mit Michael Reschke eigentlich die „Flunkeraffäre“ erörtert? Nachdem er am Abend vor der Trennung noch die Trainerfrage verneint hatte, gab es in der Öffentlichkeit einige Diskussionen.
Das Ziel von Michael Reschke war ganz klar, eine Aussage zu treffen, die uns alle Optionen offen lässt – sowohl die, mit dem Trainer weiterzumachen, als auch die, uns möglicherweise zu trennen. Ansonsten ist zu dem Thema alles gesagt.

Tayfun Korkut hatte nie eine starke Position als Trainer, was nicht unbedingt an der Vereinsführung lag. Wie soll das bei Markus Weinzierl anders werden?
Nach außen hat es Markus Weinzierl sicherlich einfacher, als es Tayfun Korkut am Anfang hatte. Die Reaktionen auf Weinzierls Verpflichtung waren ja durchweg positiv. Wir hoffen, dass er die Mannschaft entwickelt, wie er es in seiner Zeit in Augsburg gemacht hat. Wir sind davon überzeugt, dass er ein erfolgreicher VfB-Trainer sein wird.

Kleiner Exkurs: Sie haben gerade den Trainer gewechselt. Wie würden Sie sich denn im Moment verhalten, wenn Sie Präsident nicht des VfB, sondern des DFB wären?
Sehen Sie mir das bitte nach, aber das ist wirklich nicht mein Thema. Wir müssen beim VfB die richtigen Weichen stellen – und damit haben wir genug zu tun.

Zumindest was die Vereinsführung betrifft, ist der VfB nach schwierigen Jahren wieder in ruhigerem Fahrwasser. Wie groß ist die Hoffnung, dass sich das mittelfristig auch auf den sportlichen Bereich auswirkt?
Absolut groß. Ich bin zutiefst davon überzeugt, und dafür gibt es auch Beispiele, dass in diesem Geschäft im sportlichen Unterbau langfristige Kontinuität nur schwer zu erreichen, aber Erfolg wahrscheinlicher ist, wenn man Kontinuität in der Führung hat. Und zwar nicht nur, was Personen, sondern auch, was die Strategie betrifft. Deshalb war die Ausgliederung der Fußballabteilung in eine Aktiengesellschaft wichtig, dass die jahrzehntelange Diskussion darüber beendet ist, dass wir wirtschaftlich handlungsfähig sind, dass wir den Nachwuchsbereich neu aufgestellt haben und dass wir weiter die wichtige Balance zwischen Kommerz und Tradition halten. Das ist aus meiner Sicht mittelfristig der Erfolgsgarant. Es geht darum, dass wir die Rahmenbedingungen richtig managen.

Noch hat der VfB – im Gegensatz zu manchem Konkurrenten – einen großen Zulauf, die Mitgliederzahlen steigen, das Stadion ist voll. Worauf führen sie das zurück, obwohl die sportliche Bilanz durchwachsen ist?
Ich glaube, dass die Mitglieder insgesamt Vertrauen in die Vereinsführung haben, in unsere Vorhaben. Ich glaube auch, dass wir es geschafft haben, nicht nur davon zu sprechen, dass wir wie eben erwähnt die Balance zwischen Tradition und Kommerz halten wollen – sondern dass wir das auch hinbekommen. Als wir die Ausgliederung vollzogen haben, haben viele befürchtet, der Verein würde seine Seele verlieren und die Mitgliederentwicklung würde negativ – genau das Gegenteil ist passiert. Ein weiteres Beispiel: Wir haben nicht nur gesagt, dass wir unseren Standort stärken wollen, sondern wir haben es getan, in dem wir alle Trainingsplätze auf Vordermann gebracht haben. Auch unser Ankerinvestor Daimler ist insofern hilfreich, als er ebenfalls die Tradition verkörpert. Immerhin waren die Familien Daimler und Maybach Gründungsmitglieder beim VfB.

Die Fans verzeihen viel, sie haben auch einen Abstieg verziehen. Aber muss jetzt nicht der sportliche Erfolg dazukommen, damit die Entwicklung weitergeht?
Ganz klar, das steht über allem. Aber wir dürfen uns nicht davon allein abhängig machen. Nur mit einem guten Überbau und den passenden Rahmenbedingungen hat man die Chance, auch mal eine sportliche Delle zu verkraften. Aber auf die Dauer zählt nur der sportliche Erfolg, sonst wird man die anderen Dinge auch nicht halten können. Wobei der Begriff ‚sportlicher Erfolg’ unterschiedlich definiert wird.

Wie definieren Sie ihn?
Wir wollen auf der Basis einer top Jugendarbeit in der Bundesliga erfolgreich sein. Damit können sich offensichtlich die meisten Mitglieder identifizieren.

Es wird im Moment kaum über Ihre mittel- und langfristigen Ziele gesprochen. Sie hatten sich ja für Ihre Präsidentschaft einiges vorgenommen. Beim Thema der Suche nach weiteren Investoren beispielsweise ist es im Moment sehr ruhig. Wie ist da der Stand der Dinge?
Ab dem Moment, als in der vergangenen Saison der Klassenverbleib feststand, haben wir die Vorbereitungen vorangetrieben. Das war nach dem 2:0-Sieg am viertletzten Spieltag gegen Bremen. Wir sind mitten in guten Gesprächen und ich bin zuversichtlich, dass wir bis zum Ende der Saison einen weiteren Investor haben. Wir wollen einen Partner, der nicht nur investiert, sondern auch einen strategischen Mehrwert bringt.

Sie sind jetzt seit zwei Jahren im Amt. Sind Sie mit Ihrer Zwischenbilanz zufrieden?
Ich bin in jeder Hinsicht zufrieden – natürlich mit einer Ausnahme. Hätten Sie mich vor vier Wochen gefragt, hätte ich gesagt: perfekt. So eine sportliche Delle geht aber natürlich nicht spurlos an einem vorüber. Sagen wir es so – ich bin ja auch Fan: Als Präsident bin ich mit der Gesamtentwicklung des Vereins hochzufrieden, als Fan bin ich im Moment nicht glücklich.

Das Interview führte Sigor Paesler

Zur Person

Wolfgang Dietrich wurde am 24. Juli 1948 in Stetten geboren. Nach dem Betriebswirtschaftsstudium gründete er ein Programmierbüro, später war er Alleinaktionär einer Firma zur Finanzierung und für Marketing im Profifußball.

Zwischen 2010 und 2014 war Dietrich Sprecher des Bahnprojekts Stuttgart 21, was ihm später den Wahlkampf für das Amt als Präsident des VfB Stuttgart erschwerte. Trotzdem wurde er am 9. Oktober an die Spitze des Vereins gewählt. Seit der Ausgliederung der Fußballabteilung in eine Aktiengesellschaft ist er Vorsitzender des Aufsichtsrats der AG.