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Der ehemalige VfB-Spieler Ludovic Magnin spricht im Interview über den neuen Stuttgarter Sportvorstand Thomas Hitzlsperger, die kritische Lage bei seinem Ex-Club und seinen Mentor Lucien Favre.

StuttgartLudovic Magnin ist noch so, wie man ihn aus seiner Zeit als Spieler in Stuttgart kennt: lustig, lässig, lebensfroh. Das zeigt sich auch im Gespräch mit dem Trainer des FC Zürich vor dem Duell des VfB Stuttgart bei seinem anderen Ex-Club Werder Bremen an diesem Freitag (20.30 Uhr).

Herr Magnin, der Bremer Claudio Pizarro ist ein Jahr älter als Sie und schießt noch Tore in der Bundesliga – haben Sie Ihre Karriere zu früh beendet?
Nein. Das muss jeder für sich selbst wissen. Dafür wird Claudio Pizarro nie Trainer einer Profimannschaft mit 39 sein (lacht). Claudios Fähigkeiten waren immer deutlich höher als meine, deshalb kann er so lange mithalten.

Lassen Sie uns über ihre beiden deutschen Ex-Clubs sprechen. Sie waren einst je dreieinhalb Jahre bei Werder Bremen und beim VfB Stuttgart, für wen schlägt Ihr Herz im direkten Duell an diesem Freitag mehr?
Das ist eine schwierige Frage. Mit Thomas Hitzlsperger, Mario Gomez und Christian Gentner kenne ich zumindest beim VfB noch zwei, drei Leute, aber sonst wird es da langsam auch weniger. Das sind zwei Vereine, die beide in meinem Herzen sind, und ich würde mich nicht für einen entscheiden wollen, weil ich in beiden Vereinen Großartiges erlebt und sensationelle Menschen kennengelernt habe.

Sie wurden mit beiden Clubs Meister. Zu Ihren Spielerzeiten Anfang des Jahrtausends zählten sie noch zu den besten in der Bundesliga, spielten stets oben mit. Warum ist das heute nicht mehr so?
Ich denke, das hat unterschiedliche Gründe. Man kann nicht die gleichen Fehler ausmachen. Man hat gemerkt, dass Werder Bremen nach der Ära von Trainer Thomas Schaaf Zeit gebraucht hat, um sich zu finden.

Wo sehen Sie beim VfB die Probleme, dass er erneut gegen den Abstieg kämpft?
Von weitem ist das schwierig zu beurteilen. Seit ich als Trainer tätig bin, habe ich gelernt, dass es ärgerlich ist, wenn Leute aus der Ferne ihre Meinung zu Problemen abgeben, die nicht die interne Wahrheit kennen. Von außen ist zu sehen, dass viel Geld in junge Spieler investiert wurde. Wenn du das machst, musst du bereit sein, dir die eine oder andere Saison Zeit zu geben, um etwas aufzubauen. Das Problem in der Bundesliga ist, wenn du dann in Abstiegsgefahr kommst und tatsächlich absteigst.

Was sind Ihre besten Erinnerungen an die Zeit in Stuttgart?
Die beste Zeit war sicherlich die Meistersaison 2006/2007. Der Titel hat für mich auch einen höheren Stellenwert als der in Bremen, weil ich dort wenig gespielt habe und in Stuttgart im besten Fußballalter und fester Bestandteil der Mannschaft war. Der beste Moment war sicher der Autocorso in Richtung Schlossplatz, das wird mich ein Leben lang begleiten. Das Schöne ist: Jedes Mal, wenn ich nach Stuttgart zurückkomme, spüre ich die extreme Dankbarkeit der Menschen für die Emotionen und Glücksmomente, die wir damals der ganzen Stadt beschert haben.

Uns ist auch in Erinnerung geblieben, dass Sie mal den Sportwagen des damaligen Torwarts Raphael Schäfer bei Autoscout im Internet unter seiner Handynummer angeboten haben.
Aber wissen Sie was das Problem ist?

Nein, was denn?
Es ist bis heute nicht bewiesen, dass ich das war (lacht). Ich glaube, der neue Sportvorstand und ein aktueller Stürmer hatten auch etwas damit zu tun. Wir waren mehrere in der Geschichte. Das war nicht nur meine Schuld. Die ganze Schuldaufteilung ist noch nicht bewiesen. Aber ich war involviert, sagen wir so.

Sie haben sich als Coach sukzessive beim FC Zürich vom Nachwuchs- bis zum Profitrainer hochgearbeitet. Sie sind eigentlich studierter Grundschullehrer und haben Dinge schon immer anders gemacht als andere – war es jemals ein Thema, nach Ihrer Spielerkarriere in diesen Job zu wechseln?
Wissen Sie, der Job hatte sich nach meinen 15 Jahren als Fußballprofi dermaßen geändert. Du bist nicht mehr Lehrer, sondern Erzieher. Darauf habe ich weniger Lust. Ich finde das ziemlich extrem, wie sich der Lehrerjob entwickelt hat in den letzten Jahren. Früher haben die Eltern zu Hause noch die Kinder erzogen und du hast ihnen als Lehrer in der Schule etwas gelehrt. Heutzutage bist du als Lehrer mehr als Ersatzpapa oder Ersatzmama gefordert, davon habe ich zu Hause genug mit vier Kindern (lacht).

Lucien Favre von Borussia Dortmund ist ein Vorbild für Sie als Trainer, Sie stehen ständig im Austausch. Woher kommt der enge Draht?
Das ist ein Kindheitsfreund meines Vaters, sie sind zusammen im kleinen Dorf Saint-Barthélemy aufgewachsen. Danach haben wir im Dorf daneben gelebt. Er kennt mich, seit ich 13 bin: Nach dem Ende seiner Spielerkarriere ist er immer wieder als Assistenztrainer zu uns ins Juniorentraining beim FC Echallens gekommen. Das war immer ein Highlight, wenn der große Lucien Favre da war. Seit dieser Zeit hat er an mich als Spieler geglaubt, er hat mir auch meine erste Chance im Profigeschäft gegeben. Seitdem sind wir in Kontakt geblieben. Wir vertrauen uns gegenseitig blind, wir wissen, was wir aneinander haben. Es ist ein Vorteil, so jemanden zu haben, der eigentlich 30 Jahre Vorsprung auf dich hat.

Holt Favre mit Borussia Dortmund dieses Jahr die Meisterschaft?
Ich habe schon in der Winterpause auf Bayern München getippt, als Dortmund noch mehr Vorsprung hatte. Der BVB konnte viele Spiele in der Hinrunde in letzter Minute drehen. Und der Druck auf junge Spieler ist auch hoch in so einer Situation. Jetzt sind auch noch Verletzungen dazugekommen. Deswegen glaube ich, dass Bayern einen Vorteil hat. Mit Lucien als Trainer traue ich Dortmund aber natürlich auch zu, die Sensation perfekt zu machen.

Was hat Herr Favre denn dazu gesagt, dass Sie als sein Zögling auf die Bayern getippt haben – das geht ja eigentlich gar nicht!?
Er weiß ganz genau, dass das rein taktisch war – so habe ich den Druck von Dortmund weggenommen (schmunzelt).

Mit Thomas Hitzlsperger wurden Sie 2007 mit dem VfB deutscher Meister. Seit vergangener Woche ist er Sportvorstand in Stuttgart. Was halten Sie von der Entscheidung?
Das ist seit Langem mal wieder eine sehr gute Entscheidung des VfB Stuttgart. Ich kenne Hitze, das ist jemand, den ich sehr schätze. Er war Teil meiner Clique damals in Stuttgart, wir haben uns oft getroffen.

Als was für einen Typ haben Sie ihn während der gemeinsamen Zeiten beim VfB kennengelernt?
Das ist jemand, der extrem intelligent ist. Er hat sich schon immer mit anderen Dingen wie Fußball beschäftigt. Wenn wir mit Zeitungen wie „Kicker“, „Bild“ oder dem Sportteil der Stuttgarter Zeitung oder Stuttgarter Nachrichten gekommen sind, kam er mit „Spiegel“ oder Philosophiezeitungen. Wir haben immer darüber gelacht. Aber das zeigt, dass er eine ganz andere Sichtweise auf das Leben hat. Noch dazu kennt er den Fußball, ist menschlich einwandfrei. Er ist zu allem fähig: Er ist fähig, sehr hart zu sein. Er ist fähig, sehr locker zu sein. Er ist fähig zu lachen. Er ist fähig, ernst zu sein. Ich glaube, dass der VfB da einen sehr cleveren Schachzug gemacht hat, ohne zu beurteilen, was davor war. Ich glaube, dass viel auf ihn zukommt und er schwierige Zeiten bewältigen muss. Aber wenn es einer schaffen kann, dann Hitze.

Was würden Sie sagen, wenn er in der Zukunft mal anruft und Ihnen den Trainerjob beim VfB anbietet?
Momentan würde ich Nein sagen. Weil ich mich noch nicht bereit für das Ausland fühle und noch nicht mit dem fertig bin, was ich beim FC Zürich vorhabe. Aber in ein paar Jahren würde ich vielleicht Ja sagen.

Das Interview führte Gerhard Pfisterer.

Zur Person

Ludovic Magnin wurde in der Bundesliga sowohl mit Werder Bremen (2004) als auch dem VfB Stuttgart (2007) Meister – und erarbeitete sich den Ruf eines Spaßvogels. Im Trikot der Schweiz nahm der Linksverteidiger an je zwei Welt- und Europameisterschaften teil. Nach Ende seiner Spielerkarriere 2012 beim FC Zürich hat er sich bei dem Verein als Coach hochgearbeitet. Seit Februar 2018 leitet der 39-Jährige die Profis des FCZ an und führte sie direkt zu Pokalsieg und Europa-League-Teilnahme.