Vor ein paar Monaten versuchte Miriam Massong noch, Christine Gall (links) aufzuhalten - jetzt hilft Routinier Gall in Wolfschlugen aus.Archiv Foto: Rudel Quelle: Unbekannt

Von Sigor Paesler

Esslingen - Aushängeschild TV Nellingen hat als Aufsteiger in der Bundesliga so seine Nöte, die HSG Deizisau/Denkendorf und der HC Wernau versuchen nach dem Rückzug ihrer Teams den Neuaufbau in der Landesliga beziehungsweise Bezirksliga - die Top-Frauenhandballteams aus der Region in der Baden-Württemberg Oberliga und der Württembergliga können mit dem bisherigen Saisonverlauf aber sehr zufrieden sein. Eine Bestandsaufnahme.

Der TSV Wolfschlugen ist in der Baden-Württemberg Oberliga Siebter mit 12:8 Punkten - mehr als ordentlich für einen Aufsteiger. Es könnte noch besser sein, wenn nicht zuletzt die Verletzungsmisere das Team getroffen hätte. „Wir brauchen aber nicht zu heulen, das trifft jeden mal“, sagt Trainer Robert Schenker. Weil keine Spielerin auf Rückraum Mitte mehr zur Verfügung stand, verpflichtete der Verein bis zur Winterpause die ehemalige Zweitliga-Spielerin Christine Gall, die am Ende der vergangenen Saison in Wernau ihre Karriere beendet hatte - unter Trainer Schenker: „Sie ist schon ganz fit und hilft uns in den Minuten, in denen sie auf dem Feld ist.“ Nach den Pluspunkten gefragt, muss der Coach nicht lange überlegen: „Wir spielen eine starke Abwehr, das zeichnet uns aus. Und wir können kämpfen.“ So bleibt man drin. Denn Schenker sagt, auch denen, die durch die vielen Siege zu Saisonbeginn schon euphorisch wurden: „Für uns geht es nur um den Klassenverbleib.“

Der Blick auf die Tabelle der Württembergliga Süd eine Klasse drunter macht aus regionaler Sicht richtig Spaß: (Seit gestern Abend) Erster TV Reichenbach, Dritter SG Hegensberg/Liebersbronn, Vierter TV Nellingen II. Hierbei handelt es sich freilich um eine Momentaufnahme, weil es in der Liga sehr eng zugeht - aber die Beteiligten der drei Vereine handeln nach dem Motto: Was man hat, hat man.

Einig sind sie sich in der Einschätzung, dass ein Grund für den Höhenflug die gute Nachwuchsarbeit in den Clubs ist - und in der nicht nur daraus begründeten Wertschätzung für die Arbeit des jeweils anderen. So sagt Nellingens Coach Michael Steinkönig über die Reichenbacherinnen: „Der Trainer spielt dort eine große Rolle. Mit der Verpflichtung von Uwe Pätzold haben sie das große Los gezogen.“ Der Gelobte freut sich über diese Aussage, sagt aber ganz bescheiden: „Ich versuche, mit meiner Erfahrung die jungen Spielerinnen weiterzubringen.“ Wenige Wochen nach seinem Amtsantritt führte das schon auf Platz eins. Pätzold sagt jedoch ganz deutlich: „Wir wissen, dass wir am Ende der Saison nicht da vorne stehen werden.“ Warum? „Dazu sind wir noch nicht stabil genug. In kritischen Situationen fehlt uns eine Leaderin, die uns da rausführt.“ Das Team hat aber viel Talent und soll sich weiter Schritt für Schritt entwickeln - so wie es in Reichenbach seit Jahren praktiziert wird.

Den bisherigen Auftritt nennt Pätzold „überragend“. Zuletzt gegen den TSV Heiningen zeigten die TVR-Spielerinnen beim 29:28-Erfolg ein „richtig, richtig“ gutes Spiel. Der Coach erinnert aber auch daran, dass das Team gegen den anderen Top-Aufstiegskandidaten HSG Leinfelden-Echterdingen bei der klaren 22:34-Schlappe chancenlos war.

Grundgerüst seit Jahren zusammen

Bei Leinfelden-Echterdingen tritt Aufsteiger Hegensberg/Liebersbronn am kommenden Dienstag (20.30 Uhr) an - zum Spitzenspiel, wer hätte das gedacht. SG-Trainerin Silke Zindorf jedenfalls nicht. „Leinfelden-Echterdingen ist klarer Favorit. Aber es ist nicht aussichtslos, wir können auch was“, sagt Zindorf nun, die mit dem bisherigen Saisonverlauf natürlich „total happy“ ist. Mit einem Sieg würde die SG punktemäßig mit der HSG gleichziehen.

Für Zindorf ist der Grund für den Erfolg ganz einfach beschrieben. „Es stimmt in der Mannschaft“, sagt sie und lobt die Mischung aus „Spaß und Ehrgeiz“. Und: „Unser Vorteil ist, dass das Grundgerüst seit Jahren zusammen ist und es step by step aufwärts ging. Es sind alles Mädels von hier.“ Dabei sieht sie Parallelen zu den Reichenbacherinnen. Außerdem ist der SG-Kader sehr homogen, nur die 15-jährige Jugend-Nationalspielerin Leonie Patorra ragt etwas heraus. Aber auch Zindorf hält den Ball flach: „Wenn wir so weiterspielen, ist ein guter Mittelfeldplatz auf jeden Fall drin. Man darf nicht vergessen, dass wir Aufsteiger sind.“

Da waren die Voraussetzungen beim TV Nellingen II ganz andere: Zwei Abstiege in Folge hat das Team hinter sich, der Kader wurde komplett neu zusammengestellt. Zehn Ab- und elf Zugänge gab es. Eine große Herausforderung für Steinkönig („das ist der Wahnsinn“) und seine Mitstreiter. „Es gab im gesamten Verein einen riesigen Umbruch, bei den Frauen I gab es einen langen Prozess, auch bei den Frauen II ist einiges schief gelaufen“, beschönigt der Coach nichts. Doch das ist analysiert und abgeschlossen. Die Zusammenarbeit mit Bundesliga-Trainer Pascal Morgant ist eng und Steinkönigs Streben gilt neben Punkten und Siegen auch dem Heranführen von wieder mehr Spielerinnen an das Bundesligateam.

Dass es in der Württembergliga bislang so gut läuft, hat er „gehofft, aber nicht erwartet“. Ein Grund für den Erfolg: der Erfolg. Nach Jahren mit vielen Niederlagen tat jeder Sieg gut. „Wir haben viele Spiele mit einem Tor gewonnen“, nennt Steinkönig das starke Nervenkostüm als Folge. So konnte er zuletzt auch mit dem knappen 21:22 und einer starken Leistung im Spiel gegen Leinfelden-Echterdingen leben.

Einen „ruhigen Mittelfeldplatz“ nennt Steinkönig weiterhin als Ziel. „Wenn wir da oben bleiben, wehren wir uns aber auch nicht“, fügt er noch fröhlich an. Das sehen sie in Reichenbach und Hegensberg/Liebersbronn bestimmt ganz genauso. Und die Wolfschlugenerinnen würden Platz sieben in der Abschlusstabelle auch sofort akzeptieren.