Die Tschechin Sarka Marcikova vom TV Nellingen und Lukas Francik lieben sich und Handball. Deizisau ist ihr neues Zuhause.
DeizisauVor dem Eckhaus in Deizisau stehen zwei Autos mit tschechischem Kennzeichen, in der Dachgeschosswohnung streicht Kater Rocky zur Begrüßung um die Beine, im Fernsehen läuft eine Comedyserie. Auf Handball deutet nichts hin – und doch geht es in dieser Wohnung viel um diesen Sport. Denn ihre Bewohner sind nur dem Handball wegen hier. Die Liebe zum Sport und zueinander verbindet Sarka Marcikova und Lukas Francik. Als die 26-jährige Tschechin für diese Saison ein Engagement bei Bundesligist TV Nellingen annahm, kam ihr Freund mit nach Deutschland. Der Linksaußen spielt beim Baden-Württemberg-Oberligisten TSG Söflingen.
Die beiden sind seit acht Jahren ein Paar und haben zum ersten Mal eine gemeinsame Wohnung. Marcikova ist an diesem Nachmittag eben von der Arbeit gekommen, hat sich bequeme Klamotten angezogen. Sie hat eine 75-Prozent-Stelle bei Eberspächer im Programmcontrolling. Francik hat sich ausgeruht, nachdem er schon um 5 Uhr aufstehen musste. Der 27-Jährige arbeitet 30 Stunden pro Woche als Fahrer für die Metzgerei Mezger. Es entspricht nicht dem, was er studiert hat (IT und Sport). „Er muss erst noch besser Deutsch lernen“, erklärt Marcikova, die ihn im Gespräch immer wieder verbessert und auf Tschechisch erklärt, wenn er etwas nicht versteht. Marcikova hatte Deutsch in der Schule. „Wir lernen zusammen. Ich bin die Lehrerin“, lacht Marcikova.
Über Handball können sie sich stundenlang unterhalten. Streit kommt so gut wie nie vor, auch nicht, wenn es um den Haushalt geht. Nur: „Kritik zu meinem Spiel kann ich von ihm nur hören, wenn meine Laune passt“, sagt Marcikova und grinst ihren Freund an. „Bei Lukas ist das genauso.“
Die beiden sind angekommen, in ihrem zuhause in Deizisau, in Deutschland, in ihren Teams. „Ich spiele jetzt Bundesliga, einer meiner Träume ist in Erfüllung gegangen“, sagt Marcikova. „Als ich klein war, wollte ich immer für die Nationalmannschaft und im Ausland spielen.“ Beides ist ihr gelungen, ihr Länderspiel-Debüt gab sie 2012.
In Nellingen war sie anfangs nicht die feste Größe, die sie jetzt im Team ist. Das hing, sagt sie, auch mit Trainer Carsten Schmidmeister zusammen, der im Oktober vergangenen Jahres seinen Posten räumte. „Es war schwierig mit ihm. Wir Mädels im Team verstehen uns super, aber mit ihm haben wir nicht gut zusammengearbeitet. Die Atmosphäre war sehr schlecht“, sagt die Rückraumspielerin. Mittlerweile haben die TVN-Frauen nach Interrimstrainer Nico Kiener den dritten Coach der Saison, Ralf Rascher. „Er hat eine gute Persönlichkeit. Wir können mit ihm reden, über Handball, was wir möchten, was nicht.“
In Ostrava, Franciks Heimatstadt, lernten sich die beiden kennen. Er spielte für die Erstligamänner, Marcikova kam zu den Frauen (DHC Sokol Poruba). Aufgewachsen ist Marcikova im Dorf Slúsovice, knapp 2500 Einwohner, von Ostrava 100 Kilometer entfernt. Deizisaus dörflichen Charakter findet sie angenehm. Francik auch, obwohl er von Ostrava als drittgrößte tschechische Stadt mit 300 000 Einwohnern deutlich mehr Trubel gewohnt ist. Deshalb sahen beide das für sie Seltsamste gleich, als sie das erste Mal in Deizisau waren. „Wir kamen an und sagten: ‚Guck mal, Burger King’. Das war komisch, denn Deizisau ist ein Dorf. In Tschechien haben wir Burger King nur in Großstädten oder an der Autobahn“, erzählt Marcikova immer noch verwundert. Ihr Freund lacht.
Schweinshaxe ist Franciks deutsches Lieblingsessen. „Gulasch, Schnitzel und Rouladen essen die Deutschen viel, das mögen wir auch“, sagt seine Freundin. Franciks Job gefällt ihm deshalb sehr gut. Mit Spätzle und Maultaschen können beide nicht so viel anfangen.
Was sie aus Tschechien vermissen: „Das Bier“, sagt Francik wie aus der Pistole geschossen und grinst. Marcikova ergänzt etwas ernster: „Unsere Familien und Freunde, aber wir können telefonieren und skypen.“ Zudem bekommen sie Besuch von ihren Familien. Francik war vergangenen Sonntag mit Marcikovas Vater im Stadion beim Heimspiel des VfB Stuttgart gegen RB Leipzig. Der Vater spielte Fußball, war Trainer, Francik ist Real-Madrid-Fan. Beide Männer litten mit dem VfB („Zu wenig Bewegung“, urteilte Marcikovas Vater), aber Francik gefiel die Atmosphäre. Zum nächsten Heimspiel und Kellerduell gegen Hannover am 3. März geht er mit Marcikova. Abstiegskampf kennt diese nur zu gut. Mit dem TVN ist sie derzeit Tabellendrittletzter und kämpft gegen den Abstieg.
Linksaußen Francik ist mit Söflingen Tabellenachter und möchte mit dem Team mittelfristig aufsteigen. „Das Kollektiv ist gut, die meisten sind im selben Alter wie ich“, sagt er. Er hat eine Fahrgemeinschaft nach Ulm mit drei Mitspielern, die in Kirchheim und Owen wohnen.
Wenn das Paar Freizeit hat, trifft es sich mit tschechischen Freunden aus Göppingen, Petra Adamkova und Michaela Hrbková. Beide spielen bei Nellingens Ligakonkurrent Frisch Auf. „Ich habe mit ihnen in Ostrava gespielt und bin mit ihnen in der Nationalmannschaft“, sagt Marcikova. Zudem war Adamkova Franciks Klassenkameradin in der Grundschule. Auch Adamkovas Freund stammt aus Ostrava.
Das Heimweh „ist hier natürlich viel besser, weil wir jetzt zusammen sind“, sagt Francik. Vergangene Saison spielte das Paar in Polen, allerdings 600 Kilometern voneinander entfernt: die Rückraumspielerin beim Erstligisten SPR Pogon Szczecin in Stettin, der schnelle Linksaußen in Kattowitz. Sie sahen sich einmal pro Monat. „Wir waren viel allein. Abends zuhause gab es nur mich und Rocky. Das war schlecht“, erzählt Francik. Marcikova ergänzt: „Es wäre sicher schöner in Polen gewesen, wenn wir zusammen gewesen wären.“
Zusammen bleiben. Vor allem bleiben, das wünschen sich die beiden. Franciks Zweijahresvertrag ist ligaunabhängig, Marcikovas Zweijahreskontrakt gilt nur für die Bundesliga. „Ich weiß noch nicht, wie es weitergeht, ich hoffe, wir schaffen den Klassenverbleib“, sagt Marcikova. Denn eine Entscheidung hat das Paar bereits getroffen: „Lukas und ich haben es schon besprochen: Wir möchten hier bleiben. Wegen der Arbeit und hauptsächlich, weil er sehr zufrieden ist mit seinem Verein Söflingen. Wir möchten nicht jedes Jahr umziehen“, sagt die 26-Jährige. Gespräche hat sie mit den TVN-Vereinsverantwortlichen noch nicht geführt. „Wenn die Situation dann kommt, muss ich das Problem lösen. Aber ich hoffe nicht, dass es soweit kommt.“
Den nächsten Schritt für den Klassenverbleib können die Nellingerinnen bei der HSG Blomberg-Lippe am Samstag (16.30 Uhr) machen. Spätestens am 2. März im Keller-Derby gegen die Neckarsulmer SU zählt es dann. Die sonst so strahlende Tschechin wird ernst: „Da müssen wir gewinnen.“ Damit sie in Deizisau bleiben können.