Trainer Pascal Morgant. Foto: Rudel - Rudel

Der scheidene Trainer der Bundesliga- Handballerinnen des TV Nellingen, Pascal Morgant, zieht sein Fazit.

OstfildernAm Samstag steht Pascal Morgant ein letztes Mal als Trainer der Bundesliga-Handballerinnen des TV Nellingen in der Sporthalle 1. Der 42-Jährige wechselt zum Ligakonkurrenten Neckarsulmer SU. Er erzählt, warum er gerne strenger gewesen wäre und was in Nellingen gefehlt hat, um ihn zu halten.

Fünf Jahre TV Nellingen, davon zwei in der Bundesliga. In einem Satz zusammengefasst: Was ist Ihre Bilanz?
Fünf Jahre in einen Satz? Ich finde, dass wir eine sportliche Erfolgsgeschichte geschrieben haben. Und das ist der zweite Satz: Und dass ich mich dann doch im Frauenhandball zurecht- und eingefunden habe.

Das war Ihr erstes Frauenteam. Worin liegt der Unterschied zu Männern?
Frauen sind wesentlich komplexer. Sie fordern einen viel mehr im Training. Sie möchten mehr Varianten, Männer sind dagegen relativ einfach: Das Training ist einfach gestrickt, am besten immer das Gleiche, Aufwärmen, Kicken, in die Gasse passen. Frauen sind da anspruchsvoller. Sie machen sich über das Training mehr Gedanken. Sie hinterfragen die Inhalte und den Rhythmus. Sie sind kritischer, wollen gefordert werden. Beim Frauenhandball gibt es nicht das große Geld, die Freizeit geht drauf. Die Mädels müssen von sich aus sehr viel investieren – dafür, dass sie wenig bekommen. Und dann wollen sie aber auch Qualität bekommen. Das ist die Herausforderung für den Trainer.

Sie haben mit Nellingen den Aufstieg geschafft, nun zum Abschied erstmals auch den sportlichen Klassenverbleib. Gehört das zu den schönsten Erlebnissen?
Natürlich war der Aufstieg ein Riesenmoment, weil er überraschend kam – wir haben das nicht geplant. Wir sind mit ganz einfachen Tugenden, viel Arbeit, Mannschaftsgeist und Vertrauen zum Aufstieg gekommen – in einer unglaublich schwierigen Phase, in der wir auch viele Verletzte hatten. Wir haben uns Verstärkung geholt – Spielerinnen aus unteren Ligen – die dann mit uns den Aufstieg geschafft haben. Und auch dieses Jahr: Dass wir mit diesem kleinen Kader und der extrem jungen Mannschaft mit diesem Ergebnis abschneiden, hätte ich nicht gerechnet.

Sie hätten an den Erfolg ja auch anknüpfen können, stattdessen geht es nun zur Neckarsulmer SU. Was ist schiefgelaufen?
Schiefgelaufen ist, dass die Perspektive rund um diese Mannschaft und diesen Verein einfach gefehlt hat. Zudem sinken die Zuschauerzahlen, wir bekommen immer weniger Aufmerksamkeit und das Sponsorenfeld konnte nicht entscheidend vergrößert werden. Schade, denn ich sehe ja das große Potenzial alleine in Nellingen und im Nachbarort. Dann habe ich noch versucht, den Weg nach Esslingen zu öffnen, auch das ist gescheitert. Ich hoffe, dass jemand in der Zukunft diesen Weg wieder aufnimmt. Ich finde nach wie vor, dass es der richtige Weg ist. Nach all dem sagte ich: Dann wird es schwierig. Man kann nicht jedes Jahr so eine Saison hinzaubern, mit immer weniger Geld. Ich weiß, dass es einen irgendwann kaputt macht, so arbeiten zu müssen. Und als sich eine neue Perspektive für mich auftat, war die Entscheidung für mich gefallen.

Sie waren in Nellingen mehr als nur ein Trainer, übernahmen als einziger Hauptamtlicher viele Aufgaben, für die in anderen Vereinen eine ganze Stelle bereitsteht. Zudem verlassen auch Leistungsträgerinnen den Verein: Louisa Wolf mit Ihnen zur NSU, Annika Blanke zu Frisch Auf Göppingen, Anne Bocka zur HSG Bad Wildungen. Hinterlassen Sie jetzt einen Scherbenhaufen?
Nein, in Nellingen wird gerade sehr intensiv gearbeitet. Die ersten Verpflichtungen sind gemacht. Was Nellingen erstmal bleibt, sind unsere drei Junioren-Nationalspielerinnen – klar, Elisa Stuttfeld noch mit Kreuzbandriss, aber sie wird auch irgendwann zurück sein. Dann bleiben die zwei Kreisläuferinnen Stefanie Schoeneberg und Vivien Jäger, die sich hervorragend etabliert haben. Mit Isabel Tissekker haben wir von der NSU schon während der Saison eine neue Führungsspielerin verpflichten können. Sie stellt sich jetzt auch ihrer Herausforderung und ich finde ihre Entscheidung absolut richtig, in Nellingen zu bleiben. Dann kommt mit Sarka Marcikova eine tschechische Nationalspielerin dazu, das sieht doch ganz gut aus. Mit Selina Meißner im Tor hat der TVN auch ein deutsches Toptalent, sehr jung, aber auch sehr gut. Deswegen würde ich es nicht als Scherbenhaufen bezeichnen. Das Einzige, was im Moment noch fehlt, ist ein Trainer.

Was würden Sie im Nachhinein anders machen?
Gibt’s einiges. Ich versuche, mich immer zu verbessern. Ich wäre in der Mannschaft gern strenger gewesen.

Was Disziplin angeht?
Ich bin mir sicher, dass wir maximal ausgeschöpft haben, was die Mädels bereit waren zu geben, aber mit mehr Disziplin hätten wir noch einen Ticken mehr rausholen können.

Wie sah die Disziplinlosigkeit aus?
Wir hatten natürlich auch Spielerinnen bei uns, die nicht so funktioniert haben. Da möchte ich keine Namen nennen, aber sie haben die Mannschaftsentwicklung ein Stück weit aufgehalten und auch als Störfaktor fungiert. Da hätte ich die letzten Jahre härter durchgreifen müssen, wesentlich härter.

Werden Sie in Neckarsulm strenger sein?
Ich glaube, dass ich dieses Jahr schon strenger geworden bin. Ich habe Entscheidungen getroffen, als es nicht mehr gepasst hat. Als Tanja Padutsch zurückgekommen ist und es auf der Rechtsaußenposition nicht mehr so funktionierte, wie ich mir das vorgestellt habe, habe ich Carina Stockhammer in die zweite Mannschaft abgegeben. Das hat der zweiten Mannschaft gut getan, aber auch uns, da wir mit Tanja eine Spielerin hatten, die sich auskennt und die uns mit ihrer spielerischen Qualität trotz siebenmonatiger Pause wegen Auslandsaufenthalts weitergeholfen hat.

In Neckarsulm ist das Chaos gerade groß. Emir Hadzimuhamedovic war über acht Jahre Trainer und Sportdirektor in Personalunion, im Februar hat er das Traineramt abgeben, seitdem gab es einige Trainerwechsel. Da steht kein Stein mehr auf dem anderen.
Das ist aber auch ein Vorteil. So ähnlich wie beim Wohnungsbau: Kann ich mir jetzt ein neues Haus bauen oder muss ich ein altes Haus restaurieren? So sehe ich das. Ich habe jetzt die Chance, in Neckarsulm ein eigenes Haus zu bauen.

Hausbau ist eine Heidenarbeit.
Vor Arbeit habe ich mich noch nie gescheut, das habe ich auch in Nellingen nicht. Ich bin schon viel in Kontakt mit Neckarsulm, plane schon die nächste Saison, das kann man nicht erst im Juli machen. Da wird mir viel Vertrauen entgegengebracht. Denn durch das, was ich in Nellingen aufgebaut habe und was bisher geklappt hat, konnte ich mir einen guten Namen erarbeiten.

Neckarsulm steht derzeit schlechter da als Nellingen. Sportlich wären sie abgestiegen, wenn mehr als ein Team aus der 2. Bundesliga aufsteigen wollte. Die Situation kennen Sie ja von Nellingen aus der Vorsaison.
Richtig, da fange ich jetzt ein Stück weiter vorne an, aber mit einem anderen Umfeld, mit anderen Möglichkeiten, mit neuen Ideen. Und mit den Möglichkeiten, die man in Neckarsulm hat, muss es in der kommenden Saison auf jeden Fall der Klassenverbleib werden. Es ist ein sehr großer Umbruch, ich habe versucht, ein paar Spielerinnen, die ich aus Neckarsulm schon kenne, zu halten. Wie Lena Hoffmann und Svenja Kaufmann, die Urgesteine sind. Dann haben wir so ein Zwischending mit Louisa Wolf, die schon einmal zwei Jahre in Neckarsulm war und wieder zurückkehrt, aber mit einer neuen Aufgabe.

Wie sieht die Aufgabe aus?
Sie muss die Mannschaft leiten.

Das hat sie ja auch schon Nellingen.
Genau, das war ihr großer Entwicklungsschritt: vom Talent zu einer Führungsspielerin zu reifen. Das hat sie in den zwei Jahren beim TV Nellingen hervorragend gemeistert, jetzt muss sie aber auch unter Beweis stellen, dass sie den Kinderschuhen entwachsen ist und sich zu einer großen Persönlichkeit und Führungskraft entwickelt. Das wird ihre Aufgabe sein in Neckarsulm, dafür haben wir die Mannschaft so aufgestellt. Das war auch die Idee von Emir Hadzimuhamedovic.

Emir Hadzimuhamedovic soll kein einfacher Mensch sein. Welchen Eindruck haben Sie von ihm?
Es lief alles extrem offen und kommunikativ. Es ist für ihn auch eine schwierige Situation, nach acht Jahren einen Schlussstrich zu ziehen und jemand anderen zu suchen, der sein Projekt übernimmt und weiterführt. Er kämpft da mit sich und wir reden wirklich offen darüber. Er macht das super, er schenkt mir unglaublich viel Vertrauen. Er sieht in mir genau die Person, bei der er ein gutes Gefühl hat. Und von daher ist es absolut problemfrei gelaufen. Der Bundesliga fehlt es nicht an starken Sportlerinnen, die auch als Aushängeschild fungieren können. Ich denke da an Anna Loerper. Trotzdem sind die Männer gefragter. Was fehlt dem Frauenhandball?
Die Frage können Sie als Frau fast besser beantworten. Das Thema Gleichberechtigung und Anerkennung gibt es in alle gesellschaftlichen Bereichen. Im Grunde weiß es jeder, aber es ist unangenehm. Es fehlt die Akzeptanz, was ich doppelt schlimm finde. Weil dadurch die Mädels für die Aufmerksamkeit nicht nur gleich viel machen müssen wie die Männer, sondern mehr und dann bekommen sie sie nicht mal. Bei den Männern sagt man: „Die trainieren sieben Mal die Woche, schau mal den Körper an.“ Da sag ich: „Meine Mädels trainieren acht Mal und arbeiten noch nebenher. Sie haben zwar nicht diesen großen Bizeps, aber haben einen Körper, bei dem man sagen kann: Respekt.“ Das ist schade, dass wir immer noch so im Mittelalter leben. Aber es ist auch ein politisches Problem. Die politische Unterstützung in Nellingen ist gleich null. Da gibt’s nichts, da bekommen wir gar keine Aufmerksamkeit.

Vor allem beim Thema Halle: Der TV Nellingen hat nur eine Sondergenehmigung der Liga für die marode Sporthalle 1 – unsicher, wie lange. Beim Bau einer bundesligatauglichen Halle in Nellingen ist der TVN von der Stadt Ostfildern abhängig. Der Gemeinderat entscheidet erst im Herbst, ob der Neubau der Sporthalle 1 bundesligatauglich sein oder kleiner und nur für den Schulsport reichen wird.
Das war der ausschlaggebende Grund für mich zu gehen. Es war meine Idee, jetzt den Weg nach Esslingen-Weil zu gehen. Dort wird derzeit die Sporthalle in eine bundesligataugliche umgebaut. Vielleicht kommt es dann im Herbst zustande, aber das ist mir einfach zu unsicher und man hat schon zu oft darüber gesprochen. Mir fehlt ein klares Bekenntnis der Stadt zum Bundesliga-Handball.

Das Interview führte Karla Schairer.

Zur Person

Pascal Morgant, geboren 1975, ist in Möglingen aufgewachsen. Er spielte in der Jugend bei der TSG Oßweil, als Erwachsener für die TSG sieben Jahre in der 2. Bundesliga. 1997 wechselte der Kreisläufer zu Ligakonkurrent Frisch Auf Göppingen, mit dem er in die Bundesliga aufstieg. 2007 begann er als Trainer beim TSB Schwäbisch Gmünd, ein Jahr später kehrte er nach Göppingen zurück, um dort als Jugendkoordinator ein Nachwuchscenter aufzubauen und die Göppinger U 17 zu trainieren. 2013 übernahm der gelernte Industriemechaniker das Frauen-Zweitligateam des TV Nellingen und führt die Hornets nur drei Jahre später erstmals in der Vereinsgeschichte in die Bundesliga. Morgant lebt mit seiner Familie in Göppingen, er ist verheiratet und hat zwei Kinder.