Stephan Hartenstein, Trainer des TSV Köngen Foto: Rudel - Rudel

Wenn bei der Fußball-WM in Moskau, Kasan, St. Petersburg und Co. der Ball rollt, schauen auch die Fußballtrainer der Region ganz genau hin.

EsslingenGefühlt hat die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland gerade erst begonnen, da neigt sie sich auch schon wieder dem Ende entgegen. Von den ursprünglich 64 Spielen sind bereits 56 absolviert, mit dem Duell der Uruguayer gegen Frankreich starten an diesem Freitag (16 Uhr) die Viertelfinals. Grund genug, einen Blick auf das bisher Geschehene zu werfen. Oder genauer: auf die Erkenntnisse, die sich daraus ableiten lassen. Wie bei jedem großen Turnier sind auch bei der WM 2018 Muster erkennbar – für den einen mehr, für den anderen weniger. Eine Spezies Mensch, die ganz genau hinschaut, wenn in Moskau, Kasan, St. Petersburg und Co. der Ball rollt, sind Fußballtrainer, auch die in unserer Region.

Stephan Hartenstein (TSV Köngen)

„Hinten kompakt und dann über schnelles Umschaltspiel zum Torerfolg“ – so beschreibt Stephan Hartenstein, Trainer des erst kürzlich in die Bezirksliga abgestiegenen TSV Köngen, die erfolgreichste Spielphilosophie dieser WM, „der Ballbesitzfußball ist nicht mehr ganz so erfolgversprechend“. Hinzu kommt, dass auch Standardsituationen immer wichtiger werden – beinahe 45 Prozent aller WM-Treffer fielen durch einen ruhenden Ball: „Wenn aus dem Spiel heraus wenig passiert, müssen die Tore eben auf anderem Weg erzielt werden.“ Grundsätzlich hält Hartenstein diese Entwicklung aber für schade, weil er sich selbst als Fan des Offensivfußballs bezeichnet. „Für den Zuschauer sind viele Spiele somit eher unattraktiv – selbst ich habe die eine oder andere Partie geguckt, bei der mir fast die Augen zugefallen sind“, beschreibt Hartenstein das Problem. Es sei gar nicht auszudenken, wie das bei der Mega-WM 2026 wird, wenn 48 Teams an den Start gehen.

Gaetano Intemperante
(TSV RSK Esslingen)

„Fast alle Spiele“ hat Gaetano Intemperante, Trainer des TSV RSK Esslingen, angeschaut. Logischerweise immer aus der Sicht des Trainers, weshalb er das Turnier auch für ein „sehr interessantes“ hält. Bei den Fans, vermutet er, verhält sich das andersherum: „Als Trainer hat man einen etwas anderen Blickwinkel als der normale Zuschauer.“ Generell hat auch Intemperante bemerkt, dass die Bedeutung der Defensive stark zugenommen hat: „Die kleinen Nationen machen das klug, kommen über eine kompakte Defensive und spielen effektive Konter.“ Die spielerisch starken Mannschaften hätten damit Probleme und würden somit immer seltener zum Abschluss kommen. Die logische Folge: Aus dem Spiel heraus fallen letztlich immer weniger Tore.

Thorsten Schöllkopf (TSV Denkendorf)

Dass die Teams „nicht mehr gewinnen wollen“ und lieber auf die Karte Absicherung statt Angriff setzen, findet Thorsten Schöllkopf „ein bisschen schade“. Der Trainer des Neu-Bezirksligisten TSV Denkendorf erklärt sich diesen Trend vor allem damit, dass eine Defensivreihe einfacher trainierbar ist als eine Offensivreihe. „Am Ende steht der Erfolg über allem – egal wie dieser zustande kommt“, sagt Schöllkopf. Von der These, dass der Ballbesitzfußball, wie ihn die Spanier seit 2008 und zuletzt auch die DFB-Elf prägten, Geschichte sei, hält er dennoch wenig. „Der Fußball ist immer im Wandel, deshalb gilt es, Dinge anzupassen“, fordert Schöllkopf. Im Spiel der großen Nationen habe einfach häufig das nötige Tempo im vorderen Drittel gefehlt.

Thomas Gentner (TSV Deizisau)

„Alle Mannschaften verstehen es inzwischen, den Gegner vom eigenen Tor fernzuhalten“, beschreibt auch Deizisaus Trainer Thomas Gentner den für ihn auffälligsten Trend dieser WM, „die Teams haben das Spiel gegen den Ball verinnerlicht“. Zudem habe die Athletik – vor allem die der „kleinen“ Mannschaften – zugenommen, wodurch es für die Nationen, die sich über den Ballbesitz definieren, immer schwieriger würde, Tore zu erzielen. „Erst recht, wenn dann auch noch das Tempo in den Aktionen fehlt und somit kaum noch Chancen generiert werden können.“ Dass das für den Zuschauer eher zäh ist und etwas die Lust auf die Spiele nimmt, kann Gentner verstehen, das fußballerische Niveau sei aber dennoch „sehr hoch“. Generell wünscht sich der Deizisauer Trainer, dass die vermeintlich großen Nationen zukünftig bessere Lösungen finden, sich gegen die Abwehrblöcke durchzusetzen. „Das geht an der Basis los, da muss umgedacht werden – statt den Ball immer nur abzuspielen, muss ein Spieler auch mal ein, zwei Gegenspieler im Eins-gegen-Eins zu umspielen“, fordert Gentner. Von seinen Beobachtungen übernimmt er generell aber wenig in den Trainingsbetrieb. Eine komplette Einheit Standardsituationen beispielsweise ist zeitlich quasi nicht machbar.

Mario Palomba (FC Esslingen)

Ähnlich wie seinen Trainerkollegen ist auch dem neuen Trainer des FC Esslingen, Mario Palomba, nicht entgangen, dass die defensiv gut stehenden und einen dekonstruktiven Fußball pflegenden Mannschaften bisher erfolgreich spielen. „Dem attraktiven Fußball fehlen da aktuell noch die Lösungen“, sagt Palomba, dem aufgefallen ist, dass viele kleinere Verbände in den vergangenen Jahren auf erfahrene Trainer aus Europa gesetzt haben. „Eine starke Defensive lässt sich leichter ausbilden als eine starke Offensive, wo eben immer auch die Qualität der Spieler entscheidend ist“, nennt Palomba Gründe für die Entwicklung. Idealerweise gelinge es den Mannschaften, eine Kombination aus starker Defensive und temporeichem Ballbesitzfußball zu kreieren. „Das was wir bei der WM gesehen haben, war oft einfach zu langsam – warum also nicht mal auch jungen Spielern vertrauen?“, fragt Palomba und nennt Frankreich und England als Paradebeispiel: „Schlechte Erfahrungen können auch positiv sein. Und oftmals sind die jüngeren Profis ja die, die noch unbekümmert auftreten.“

Klaus Schipke (ehemals TV Nellingen)

„Dynamik“ – ein Wort, das Klaus Schipke, bis zum Ende der vergangenen Saison Trainer des Bezirksligisten TV Nellingen, des Öfteren in den Mund nimmt, wenn er über die WM in Russland spricht. „Es ist auffällig, wie die kleineren Teams ihre spielerischen Defizite durch mehr Dynamik wettmachen und es somit auch mit den Top-Nationen aufnehmen können“, sagt Schipke. Die defensive Grundeinstellung vieler Nationalmannschaften liege in der Natur der Sache, es sei logisch, dass die Außenseiter eher abwartend agieren. „Außerdem kann ja auch ein torarmes Spiel ein gutes sein“, sagt Schipke.