DENKENDORF. Imposante alte Fachwerkhäuser aber auch historische Zeugnisse, die sich erst auf den zweiten Blick offenbaren, machen einen Rundgang durch den alten Ortskern Denkendorfs zur Tour in die Vergangenheit. Wer am – modernen – Rathausplatz startet, dessen Blick fällt als erstes auf das Gasthaus „Alter Bären“. Am Giebel des prächtigen Fachwerkbaus ist ein Neidkopf zu sehen, eine Fratze, die das Böse abwehren soll. Außergewöhnlich ist das Wirtshausschild, das einen Bären mit Stock zeigt.
- Bedeutender Erkerbau: Auf der gegenüberliegenden Seite der Friedrichstraße fällt die Alte Post aus dem 17. Jahrhundert ins Auge. Bemerkenswert ist vor allem der mit grün glasierten Ziegeln gedeckte und mit rautenförmigem Zierfachwerk versehene Erker. Das Haus gehört zu den kulturgeschichtlich wichtigsten Erkerbauten im Landkreis. Auch die „Krone“ an der Einmündung zur Kirchstraße zeugt mit ihren in die Balken geschnitzten Ornamenten von historischer Handwerkskunst. Wenige Schritte weiter birgt das „Haus Krazeisen“ aus dem 18. Jahrhundert heute einen Teil des Heimatmuseums. Es war einst die Dorfschmiede und hat seinen Namen vom örtlichen Schmied Krazeisen. An einer Säule findet sich noch ein Ring, um Tiere anzubinden, die beschlagen werden sollten.
- Fromme Pietisten: Ein lebendiges Zeichen, wie sehr der Pietismus bis in die heutige Zeit das geistliche Leben Denkendorfs prägt, ist das „Stundenhaus“ gegenüber dem Heimatmuseum. Eigentlich ein Privathaus, hält hier die „Hahn‘sche Gemeinschaft“ bis heute Bibelstunden ab. Biegt man in die Kirchstraße ein, hat man den Turm der Klosterkirche im Blick.
- Wohnungen statt Feuerwehr: Die Nutzung des Gebäudes Kirchstraße 27 erschließt sich erst auf den zweiten Blick – es war das alte Feuerwehrhaus. Der turmförmige Gebäudeteil diente einst zum Trocknen der Wasserschläuche. Längst sind Spritzen und Schläuche Wohnungen gewichen. Unmittelbar daneben lag früher ein Platz, „Am Blaile“ genannt. Dort bildete die Körsch eine kleine Bucht. Hier wuschen die Denkendorferinnen ihre Wäsche und legten sie zum Bleichen aus. Am Ufer stand ein Gebäude, das vor 1754 als Schießhaus, dann als Armenhaus und bis 1842 als Waschhaus genutzt wurde. Weiter in Richtung Kloster passiert man rechter Hand die Friedhofskirche. Sie war lange die Dorfkirche, als die Klosterkirche den Klosterbewohnern vorbehalten war.
- Kelter als Veranstaltungsort: Links biegt man in den Maierhof ein. Er war einst der Wirtschaftshof des Klosters. Im Zentrum ist die Kelter erhalten. Das Backsteingebäude diente später als „Farrenstall“. In dem gemeindeeigenen Gebäude waren die Vatertiere untergebracht, die zur Besamung der Kühe dienten. Heute wird sie für Veranstaltungen genutzt.
- Hölderlin als Klosterschüler: Gegenüber, unterhalb des hoch aufragenden Klostergebäudes, erinnert der „Hölderlinbrunnen“ an den berühmten Klosterschüler. Der Trog steht schon lange im Maierhof und war einst Teil des Brunnens vor dem alten Rathaus. 2020, zum 250. Geburtstag des Dichters, wurde er Hölderlin gewidmet. Hölderlin trat 1784 als 14-Jähriger in die Klosterschule ein. Pfarrer zu werden, wie es die eigentliche Bestimmung der „Alumni“ war, weigerte sich der Dichter allerdings Zeit seines Lebens beharrlich.
- Idylle Klosterhof: Entweder über die steilen Stufen rechts am Brunnen oder links über den Zwinghof, der entlang der Klostermauer vorbei am Pflegeheim nach oben führt, kommt man auf den Klosterhof. Im Sommer ist der von großen alten Bäumen beschattete Platz eine stille, grüne Oase. Links befindet sich die Pfarrscheuer, die für kirchliche Veranstaltungen genutzt wird. Der behäbige Bau des evangelischen Pfarrhauses schräg gegenüber der Kirche beheimatete einst das Oberamt. In der Klosterkirche lohnt es sich, rechts neben den Treppen zum Chor die steilen Stufen in die Unterkirche zu nehmen. Die Krypta entpuppt sich nicht als düstere Begräbnisstätte, sondern als lichter Raum. Im Boden ist ein symbolisches Grab eingelassen – eine Nachbildung des Heiligen Grabs in Jerusalem. Drachen, andere Tiere und Pflanzenmotive zieren die Kapitelle und Friese.
- Frommer Stifter: Gegenüber dem Klosterareal liegt der Friedhof. Als die alte Begräbnisstätte rund um die Klosterkirche zu klein wurde, stiftete Johannes Nödinger, Leiter der Hahn‘schen Gemeinschaft, im 19. Jahrhundert der Gemeinde ein Grundstück für den neuen Gottesacker. Allerdings mit der Auflage, ihn nicht ein zweites Mal zu belegen. Deshalb ist die „Stiftungsfläche“ bis auf wenige Gräber – darunter das von Johannes Nödinger – eine Grünfläche. Ulrike Rapp-Hirrlinger
Geschichte des Klosters
DENKENDORF. Geistliches Ordensleben, protestantische Gelehrsamkeit und wirtschaftliche Umtriebe prägen über fast 900 Jahre das Leben in der Klosteranlage. Auf dem Klosterberg bauen die Herren von Denkendorf 1050 die frühromanische Pelagiuskirche, deren Reste im Turm erhalten sind. Als Berthold von Denkendorf während einer Pilgerreise in Jerusalem den Orden vom Heiligen Grab kennenlernt, stiftet er diesem um 1125 das Kloster. Das Doppelkreuz der Chorherren führt Denkendorf heute im Wappen.
Im 13. Jahrhundert bauen die Chorherren die spätromanische Stiftskirche mit der Krypta und einem symbolischen Heiligen Grab. Mit der Reformation wird das Kloster 1535 evangelisch, 1553 zieht die erste Evangelische Klosterschule ein. Während des Dreißigjährigen Krieges ist das Kloster zeitweilig unter katholischer Verwaltung. 1713 wird die zweite Klosterschule eröffnet. 1784 bis 1786 war Friedrich Hölderlin Klosterschüler in Denkendorf. Mit der Säkularisation geht das Kloster 1806 in württembergischen Besitz über, die Klosterschule wird nach Schöntal verlegt. Nach Intermezzi als Zuckerfabrik (wenig erfolgreich) und landwirtschaftliche Unterrichts- und Versuchsanstalt (rasch nach Hohenheim verlegt) übernimmt 1837 der Esslinger Fabrikant Friedrich Kauffmann das Kloster. Er produziert „Denkendorfer Klostersenf“ und Liköre.
1907 kauft der Staat das Kloster und richtet ein Lehrerseminar ein, später ist es Heimvolkshochschule für junge Frauen. Während des Dritten Reichs sind im Kloster NS-Einrichtungen untergebracht. Im zweiten Weltkrieg lagern in der Krypta die Bibelsammlung der Württembergischen Bibelanstalt und Akten des Oberkirchenrats. Nach dem Krieg wird das Evangelische Diakonieseminar eingeweiht. Bis 2020 ist das Kloster Fortbildungsstätte der Landeskirche. urh
Zahl zur Tour
Heute: Erste urkundliche Erwähnung
1129 Geburtsjahr Denkendorf wird 1129 erstmals urkundlich erwähnt in einem Schriftstück, in dem Papst Honorius II. das Kloster unter seinen Schutz nimmt. urh