EZ-Reporter im Gespräch mit Rolf Laschet. Foto: Simone Lohner - Simone Lohner

Bei der EZ-Sommerredaktion am Esslinger Bahnhof zum Thema Fahrradwege lassen viele kein gutes Haar an der Stadt. Vom Aufwind der Radfahrlobby sind nicht alle begeistert.

EsslingenHolprige Pisten, Fahrradwege die im Nichts enden, Sperrungen, fehlende Stellplätze und und und – Radfahrer haben es nicht immer leicht in Esslingen. Aber auch die Stadtplaner nicht, wenn sie Straßen neu bauen: Es fehlt an allen Ecken und Enden Platz. Und schließlich wird das Infrastrukturproblem auch noch um die populäre Klimadebatte ergänzt. „Esslingens holpriger Weg zur Fahrradstadt“ war deshalb das Thema der Sommerredaktion der Eßlinger Zeitung am Montag auf dem Esslinger Bahnhofplatz. Viele Leserinnen und Leser, bürgerschaftlich engagierte Esslinger, Radler und andere Passanten sprachen mit Reportern der EZ-Redaktion über ihre guten und schlechten Erfahrungen und ihre Ideen für eine fahrradfreundliche Stadt.

Cornelia Meyer, 60: „Ich fahre jeden Tag von Oberesslingen nach Esslingen, auf der so genannten Fahrradstraße. (Fahrradfahrer haben hier besondere Rechte; Anm. der Redaktion.) Hier auf der Hindenburgstraße werde ich oft so dicht überholt, dass ich die Autos berühren könnte, wenn sie vorbeifahren. Dabei werde ich auch noch verbal von den Autofahrern angegangen. Diese wissen oft gar nicht, dass sie anderthalb Meter Abstand halten müssen. Esslingen, eine fahrradfreundliche Stadt? In keinster Weise! Die Kiesstraße zum Beispiel – das ist total gefährlich, da Fahrrad zu fahren. Man sollte sich ein Beispiel an den Niederlanden nehmen!“

Petra Mahr, 51: „Das Thema Fahrradstadt muss man auch ganzjährig betrachten. Für den Busverkehr gibt es Jahres-, aber keine Halbjahrestickets. Im Winter werden viele Radler zu Autofahrern. Gäbe es eine Halbjahresticket, würden sicherlich viele auf den Bus umsteigen. Gerade im Winter, wo so viel Feinstaub in der Luft ist. Und um den geht es ja doch schließlich.“

Silke Weber, 60: „Wenn sie die Parkplätze auf der Mühlbergstraße wegmachen, sind die Leute gezwungen, ihre Autos bis zu einem Kilometer weit weg umzustellen. Die Querstraßen sind ja alles Anliegerstraßen. Und dann soll es eine Spur für Busse und Fahrradfahrer geben. Also, wenn die Parkplätze wegfallen, wo ist dann die Bürgernähe zu den alten Leuten? Die können doch nicht stundenlang auf den Bus warten! Und dann rauschen da die Busse und die Fahrradfahrer vorbei. Wie soll das gehen?“

Siegfried Hailer, 81: Er führt den Reporter zum westlichen Ende des Bahnhofplatzes und geht mit ihm über die Ampel Richtung Fleischmannstraße. „Hier kommt man mit dem Fahrrad auf einen großen Bordstein und schuppt dann runter. Und da, wo der Fahrradweg sein soll (hier sind die Bordsteine abgesenkt; Anm. der Redaktion), da laufen die Fußgänger lang. Da fährt man doch als Fahrradfahrer nicht rein.“ Außerdem hat Hailer noch ein Anliegen: „Die, die zuständig sind, sollten mal die Wege abfahren und die Dornen abschneiden, die im Weg hängen.“

Sylke Conzelmann, 51: „Esslingen ist weit, weit entfernt davon, eine Fahrradstadt zu sein. Es wird nicht besser, sondern stetig schlechter. Mein Rat an die Stadt: Fahrradfahrer sollten die Fahrradkonzeption machen und dabei den energiesparenden Fahrzeugen den Vorrang geben. Ich habe aber den Eindruck, dass die Fahrradwege von Leuten geplant werden, die selber kein Fahrrad fahren.“ Conzelmann berichtet von Stellen, an denen es nahezu unmöglich ist, sich regelgerecht zu verhalten. „Die Wege sind für Fahrradfahrer angelegt, die immer nur geradeaus fahren. Wenn ich links abbiegen will, muss ich über die Fußgängerampel fahren.“

Thorsten von Jentzkowski, 49: „Ich arbeite in Feuerbach und fahre jeden Tag zur Arbeit. Es gibt keinen durchgängigen Weg nach Stuttgart, man muss mehrmals die Straßenseite wechseln und sich durch irgendwelche Lkw durchschlängeln.“

Otmar Eisenberg, 61: „Wir müssen die Fläche umverteilen. Mehr Platz für Fußgänger und Fahrradfahrer. Durchgehende Radwege – das muss dringend kommen. Die Eltern trauen sich wegen der vielen Autos nicht, ihre Kinder mit dem Fahrrad zur Schule zu schicken. Aber die Straße ist so voll, eben weil sie ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen. Was fehlt? Es braucht mehr Abstellmöglichkeiten für die Fahrräder. Vor allem bei Festen: Ausgerechnet dann werden die Radständer immer abgebaut. Wenn die Leute gar nicht mit dem Auto kommen wollen.“

Arne Beil, 77: „Esslingen möchte eine fahrradfreundliche Stadt werden. Da ist es kontraproduktiv, wenn man mit dem Fahrrad von Krummenacker durch die Augustinerstraße fährt und dann in der Geiselbachstraße wegen eines Verbotsschildes nicht weiterfahren kann. Offiziell endet der Fahrradweg dort.“

Martin Seeger, 53: „Bis vor zwei Jahren war die Verkehrsregelung im östlichen Teil der Stuttgarter Straße in der Pliensauvorstadt vorbildlich. Je zur Hälfte gab es einen breiten Streifen für Fußgänger und für Radfahrer, was durch Schilder deutlich angezeigt wurde. Jetzt wurde die Beschilderung geändert und die Orientierung ist schwieriger geworden.“

Wolfgang Paser, genannt „Reggae-Daddy“, 58: „Es ärgert mich, wenn die Radwege in der Stuttgarter Straße mit Autos zugeparkt sind. Außerdem ist die Kiesstraße viel zu eng gemacht worden, sodass die Autofahrer ständig auf dem Radweg unterwegs sind. Eine höhere Kante wäre hier von Vorteil, damit die Autos nicht mehr draufkommen. Meine Forderung an alle Verkehrsteilnehmer, Fußgänger, Auto- und Radfahrer ist daher, rücksichtsvoll miteinander umzugehen.“

Hans Haußmann, 64: „Wenn Radfahrer an den Zebrastreifen nicht absteigen, nicht auf rote Ampeln reagieren, zu schnell fahren oder in der Fußgängerzone nicht vom Rad steigen, ärgert mich das. Auch darf ich als Busfahrer nur maximal zwei Fahrräder im Bus mitnehmen, und wenn Passagiere mit einem Kinderwagen einsteigen, müsste einer dieser Radler aussteigen. Diese Vorgabe stößt oft auf Unverständnis bei den Radlern.“

Annette Laufmann, 55: „Gut finde ich in Esslingen, dass neue Fahrradständer aufgestellt wurden, die etwas höher sind, damit ich mein Pedelec abstellen kann. Allerdings ist es hier auch schwierig, schnell von A nach B zu kommen. Zum Beispiel gibt es am Festo-Knoten eine wunderbare Unterführung für Radfahrer, aber der Radweg endet leider an der Fußgängerampel in Richtung Zollberg. Und die Hindenburgstraße wurde ja zur Fahrradstraße gemacht, aber es ist bei den Autofahrer noch nicht angekommen, dass die Vorfahrtsregelung geändert wurde und nicht mehr rechts vor links gilt.“

Johanna Schwartz, 29: „Esslingen ist eine Autostadt, die den Anschluss an umweltfreundliche Entwicklungen verpasst hat. Hier müsste alles umgekrempelt werden – Tempo 30 im Stadtgebiet, kostenloser Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) in der Innenstadt, kostenloser Transport für Fahrrädern im ÖPNV, eine fahrradfreundlichere Gestaltung der Stadt, Einführung einer City-Maut, mehr Car-Sharing, Umwandlung vom Auto- zum Fahrradland. Die Verkehrswende funktioniert nur, wenn die Autofahrer sich einschränken und zurückstecken, denn nur mit Bequemlichkeit schaffen wir den Klimawandel nicht. Es geht um unser Leben, um unsere Zukunft – wir haben keine Zeit mehr.“

Oliver Hirt, 52: „Was in Esslingen für die Radfahrer gemacht wird, ist Stückwerk und sieht nach Alibimaßnahmen aus. Ich kann hier kein Konzept entdecken. In der Barbarossastraße gibt es zum Beispiel einen Seitenstreifen für Radfahrer, aber in der Kirchackerstraße schon nicht mehr. Und die Adenauerbrücke ist nur auf einer Seite für Radfahrer befahrbar. Warum geht das nicht auf beiden Seiten?“

Rolf Laschet, 65: „Wir stehen vor einer Mobilitätsrevolution, einer Epochenwende – das Zeitalter des Automobils ist vorbei. Ich rufe für Esslingen die Formel aus: ‚Esslingen + E-Biker = Holland’. In den Innenstädten sollten nur noch Kranke, Behinderte, schwer beladene Menschen mit dem Auto fahren dürfen. Ökologisch gesehen gehört den Fahrradfahrern die Zukunft. Auch weil das Auto zu viel Platz im Verkehr braucht und eine gefährliche Waffe ist.“