Das Smartphone versteckt im ausgehöhlten Buch, die Kleidung orientiert sich am 19. Jahrhundert: Bei „Steampunk“-Anhängern verschwimmen die Zeiten. Quelle: Unbekannt

Von Andrea Eisenmann

Stuttgart - Der „Erklärbär“ trägt ein apfelgrünes T-Shirt. „Na, wie wär‘s“, fragt er die beiden Frauen. „30 Sekunden erklärt, zwei Minuten gespielt?“ Zögerlich bleiben die Angesprochenen stehen, blicken sich kurz an. Dann nehmen sie auf den Stühlen Platz, lassen sich in das Brettspiel mit Namen „Qango“ einweisen und legen kurz darauf selbst los. Der „Erklärbär“ heißt im wahren Leben Markus Henne und vertritt an diesem Morgen den eigentlichen Erfinder. Sich mit der Familie oder mit Freunden an einen Tisch zu setzen und ein Brettspiel auszupacken, sei keineswegs altmodisch, versichert er. Im Gegenteil. „Die Reaktion seines Gegenübers zu beobachten, ist einfach unbezahlbar.“ Der erstaunte oder verärgerte Gesichtsausdruck beispielsweise, wenn man gerade gewinne. „Das hat man bei Computerspielen eher nicht.“

Ausprobieren erwünscht: An diesem Freitag wird auf der Spielemesse gezockt - mit und ohne Strom, in großen und kleinen Gruppen. Spieleflächen, Wettbewerbe und Turniere laden zum Ausprobieren ein. Drohnen schwirren durch die Luft. Die klassische Variante von Gesellschaftsspielen bevorzugt Karin Rendler aus Fellbach. „Nach dem Abendessen kniffel ich mit meinem Freund. Aber jetzt muss ein neues Spiel her.“ Und auch Freundin Marlene Hirrle aus Reutlingen greift im Kreis der Familie zu Würfel und Brett - speziell im Urlaub oder nach einem Tag auf der Skipiste. „Das gehört dazu - auch wenn die Kinder bereits 17 und 19 Jahre alt sind.“

Zeitreise: Auffällige Kleidung, einen besonderen Musik- und Kunstgeschmack zeichnet auch die „Steampunks“ aus, mehr haben sie allerdings nicht mit „Punks“ gemein. Äußerlich lassen die Anhänger der Bewegung das viktorianische Zeitalter beziehungsweise die Kaiserzeit aufleben - garniert mit Erfindungen aus den Visionen von Autor Jules Vernes, denen etwas Magisches anzuhaften scheint. Die technischen Raffinessen werden Messebesuchern im „Steampunk Village“ nicht vorenthalten. Wie man aus einem Hut denn Dampfwolken aufsteigen lassen kann, ist etwas, dass einem älteren Fragesteller unter den Nägeln brennt. Wenige Meter weiter können Besucher ihren „Zeitreisepass“ beantragen. Wie man „Steampunk“ Außenstehenden erklärt? „Ganz einfach. Wir verlegen das 19. Jahrhundert in die heutige Zeit“, sagt Mirko Schlotter aus Stuttgart alias Maxwell Zacharias von Kingsdale Schnait. Auch die Kleidung der Anhänger ist alles andere als gewöhnlich. Die Männer greifen zu Frack und Zylinder, die Frauen zu Reifrock und Korsett.

Getunte Badeente: Auf der „Modell + Technik“ scheint Markus Marschall den Besucherandrang um sich herum überhaupt nicht wahrzunehmen. Seinen Kopf hat er über eine rot-weiß-gepunktete Badeente gebeugt, in deren Innern er gerade einen Akku mit 11,1 Volt einbaut. Allerdings bleibt es dabei nicht. Auch zwei Drehstrommotoren und Fahrtenregler finden in dem geöffneten Bauch eine neue Heimat. Später wird die Ente wieder wasserdicht verschlossen. „Sieben bis zehn Stundenkilometer“, schätzt Marschall die Geschwindigkeit, mit der der getunte Vogel durch das vom Schiffsmodell-Sport-Club Stuttgart (SMC) aufgebaute Wasserbecken gesteuert werden kann. Dort stehen bereits Gruppen von Schülern, die sehnsuchtsvoll darauf warten, selbst zum Kapitän zu werden - wenngleich der Weg zum eigenen Schiff noch ein sehr langer sein dürfte.

Der Stuttgarter Messeherbst hat heute und morgen von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Besucht werden können die „Familie und Heim“, die „Kreativ“, die „Spielemesse“, die „veggie & frei von“, die „Eat & Style“, die „Modell + Technik“ und die „Babywelt“.